Folgen des NSA-Skandals:Stellt das Postgeheimnis wieder her!

Merkel Steinbrück Gabriel CDU SPD

Wohl künftige Regierungspartner: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Frank-Walter Steinmeier (li.) und Sigmar Gabriel (beide SPD) im Bundestag.

(Foto: AFP)

Die Abhörattacke auf Kanzlerin Angela Merkel birgt eine Chance. Mit ihrer Mehrheit können Union und SPD das Grundgesetz ändern und dafür sorgen, dass überwachte Personen zumindest im Nachhinein über die Bespitzelung informiert werden müssen. Damit würden sie einen schweren Fehler der ersten großen Koalition von 1968 beheben.

Ein Kommentar von Oliver Das Gupta

Monatelang hat die Union die Enthüllungen über die Spionagepraktiken der Amerikaner in Deutschland kleingeredet. Die Bundeskanzlerin verwies auf die Terrorgefahr und das Vertrauen in die Amerikaner. Der Innenminister rief Sicherheit zum "Supergrundrecht" aus. Und der Kanzleramtschef erklärte rechtzeitig vor der Bundestagswahl die ganze Causa für beendet, obwohl alle wichtigen Fragen da noch unbeantwortet waren (hier eine Auswahl entsprechender Zitate).

Es war eine skandalöse Vernebelung eines Mammut-Skandals - und sie hat lange Zeit funktioniert.

Nun, da auch die Kanzlerin als Spähopfer gilt, ist alles anders: Merkel und ihre Mannen echauffieren sich über die Amerikaner. Dieses Umschwenken ohne einen Hauch von Selbstkritik und Demut ist ignorant und politisch schwach.

Auf der anderen Seite sollte der Grundsatz gelten: Besser spät, als nie. Es ist richtig, wenn die Kanzlerin und die Union nun endlich Konsequenzen ziehen wollen aus der NSA-Affäre und die Bürger vor staatlicher Observation schützen. Aber bei Worten alleine darf es nicht bleiben.

Die Affäre um Merkels Handy ist nur ein Detail der Affäre, doch wenn dieses Detail dazu führt, um Bürgerrechte und Datensicherheit zu stärken: umso besser. Ein besseres Timing dazu kann es nicht geben. Denn die aktuelle Konstellation birgt das Potential, Dinge nachhaltig zu ändern.

Ein ausgehöhltes Grundrecht

In den vergangenen Tagen wurde oft über die Risiken der Machtfülle einer großen Koalition gesprochen. Doch eine satte parlamentarische Mehrheit bedeutet auch eine breite Legitimation, wenn es darum geht, Konsequenzen aus dem NSA-Skandal zu ziehen.

CDU, CSU und SPD könnten einen schweren Fehler beheben, den die erste große Koalition 1968 begangen hat. Damals änderte die Bundesregierung das Post- und Fernmeldegeheimnis, das in Artikel 10 des Grundgesetzes verankert ist. Seitdem wird das Grundrecht erheblich eingeschränkt. Ein Zusatz erlaubt staatliche Überwachung unter bestimmten Bedingungen.

So haben die Behörden das Recht, bespitzelte Personen über ihre Ausspähung im Unklaren zu lassen - sie können das mit Sicherheitserwägungen legitimieren. Und auch in Fällen, in denen solche Bedenken nicht vorliegen, kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass Betroffene nicht informiert werden. Gerichtlich kann sich ein Bürger dagegen nicht wehren, weil der Rechtsweg ausgeschlossen ist.

Mit anderen Worten: Ein Postgeheimnis gibt es streng genommen in Deutschland nicht mehr. Dafür einen Freibrief für Geheimdienste, in Deutschland zu spitzeln.

Es handelt sich um die Aushöhlung eines Grundrechts, die der CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger und sein SPD-Vizekanzler Willy Brandt verantwortet haben. Gewiss: 1968 war die Nation geteilt und die Bundesrepublik nur teilsouverän - besondere Rechte lagen bis 1990 bei den drei Westalliierten - unter diesen Umständen kam die Grundgesetzänderung damals zustande. 45 Jahre später (und 23 Jahre nach der Wiedervereinigung) ist es Zeit, die Verhunzung eines Grundrechts zu beseitigen.

Merkel in der Zange

Im neuen Koalitionsvertrag soll der Datenschutz Raum bekommen. Das fordern sowohl SPD-Chef Sigmar Gabriel, als auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Sie nehmen damit die Kanzlerin in die Zange. Der bayerische Ministerpräsident macht keine Rolle rückwärts, hat er doch im Gegensatz zu den Berliner Unionisten schon im August weitere Aufklärung im NSA-Skandal gefordert. Und Gabriel hatte im Wahlkampf mit Verve gegen Merkels wolkiges Ignorieren der Affäre gewettert. Nun sollten sich beide Herren auch durchsetzen.

Doch Papier ist geduldig und schon der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag war berüchtigt für seine Schwammigkeit. Deshalb ist es en détail festzuhalten, was wie angegangen wird. Die Wiederherstellung des Postgeheimnisses wäre ein solcher Schritt. Es sollte selbstverständlich sein, überwachte Personen im Nachhinein zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, juristisch dagegen vorzugehen. Die künftige Koalition könnte eine entsprechende Grundgesetzänderung zügig beschließen.

Eine solche Änderung kostete kein Geld, vielleicht wäre sogar eine hunderprozentige Mehrheit möglich, denn Linke und Grüne dürften kaum dagegen stimmen. Für die künftige Koalition wäre es ein Pfund, mit dem sie später wuchern könnte. Nach dem Motto: Seht her, wir schützen unsere Bürger.

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