Flüchtlinge in Bulgarien:Nur weg hier

"Ich esse, was man mir zuwirft": Flüchtlinge werden in Bulgarien regelmäßig in Gefangenenlager gesperrt, weil es für sie keinen Platz gibt. Damit verstößt das südosteuropäische Land, das der Schengen-Zone beitreten will, gegen nationale Gesetze - und EU-Regeln. Selbst jene, die gerne in Bulgarien bleiben würden, sehen sich deshalb gezwungen, ihr Glück in Westeuropa zu suchen.

Juliana Koleva, Sofia

Zum fünften Mal haben die deutsche Robert-Bosch-Stiftung und die ERSTE-Stiftung in Wien junge Journalisten in den Balkan-Ländern zu einem Recherche- und Reportagewettbewerb eingeladen. Juliana Koleva aus Bulgarien ist die Preisträgerin 2011.

Flüchtlinge in Bulgarien: Die miserablen Lebensbedingungen in dem einzigen Auffanglager für Flüchtlinge in Bulgarien empfinden andere Asylsuchende, die nicht in dem Auffanglager untergekommen sind, als traumhaft.

Die miserablen Lebensbedingungen in dem einzigen Auffanglager für Flüchtlinge in Bulgarien empfinden andere Asylsuchende, die nicht in dem Auffanglager untergekommen sind, als traumhaft.

Ein Besuch im Gefangenenlager von Liubimets an der türkisch-bulgarischen Grenze ist nichts für Menschen mit schwachen Nerven. Die wenigen Außenstehenden, die sich hierher wagen, werden in kürzester Zeit von Dutzenden wütender Immigranten umringt. In unterschiedlichen Sprachen brüllen alle ein und dieselbe Frage: "Warum sind wir im Gefängnis?"

"Wir wissen nicht, warum wir festgehalten werden. Niemand erklärt uns, was hier eigentlich los ist", schreit ein etwa 20-jähriger Tunesier. Ein Algerier, Anfang dreißig, fragt: "Ist Bulgarien nicht in der Europäischen Union? Ihr habt kein Recht, mich ins Gefängnis zu stecken."

Asylbewerber, die nach Bulgarien kommen, etwa 1000 im Jahr, werden erst einmal eingesperrt, in zwei gesicherten Lagern, in Liubimets oder in Busmansti, nahe der Hauptstadt Sofia. Die meisten werden monatelang festgehalten, was sowohl nationalen Gesetzen als auch EU-Richtlinien widerspricht.

Viele fürchten nun, dass die Situation völlig außer Kontrolle geraten könnte, sobald Sofia der grenzkontrollfreien Schengen-Zone beitritt. Denn damit könnte die Zahl der illegalen Migranten in Bulgarien dramatisch ansteigen. In Griechenland warten bereits tausende Flüchtlinge aus Asien und Afrika auf eine Chance, weiter nach Westen zu gelangen. Sie könnten versuchen, nach Bulgarien zu kommen.

Festnahme als einzige Option

Bulgarische Regierungsbeamte geben zu, dass sie EU-Gesetze brechen, sie bestehen aber darauf, dass sie nur 400 Asylbewerber in eigens dafür eingerichteten, offenen Auffangzentren versorgen könnten. Nikola Kazakov, Direktor der staatlichen Flüchtlingsbehörde, sagt, man müsse die Asylbewerber einsperren, weil es sonst schlicht keinen Platz für sie gebe.

Eine Entscheidung über Bulgariens Gesuch der Schengen-Zone beizutreten, wurde von den EU-Innenministern im vergangenen September erst einmal wieder vertagt, nachdem sich die Niederlande und Finnland dagegen ausgesprochen hatten. Schengen-Mitglieder wollen keine Wiederholung der Situation in Griechenland, wo allein im Jahr 2010 rund 41.000 Immigranten illegal die türkisch-griechische Grenze passierten, in der Hoffnung, es bis nach Westeuropa zu schaffen.

Offiziell soll über Asylfälle in Bulgarien innerhalb von sechs Monaten entschieden werden. In der Praxis dauert es aber viel länger. Um aus den Lagern freizukommen, müssen die Asylbewerber eine Erklärung unterschreiben. Darin versichern sie, dass sie eigene Unterkünfte haben und dass sie sich selbst versorgen können. Viele denken sich eigens zu diesem Zweck irgendwelche Adressen aus.

"Ich esse einmal alle zwei Tage"

"Einer hat eine Adresse des bulgarischen Roten Kreuzes eingetragen, die er auf einem Flugblatt gesehen hat, und wurde sofort freigelassen, hatte dann jedoch keinen Ort, an dem er wohnen konnte", sagt Linda Awanis, eine Irakerin, die den Vorsitz des bulgarischen Frauenflüchtlingsrates innehat. "Ein paar Afghanen sagen, dass sie eine Wohnung in Sofia kennen, die angeblich mindestens 20 Leute beherbergt."

Bulgarien 1

Auch Kinder werden in Bulgarien in Lager gesperrt, nur zwei Mal am Tag dürfen sie ins Freie, in abgeschlossene Höfe.

