FDP-Avancen in Richtung SPD:Warum Rot-Gelb ein Hirngespinst ist

Wechselt die FDP das Lager? Viele Liberale fühlen sich von der Union gegängelt, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger denkt laut über die SPD als Koalitionspartner nach. Doch eine rot-gelbe Allianz im Bund wäre auch 29 Jahre nach dem Ende der Regierung Schmidt ziemlich verwegen.

Lilith Volkert und Michael König

Nicole singt "Ein bisschen Frieden" und gewinnt als erste Deutsche den Schlager-Grand-Prix. In den US-Kinos entwickelt sich E.T. - Der Außerirdische von Steven Spielberg zum Kassenschlager. Und Larry Holmes wird Weltmeister im Schwergewichtsboxen, während Wladimir Klitschko gerade das Grundschulalter erreicht. Gefühlt ist das eine Ewigkeit her, tatsächlich war es 1982. Das Jahr, in dem in Deutschland die erste und bis heute einzige rot-gelbe Koalition auf Bundesebene in die Brüche ging. Am 17. September traten damals sämtliche FDP-Bundesminister von ihren Posten zurück und beendeten damit die Kanzlerschaft Helmut Schmidts.

Partnerschft zwischen US-Lotterien Powerball und Mega Millions

Liebe in Rot-Gelb: Was diese Lotto-Gewinner glücklich macht, wird in Berlin nicht funktionieren.

(Foto: dpa)

Seitdem hat es auf Bundesebene keine sozialliberale Koalition mehr gegeben. Heute jedoch denkt offenbar manch ein Freidemokrat mit Interesse zurück an die Zeit vor 29 Jahren. Etwa die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die eine Renaissance ins Gespräch gebracht hat. Mitten in der Legislaturperiode - und obwohl Rot-Gelb keine wirkliche Machtperspektive hat. "Die FDP darf sich nicht einseitig auf die Union ausrichten", sagte sie in einem Interview, das auf Seiten des Koalitionspartners CDU/CSU einige Irritation verursachte.

Viele Liberale fühlen sich von der Union düpiert. Angesichts beständig schlechter Umfragewerte fürchten sie um die Zukunft ihrer Partei - so wie es 1982 der damalige FDP-Außenminister und Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher tat, als er mit der SPD abrechnete: "Die Grenze muss da liegen, wo man sich gegenseitig überfordert, ja wo einer von beiden oder gar beide in die Gefahr geraten, ihre Identität zu verlieren."

Ähnliche Gedanken mögen auch Leutheusser-Schnarrenberger, die bayerische FDP-Landeschefin, antreiben. Zwar sichert sie der Union Bündnistreue zu, sagt im Hinblick auf die Zukunft aber auch: "Das Parteienspektrum verändert sich." Bis auf die Linkspartei orientierten sich inzwischen alle an der Mitte. "Scheuklappen helfen da nicht."

Klingt so der Beginn einer sozialliberalen Renaissance in Deutschland? Die Union gibt sich alarmiert, die SPD jedoch, der potentielle neue Koalitionspartner, mag die Avancen nicht erwidern. Die FDP sei nicht mehr sozialliberal, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Tatsächlich suchten führende Köpfe der letzten rot-gelben Koalition ihr Glück anderswo - der damalige FDP-Generalsekretär Günter Verheugen etwa trat 1982 zur SPD über, wo er zuletzt als Europapolitiker reüssierte. Inhaltlich lassen sich die Gemeinsamkeiten heute an wenigen Fingern abzählen - während die Streitthemen zwischen Roten und Gelben deutlich überwiegen.

[] Leutheusser-Schnarrenberger sagt selbst, es gebe Schnittmengen bei der Außen- und Verteidigungspolitik. Tatsächlich haben Sozialdemokraten die Liberalen in der jüngeren Vergangenheit dafür gelobt, eine klare Perspektive für den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan geschaffen zu haben. Auch streben beide Parteien eine deutsche Vorreiterrolle bei der Abrüstung und eine stärkere Position bei den Vereinten Nationen an.

[] Gemeinsamkeiten gibt es in der Innenpolitik: In ihren Programmen zur Bundestagswahl 2009 lehnen FDP und SPD einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ab. Einigkeit herrscht auch darüber, den Bürgern mehr direkte Demokratie zu ermöglichen. Im Falle der Vorratsdatenspeicherung - einer der großen Knackpunkte zwischen Union und FDP - täte sich auch eine sozialliberale Koalition schwer: Mehrere SPD-Innenminister wollen sie in einer modifizierten Version neu einführen, während Leutheusser-Schnarrenberger solche Vorstöße bislang strikt abgelehnt hat.

[] Wenig Streit wäre auch bei der Familienpolitik zu erwarten: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften wollen SPD und FDP mit der Hetero-Ehe gleichgestellt wissen. Kinderrechte sollen gestärkt, das Kindergeld (FDP) beziehungsweise das Elterngeld (SPD) soll erhöht werden.

Wo Kompromisse schwierig wären

Soweit die Gemeinsamkeiten. Krachen dürfte es dagegen ...

[] ... in der Umwelt- und Energiepolitik: Vielen Liberalen geht der Abschied aus der Atomenergie viel zu schnell. Es war der damalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der das Atommoratorium der Bundesregierung im Mai als voreiliges Wahlkampfmanöver darstellte - heute ist Brüderle FDP-Fraktionschef. Generell hält die FDP die Interessen der Wirtschaft häufig für vorrangig, wenn es um Energie geht - angesichts ihrer Wählerklientel kann sie kaum anders.

