Flüchtlingskrise:De Maizière nennt Anzahl der Flüchtlinge "einfach zu hoch"

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Innenminister de Maizière spricht im Bundestag zur Flüchtlingskrise. (Foto: AFP)
  • Der Bundestag verabschiedet mit großer Mehrheit ein Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.
  • Bundesinnenminister Thomas de Maizière will sich in der Debatte weder auf eine Obergrenze noch auf eine neue Prognose der zu erwartenden Flüchtlinge festlegen. Die Anzahl derer, die in diesem Jahr nach Deutschland kämen, sei aber "einfach zu hoch".
  • Bundeskanzlerin Merkel nennt die Flüchtlingskrise eine "historische Bewährungsprobe Europas".

475 Abgeordnete stimmen für das Asylpaket

Mit großer Mehrheit hat der Bundestag ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise verabschiedet. Durch die Gesetze sollen die Asylregeln verschärft, die Verfahren beschleunigt und ein zügiger Bau von Unterkünften möglich werden. Vorgesehen sind zudem Milliardenhilfen des Bundes für Länder und Kommunen. 475 Abgeordnete stimmten mit Ja, 68 mit Nein. 57 Parlamentarier enthielten sich.

Wer aus wirtschaftlichen Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung oder Krieg einreist, soll schneller abgeschoben werden. Menschen, die in Deutschland bleiben dürfen, erhalten aber schneller Zugang zu Integrationskursen sowie zum Arbeitsmarkt. Darüber hinaus werden mit dem Asylgesetz die Westbalkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten eingestuft, um die Asylverfahren zu beschleunigen.

Die Einzelheiten des Asylpakets lesen Sie hier.

"Die Zahl derer, die in diesem Jahr zu uns kommen, ist einfach zu hoch"

Bundesinnenminister Thomas de Maizière wollte sich in der Debatte nicht auf eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegen. Eine Antwort auf diese Frage könne es nicht geben, sagte der CDU-Politiker. Klar sei aber: "Die Zahl derer, die in diesem Jahr zu uns kommen, ist einfach zu hoch." Er kenne niemanden, der das ernsthaft bestreite, sagte de Maizière.

Bereits am Morgen hatte der Innenminister im ZDF-"Morgenmagazin" zurückgewiesen, dass es in der Union grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über die Begrenzung des Flüchtlingszustroms gebe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel habe nie dafür plädiert, dass "alle kommen dürfen", so de Maizière. "Das stimmt überhaupt nicht. Wir arbeiten alle daran, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen."

Um den Zustrom zu verringern, seien Maßnahmen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene notwendig. Keine Maßnahme sei jedoch allein geeignet, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Eine neue Prognose der zu erwartenden Migranten lehnte de Maizière ab. "Jede neue Zahl würde umgedeutet, um nach innen die Sorgen zu vergrößern und um nach außen mehr Menschen in Kriegsgebieten vorzutäuschen, sie würden geradezu eingeladen nach Deutschland."

Der Innenminister bekräftigte, Flüchtlinge müssten in Deutschland Gesetze und Gewohnheiten akzeptieren und einhalten. Zugleich verurteilte er Übergriffe auf Asylbewerber und ihre Unterkünfte. "Menschen, die Flüchtlinge hassen, hassen in Wahrheit auch unser Land", sagte de Maizière. Menschen, die wie unlängst bei einer islamfeindlichen Pegida-Demonstration einen Galgen zeigten, verließen "jeden Boden für Dialog in unserem Land".

Merkel fordert "gesamteuropäisches Vorgehen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer Regierungserklärung im Hinblick auf die Flüchtlingskrise: "Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu begreifen." Der Zusammenhalt Europas sei ein unverzichtbarer "Schatz", aber keineswegs selbstverständlich. Mit "aller Entschiedenheit" wolle sie sich im Kreis der EU-Länder deshalb für ein "gesamteuropäisches Vorgehen" zur Bewältigung des hohen Flüchtlingsaufkommens einsetzen. Abschottung sei im 21. Jahrhundert eine Illusion, sagte Merkel. Sie sei keine Alternative für Deutschland und auch nicht für die Europäische Union.

Allerdings sagte Merkel auch, dass die Lage an den Außengrenzen der EU wieder unter Kontrolle gebracht werden müsse. Das Dublin-Abkommen funktioniere derzeit nicht. Sie appellierte an die EU-Staaten, mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Die Kommission habe bis zu 1100 Personen angefordert, sagte Merkel. Nur wenige Länder hätten sich gemeldet, darunter Deutschland und Österreich. "Die Meldungen sind enttäuschend", sagte die Regierungschefin.

Für Deutschland forderte sie, dass Menschen ohne Asylanspruch das Land schneller wieder verlassen müssten, Schutzbedürftige bekämen durch die Gesetzespläne der Bundesregierung dagegen effizientere Hilfe.

Um Fluchtursachen zu bekämpfen, müsse eine Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien gefunden werden, hob die Kanzlerin hervor. Dazu dienten ihre Reise am Sonntag in die Türkei sowie der am Wochenende beginnende Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Iran, Saudi-Arabien und Jordanien.