"Ich bin nun schon seit mehreren Monaten auf der Straße. Ich esse einmal alle zwei Tage, was immer man mir zuwirft. Ich habe mehr als zehn Kilo an Gewicht verloren. Niemand hat mich zu einem (Asylbewerber-)Interview eingeladen und die Prozedur wird immer wieder vertagt", sagt ein 20-jähriger Iraner, der seinen Namen nicht nennen möchte.

6000 Verschwundene

Dazu gezwungen, sich zwischen dem Betteln auf der Straße, illegaler Arbeit oder Diebstahl zu entscheiden, suchen auch diejenigen, die gerne in Bulgarien bleiben möchten, ihr Glück lieber in anderen europäischen Ländern. In den vergangenen zehn Jahren wurden etwa 6000 der annähernd 15.000 Asyl-Bewerbungen wieder zurückgezogen. Diese 6000 Leute sind aus dem System verschwunden, und die bulgarischen Behörden haben keine Ahnung, wo sie sich aufhalten.

"Eine große Anzahl von Asylbewerbern, die in Bulgarien gestrandet sind, waren eigentlich auf dem Weg in ein anderes Land, daher können wir davon ausgehen, dass diese Leute, deren Verfahren eingestellt wurden, sich in andere EU-Staaten begeben haben", sagt Iliana Savova, eine Anwältin, die für das bulgarische Helsinki-Komitee arbeitet.

Viele aber, die es in andere EU-Länder schaffen, werden nach Bulgarien zurückgeschickt. Seit 2003 ist das sogenannte "Dublin Reglement" in allen EU-Staaten in Kraft. Danach müssen Asylbewerber in das Mitgliedsland zurückkehren, in dem sie sich zuerst um den Flüchtlingsstatus beworben haben.

Die EU hat eine europäische Fingerabdruck-Datei erstellt - Eurodac - und die Mitgliedstaaten müssen Fingerabdrücke und andere Daten von jedem Immigranten speichern, um die Rückführungen zu erleichtern.

Payam (Name geändert) sagt, dass er in seiner Heimat Iran von der Polizei im Zuge einer staatlichen Razzia im Anschluss an die umstrittenen Wahlen von 2009 festgenommen und gefoltert wurde. Er hatte sich ursprünglich um den Flüchtlingsstatus in Sofia beworben, konnte jedoch nach England gelangen, wo er Verwandte hat. Drei Monate später wurde er nach Bulgarien zurückgeschickt. In Sofia wurde sein zweiter Asylantrag - nun fünf Monate später - immer noch nicht registriert. Er kann daher keine Wohnung anmieten, kein Geld vom Konto abheben.

"Das ist kein Leben; es ist härter als man ertragen kann ... Ich würde es vorziehen, zu Hause in einem Gefängnis zu leben, wo ich auf jede erdenkliche Weise gefoltert worden bin", sagt Payam.In einigen Ländern der EU erhalten Flüchtlinge, die nicht zurückgeschickt werden können, ein vorübergehendes Bleiberecht, es ist ihnen auch erlaubt, zu arbeiten, um selbst für den Lebensunterhalt aufzukommen. Nicht so in Bulgarien. So bleiben viele Asylsuchende in einem Teufelskreis aus Bewerbung, Ablehnung, Berufung und Neubewerbung gefangen.

Kriminalisierte Immigranten

Juliana Koleva

Die Journalistin Juliana Koleva aus Bulgarien hat den Recherche- und Reportagewettbewerb von Robert-Bosch- und ERSTE-Stiftung gewonnen.

Mohammed stammt aus Afghanistan, ist Mitte dreißig und seit zwölf Jahren in Bulgarien. Er wartet immer noch auf eine abschließende Entscheidung über seinen Asylantrag, nachdem er acht verschiedene Bewerbungen eingereicht hat. "Ich kann und will nicht nach Afghanistan zurückkehren, wo mein Leben in Gefahr ist. Ich kann es mir nicht leisten, Schlepper zu bezahlen, damit sie mich in andere europäische Länder bringen. Ich kann hier illegal arbeiten, aber die Behörden greifen hart gegen diejenigen Chefs durch, die Illegale beschäftigen. Was kann ich sonst tun, stehlen oder ein Krimineller werden?", fragt er.

"Es ist so, als wenn man auf einem Markt wäre, du gehst hin und wählst dir deinen Schlepper aus, abhängig davon, wohin in Europa du gehen möchtest und wie viel du bezahlen kannst", sagt Farhat, ein etwa 20-jähriger Afghane, der 2001 über die türkische Grenze nach Bulgarien kam.

Die griechische Krise

Die meisten Flüchtlinge, die über die Türkei einen Weg nach Europa suchen, kommen zunächst in Griechenland an. Tausende von Immigranten leben inzwischen dort, viele sind vor gewaltsamem Konflikten und extremer Armut geflohen, aus Afghanistan, Kongo, Irak oder Libyen. Auch in Griechenland werden viele Migranten erst einmal interniert. Wegen seines Umgangs mit den Flüchtlingen wurde Griechenland bereits von Amnesty International, dem "Europäischen Komitee für die Verhütung von Folter" und dem Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heftig kritisiert. Die Regierung in Athen wiederum sagt, eigentlich handle es sich hier um ein europäisches Problem. Schließlich habe Frontex, die EU-Grenzsicherungsmission, festgestellt, dass 90 Prozent der illegal in die EU Einreisenden nach Griechenland kämen - vor allem über die griechisch-türkische Grenze.

