Folgen des Austritts:EU rüttelt Unternehmen vor dem Brexit wach

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"Die Uhr läuft": Am 30. März 2019 endet die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union. (Foto: Oli Scarff/AFP)
  • Die EU-Kommission bereitet die Wirtschaft per Handreichung auf den Austritt Großbritanniens aus der EU vor.
  • Einig ist man sich in Brüssel, dass der Brexit "unausweichliche" Konsequenzen haben werde, auch im günstigsten Fall.
  • Hoffnung macht, dass die britische Regierung ein Freihandelsabkommen mit der EU anstrebt. Doch bei den Details wird es knifflig.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist eine Mahnung, die schon unzählige Male wiederholt worden ist: "Die Uhr läuft", warnt EU-Chefunterhändler Michel Barnier seitdem die britische Premierministerin Theresa May am 29. März 2017 offiziell den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union angemeldet hat. In aller Regel ging die Mahnung an die Briten, die nur sehr zögerlich konkrete Vorstellungen von der Zukunft nach dem Brexit präsentierten. Mittlerweile aber gilt der Weckruf auch der EU selbst.

"Die Vorbereitungen auf alle möglichen Szenarien müssen sofort auf allen Ebenen verstärkt werden", heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung der EU-Kommission. "Unausweichliche" Konsequenzen werde es in jedem Fall - auch im günstigsten - haben, wenn das Vereinigte Königreich am 30. März 2019 um null Uhr aufhört, Mitglied der Europäischen Union zu sein, sagt ein zuständiger EU-Mann. Das erfordere Vorbereitungen nicht nur in Brüssel, sondern in den EU-Staaten und bei den Unternehmen.

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Für die Wirtschaft hat die Kommission nun eine kleine Handreichung vorbereitet. "Sieben Dinge, die Unternehmen in der 27er-EU wissen müssen, um sich auf den Brexit vorzubereiten", ist der dreiseitige Infozettel überschrieben. Von Lieferketten über Zertifikate, Zölle, Herkunftsnachweise, Importbeschränkungen bis zum Datenaustausch ist aufgeführt, was alles betroffen ist, wenn sich Großbritannien über Nacht in einen Drittstaat verwandelt. Auskunft, was sich wie und wann ganz konkret ändern wird, kann der Infozettel freilich auch nicht geben.

Alles hängt davon ab, ob sich die EU und Großbritannien rechtzeitig auf ein Austrittsabkommen verständigen. Nur dann kann sich wie geplant an den Austritt eine 21 Monate lange Übergangsfrist anschließen, in der die bisherigen Regeln im Wesentlichen erst einmal weiter gelten.

"Natürlich müssen wir für alle Eventualitäten gewappnet sein"

Gelingt das nicht, wären die Konsequenzen dramatisch. An den Grenzen müssten Zölle erhoben werden und nicht nur das: Jedes Produkt, jedes Lebensmittel wäre auf Einhaltung von Normen und Standards zu überprüfen. Im Warenverkehr zwischen der EU und Britannien käme es zu "erheblichen Beeinträchtigungen und langen Wartezeiten", heißt es in der Mitteilung. Theoretisch gilt dann zwischen dem Königreich und den Staaten der EU sogar Visapflicht. Jedenfalls müssten Vorkehrungen getroffen werden, um das zu verhindern.

"Wir arbeiten sehr hart, um ein Austrittsabkommen mit dem Vereinigten Königreich zu erreichen, aber natürlich müssen wir für alle Eventualitäten gewappnet sein", sagte eine Sprecherin von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Kommission will ihren Weckruf aber nicht als Misstrauensvotum gegen die Brexit-Verhandlungen verstanden wissen, die nach dem Willen beider Seiten beim EU-Gipfel im Oktober zu einer Einigung über das Austrittsabkommen führen sollen. Der Widerstand, auf den Premierministerin May im eigenen Land gegen ihren zuletzt eher pragmatischen Brexit-Kurs gestoßen ist, hat das Zutrauen in einen Verhandlungserfolg aber nicht erhöht.

Bei seinem ersten Besuch in Brüssel durfte sich der neue britische Brexit-Minister Dominic Raab am Donnerstag dennoch erst einmal über einen gewissen Zuspruch freuen. Die Tatsache, dass die britische Regierung endlich ein Weißbuch mit ihren Vorstellungen für das künftige Verhältnis vorgelegt hat, stieß auf Lob. "Jetzt haben wir etwas, womit wir arbeiten können", sagte ein EU-Vertreter. Überbewerten solle man das aber nicht. Das Weißbuch, das seien "nicht die zehn Gebote".

Trotzdem wird in Brüssel goutiert, dass die britische Regierung sich darin dazu bekannt hat, ein Freihandelsabkommen anzustreben. So weit, so gut, so allgemein. Wenn es jedoch um die konkreten Vorstellungen Londons geht, fällt das Fazit nicht mehr ganz so positiv aus. Was die Wirtschaftsbeziehungen betrifft, schlägt das Königreich der EU vor, dass sich Großbritannien auch nach dem Austritt und der vereinbarten Übergangsphase an die EU-Regeln für Industrie- und Agrargüter hält. Britische Gerichte sollen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beachten. May will damit durchsetzen, dass britische Exporteure weiter in den Genuss des europäischen Binnenmarktes kommen - es sollen sich also keine bürokratischen Hürden auftun. Damit, so hofft London, würde sich auch das Problem einer ansonsten harten Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland lösen. Schließlich könnten dann Waren ohne Kontrollen die innerirische Grenze passieren.

In Brüssel ist man davon nicht überzeugt, denn die anderen Freiheiten des EU-Binnenmarktes lehnt London ab - insbesondere die Personenfreizügigkeit. Die britische Regierung will die Einwanderung aus der EU kontrollieren. Diese Haltung stößt in Brüssel auf massiven Widerstand. Rosinenpickerei gibt es nicht, lautet das Mantra - schon gar nicht beim Kern der EU, dem gemeinsamen Binnenmarkt.

Für Banken und Finanzdienstleister sollen die Privilegien hingegen wegfallen. May wirbt für ein Modell namens Mutual Recognition, eine gegenseitige Anerkennung. Großbritannien und die EU sollen dabei ihre eigenen Regeln festlegen und erkennen dabei an, dass die Regeln des Partners nicht dieselben, aber gleichwertig sind. Banken sollen dann weiter ungehindert Geschäfte machen dürfen. Die EU lehnt diesen Vorschlag ab. Es gäbe sogar eine Alternative. Die EU gewährt Finanzfirmen aus bestimmten Ländern, etwa der Schweiz oder den USA, für manche Dienstleistungen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt, weil Brüssel die Regeln des Staates als gleichwertig ansieht. Das nennt sich Äquivalenzprinzip. Dieses Verfahren ist jedoch kompliziert und bietet nur geringe Planungssicherheit.

May will zudem eine Zollunion mit der EU eingehen, die später durch ein neuartiges und noch nirgendwo erprobtes Zollabkommen ersetzt wird. Ein solches soll London die Freiheit lassen, eigene Handelsverträge zu unterschreiben. In Brüssel hält man davon wenig.

Immerhin in einem Punkt war sich Raab mit Barnier am Donnerstag einig. "Die Uhr läuft", sagte der Brexit-Minister.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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