Syriens Nachbarländern stellte Merkel weiteres Geld in Aussicht. Die EU habe bereits 200 Millionen Euro zur Unterstützung der Hilfsorganisationen genehmigt und im kommenden Jahr solle es zusätzlich 300 Millionen Euro geben, sagte sie. Deutschland habe einen eigenen Betrag von 100 Millionen Euro für die Flüchtlingslager etwa in Jordanien und dem Libanon bereitgestellt.

Eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Krise sprach Merkel der Türkei zu. Man werde die Flüchtlingsbewegung nicht eindämmen können, ohne mit der Türkei zusammenzuarbeiten, vor allem was die Grenzsicherung und die Bekämpfung von Schlepperbanden zwischen Griechenland und der Türkei angehe. "Es ist nicht hinnehmbar, dass die schmale Meeresrinne, die zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln, und damit zwischen zwei Nato-Partnern liegt, im Augenblick von Schleppern beherrscht wird", sagte Merkel. Sie werde am Sonntag nach Istanbul reisen, um mit der türkischen Regierung über die Ergebnisse des EU-Gipfels zu sprechen, sagte Merkel.

Seehofer fordert Signal von der Kanzlerin

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) setzte Merkel bei seiner Regierungserklärung im Landtag erneut unter Druck. Er forderte ein Signal der Kanzlerin an die Welt, dass Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen könne. Nötig seien eine Begrenzung der Zuwanderung und eine Rückkehr zu den sogenannten Dublin-Regeln. Flüchtlinge, die aus einem anderen EU-Land einreisen, dürften demnach eigentlich an den Grenzen abgewiesen und wieder dorthin zurückgeschickt werden. Das wird derzeit nicht gemacht.

Zugleich bekräftigte Seehofer die CSU-Forderung nach europaweiten Kontingenten - also Obergrenzen - auch für Bürgerkriegsflüchtlinge. "Was die Menschen jetzt brauchen, sind Taten", sagte Seehofer. Statt Ortsbesichtigungen, schlauer Sprüche oder warmer Worte brauche man jetzt einen klugen Kompass und klares Handeln - vor allem eine Begrenzung der Zuwanderungszahlen. "Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern", sagte der CSU-Chef. Seit Anfang September bis zum 13. Oktober seien fast 300 000 Flüchtlinge in Bayern angekommen. Wenn die Politik dem keine Grenzen setze, würden die Menschen der Politik Grenzen setzen - "und zwar durch Entzug des Vertrauens".

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Wagenknecht greift Merkel an - "Armutszeugnis für Europa"

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht warf der Regierung in der Flüchtlingskrise große Versäumnisse vor. Als Banken getaumelt seien, habe man viel Geld mobilisiert, "heute taumeln in Deutschland Städte und Gemeinden, aber Sie hantieren mit Kleinbeträgen", sagte sie im Bundestag. Auch wenn Merkel zum 100. Mal ihre Losung "Wir schaffen das" wiederhole, helfe das einem überforderten Bürgermeister nicht. "Natürlich können wir es schaffen, Deutschland ist ein reiches Land", sagte Wagenknecht. Die Regierung müsse dazu aber den Mut haben, sich Geld bei den Reichen zu holen und nicht bei den Armen.

Mit Blick auf die EU sagte die Linke-Politikerin, Europa brüste sich mit Werten wie Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit. In der Flüchtlingskrise zeige sich aber, wie wenig die EU mit diesen Werten zu tun habe. Es gehe nur um mehr Abschottung. Was dort geschehe, sei eher "ein Konjunkturprogramm für die Stacheldrahthersteller und die Schleusermafia", beklagte Wagenknecht. "Das ist ein Armutszeugnis für Europa."

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt rief die Union auf, die Flüchtlingskrise beherzter anzugehen. Es wundere sie, dass die Union ausgerechnet jetzt "in eine Identitätskrise gerät", sagte sie in der Debatte mit Blick auf die unionsinterne Kritik am Kurs Merkels. "Kommen Sie raus aus der Angstecke", appellierte Göring-Eckardt an Politiker der CDU/CSU. Wenn sich die Politik zum "Anwalt der Angst" mache, "haben wir in der Tat ein großes Problem".

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann lehnte die von der Union geforderten Transitzonen für Asylbewerber direkt an den Landesgrenzen ab. "Wir wollen auch bessere Kontrollen an der Grenze", sagte Oppermann. "Aber Grenzhaftlager für Tausende von Flüchtlingen, das wird mit uns nicht zu machen sein."

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Merkel spricht von "Hoffnungsschimmer" für die Ukraine

Bevor Merkel über die Flüchtlingskrise sprach, hatte sie sich unter anderem auch zum Krieg in der Ukraine geäußert. Der weitgehend stabile Waffenstillstand und die Absage der Wahlen in den Separatistengebieten seien ein "Hoffnungsschimmer", sagte sie. Der unabdingbare Schlussstein des Minsker Abkommens sei allerdings der Abzug aller illegalen Truppen aus der Ostukraine sowie die vollständige Kontrolle der Ukraine über ihre Grenze, sagte Merkel. Ziel Europas bleibe die Wiederherstellung der Selbstbestimmung der Ukraine und ihre territoriale Unversehrtheit.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/epd/Reuters/mane - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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