Frontex leitet auch Operationen in Griechenland. Aber nur wenige Menschen in der Grenzregion glauben, dass die Patrouillen den Zustrom von Immigranten stoppen werden, die verzweifelt danach trachten, in den Westen zu kommen.

Bulgarien das nächste Griechenland?

"Ich habe große Hoffnung, dass Bulgariens Mitgliedschaft in der Schengen-Zone den Druck, der auf uns lastet, verringern wird", sagt ein griechischer Grenzbeamter, der lieber anonym bleibt. "Wir werden eine zwölf Kilometer lange Mauer entlang der Grenze zur Türkei errichten, wir werden die Kontrolle entlang des Flusses verstärken und dies wird den Immigrantenzustrom nach Bulgarien umlenken, sagt er. Dann lächelt er und erklärt, dass er seinen Arbeitstag oft damit beendet, die 210 Kilometer lange Landgrenze zwischen der Türkei und Bulgarien auf Google Maps nachzuzeichnen.

Der Omonia-Platz ist Teil des historischen Zentrums von Athen und war einst sowohl für Ortsansässige als auch für Touristen eine beliebte Vergnügungsmeile. Heute bleiben Hotels und Geschäfte geschlossen, da die Gegend praktisch von Immigranten eingenommen wurde, von denen viele sich gezwungen sehen, leer stehende Gebäude zu besetzen oder auf den Straßen zu schlafen. Die Einheimischen fürchten sich, nachts dorthin zu gehen, die Kriminalitätsrate sei dramatisch gestiegen, heißt es. Der Bürgermeister von Athen, Giorgos Kaminis, hat kürzlich davor gewarnt, dass sich, falls der Staat nicht eingreife, der Omonia-Platz in eine "Kriegszone ähnlich der in Beirut während der 1970er Jahre" verwandeln werde.

Rumänien an der Spitze

Rumänien ist ein anderer Schengen-Kandidat, der gegenwärtig eine hohe Anzahl an Flüchtlingsbewerbungen erhält. Bukarest ist jedoch besser dazu in der Lage, Asylsuchende aufzunehmen, da das Land über fünf offene Auffanglager verfügt, die 1200 Menschen auf einmal versorgen können. Während die Ablehnungsrate von Asylbewerbern hoch ist, gewährt Rumänien einen "Toleranzstatus", so dass Asylsuchende, über deren Fälle nicht entschieden werden kann - und die nicht abgeschoben werden können - ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht erhalten.

Glaubt man einer Erhebung des "Migranten-Integrationspolitikindex" (Mipex) des British Council, ist Rumänien auch weiter als Bulgarien, wenn es um Integration geht. Mipex betont, dass Bukarest Asylsuchenden einen relativ uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermögliche, sobald sie ein Jahr im Land leben. Dazu können Immigranten die rumänische Staatsbürgerschaft erwerben, ohne ihre eigene Nationalität aufzugeben. Wegen seiner geographischen Lage aber ist Rumänien als Fluchtziel auch weniger geeignet als Bulgarien. "Wir erwarten keinen Anstieg an Asylanträgen im Zuge einer Schengen-Mitgliedschaft. Rumänien ist auch ein armes Land und deshalb nicht so attraktiv", sagt Carolina Marin, eine Anwältin, die für die UN-Flüchtlingsagentur in Bukarest arbeitet.

Schlepper tricksen die Grenzkontrollen aus

Bulgarien möchte immer noch der Schengen-Zone beitreten, ob dies gelingt, ist aber ungewiss. "Bisherige Erfahrungen zeigen, dass der Bau von Mauern und strengere Grenzkontrollen keine geeigneten Mittel sind, um die Probleme von Flüchtlingen und Immigranten zu lösen. Schlepper werden schlicht andere Wege finden, um Leute nach Europa zu schleusen", sagt Mauro Longo, ein Filmemacher und Aktivist, der mit "European Alternatives" (Europäische Alternativen) assoziiert ist, einer Organisation in London, die Konferenzen, Kunstfestivals und Symposien zu globalen Flüchtlingsfragen organisiert. Bulgarien müsse anfangen, Flüchtlinge zu integrieren, sagt Lorenzo Marsili, Direktor der "European Alternatives". Falls man nicht handle, "wird Bulgarien in dieselbe Situation geraten wie Griechenland", warnt er. Darauf sei die bulgarische Öffentlichkeit höchstwahrscheinlich nicht vorbereitet.

Juliana Koleva ist eine in Sofia beheimatete Journalistin. Dieser Artikel wurde im Rahmen des "Balkan Fellowship for Journalistic Excellence" geschrieben, einer Initiative der Robert Bosch Stiftung und der ERSTE-Foundation, in Kooperation mit dem "Balkan Investigative Reporting Network".

Aus dem Englischen von Devrim Karahasan.

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