Die SPD ist stärker ökologisch orientiert, allerdings plädieren auch Sozialdemokraten für die Berücksichtigung der Unternehmen - um Arbeitsplätze zu sichern. Zuletzt ging etwa der baden-württembergische Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid auf Distanz zu seinem grünen Koalitionspartner, weil Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Autoindustrie im Ländle kritisiert hatte.

[] ... bei der Personalauswahl: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gilt als Galionsfigur der Linken in der FDP, ihre Positionen dürfen nicht mit der liberalen Mehrheitsmeinung gleichgesetzt werden. Zwar hat sich durch den Abgang Guido Westerwelles der Einfluss jener Freidemokraten vergrößert, die eine bedingungslose Partnerschaft mit der Union kritisch betrachten. Aber offen für die SPD sind sie deswegen noch lange nicht.

Generalsekretär Christian Lindner, der sich für eine Öffnung der Partei starkmacht, hält sich gemäß seines Jobs aber an die Richtung des Parteivorsitzenden. Der heißt Philipp Rösler und ist bislang nicht durch einen SPD-freundlichen Kurs aufgefallen. Jedoch gilt auch der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr als Freund der Öffnung zu den Sozialdemokraten - und Fraktionschef Rainer Brüderle kennt die Zusammenarbeit mit den Roten aus seiner Zeit als FDP-Landeschef von Rheinland-Pfalz.

In der SPD gelten vor allem die Mitglieder des einflussreichen Seeheimer Kreises als FDP-kompatibel - ihr Sprecher Johannes Kahrs sagte jedoch, die Liberalen müssten sich "radikal verändern", um als Koalitionspartner in Frage zu kommen.

Und dann gibt es noch die Politikfelder, bei denen die Parteien so weit auseinanderliegen, dass sich eine von ihnen förmlich verrenken müsste, um einen Kompromiss zu finden.

Wo SPD und FDP völlig über Kreuz liegen

[] Steuern und Finanzen: Lange Zeit schien es, als sei der Punkt "Steuersenkung" der weit und breit einzige im Wahlprogramm der FDP. Die Entlastung der Bürger war das zentrale Wahlversprechen - trotz Wirtschaftskrise. Kurz vor der Bundestagswahl 2013 soll es endlich verwirklicht werden, die CDU hat ihre Zustimmung signalisiert.

Die SPD ist wenig begeistert, Parteichef Sigmar Gabriel spricht von "Wahlgeschenken, von denen keiner was hat" und fordert Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, dieses parteitaktische Manöver zu verhindern. Dabei möchte auch die SPD die Bürger entlasten - allerdings nur Geringverdiener und Familien mit Kindern, während die "Reichensteuer" dem SPD-Wahlprogramm zufolge um zwei Prozentpunkte heraufgesetzt und schon ab einem Jahreseinkommen von 125.000 Euro (statt bisher 250.000 Euro) gelten soll.

[] Arbeit und Soziales: Die FDP will den Kündigungsschutz lockern, was für die SPD indiskutabel ist. Sie hat sich die Einführung eines Mindestlohns von 7,50 Euro pro Stunde ins Programm geschrieben, was wiederum gegen die Überzeugung der Liberalen ist. Die FDP kündigte in ihrem Wahlprogramm stattdessen ein pauschales Bürgergeld an, das den Mindestlohn überflüssig machen und die bisherigen Sozialleistungen - Hartz IV, Wohngeld, Kinderzuschlag - ersetzen sollte. Die SPD hatte sich zuletzt für eine Erhöhung von Hartz IV starkgemacht. Außerdem möchte die SPD eine Frauenquote von 40 Prozent für Unternehmen durchsetzen, was die FDP kategorisch ablehnt.

[] Gesundheit: Auch hier haben Liberale und Sozialdemokraten grundsätzlich andere Vorstellungen. Die SPD will die gesetzliche Krankenversicherung steuerlich unterstützen, die privaten sollen unter dem Namen "Bürgerversicherung" mit in den Gesundheitsfonds einbezogen werden. Diesen wiederum sähe die FDP gerne abgeschafft, sie setzt auf eine "starke private Krankenversicherung" und ein leistungsgerechtes Prämiensystem. Beide Ziele zu vereinbaren, ist unmöglich.

[] Bildung: Der FDP ist das Gymnasium heilig, die SPD ist Verfechterin von Gesamtschulen. Auch bei den Studiengebühren ist Zwist absehbar: In Nordrhein-Westfalen hat die SPD sie gemeinsam mit den Grünen abgeschafft. Stattdessen soll das vor Jahren gekürzte Schüler-Bafög wieder her. Die Liberalen halten Studiengebühren für dringend notwendig, um die Qualität des Studiums aufrechtzuerhalten.

Was spricht also für Rot-Gelb? Wenig bis gar nichts, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Die inhaltlichen Gräben zwischen beiden Parteien sind so groß, dass sich die FDP bei einem Partnerwechsel eher verschlechtern würde - heftiger Streit mit der SPD wäre programmiert.

Auch die Wähler scheinen ein sozialliberales Bündnis derzeit nicht für sinnvoll zu erachten. In aktuellen Umfragen kommt Rot-Gelb gerade einmal auf 30 Prozent. Schwarz-Gelb liegt bei 38 Prozent, SPD und Grüne erreichen gemeinsam 49 Prozent.

So drängt sich der Verdacht auf, dass das Gedankenspiel von Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers womöglich nur dazu diente, der Union die Grenzen aufzuzeigen. Mit der Erinnerung an eine Zeit, in der die Liberalen noch die entscheidende Kraft waren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: