Fall Oury Jalloh:Juristische Akribie

Der Bundesgerichtshof verdient Respekt für die Aufhebung des Freispruchs für den Dienstgruppenleiter der Dessauer Polizei, in deren Zelle Asylbewerber Oury Jalloh verbrannte. Am Fall darf sich nicht die Ohnmacht des Rechts, sondern muss sich die Macht des Rechts zeigen.

Heribert Prantl

Ein Mann verbrennt bei lebendigem Leibe. Er verbrennt in der Polizeizelle. Er verbrennt gefesselt an Händen und Füßen.

Fall Oury Jalloh: Die Todesumstände Jallohs haben in der Gesellschaft eine Welle der Empörung ausgelöst. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird der Fall wieder aufgerollt.

Die Todesumstände Jallohs haben in der Gesellschaft eine Welle der Empörung ausgelöst. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird der Fall wieder aufgerollt.

(Foto: Foto: dpa)

Der brennende Mann schreit, aber man hört ihn nicht. Er schreit sich zu Tode, aber man will ihn, trotz akustischer Kontrolle, nicht hören - vielleicht deshalb, weil er betrunken ist und bekifft; vielleicht deshalb, weil der brennende Mann schwarz ist; vielleicht deshalb, weil der Polizist genervt ist von aufsässigen Ausländern.

Der junge Mann verbrennt, während der Beamte den Brandalarm ignoriert, einmal, zweimal, immer wieder. Der Polizist sitzt zwei Stockwerke höher; es macht ihm Umstände, im Keller nachzuschauen. Er stellt das Alarmsignal des Rauchmelders einfach ab. Vielleicht ist er nur träge. Vielleicht isst er gerade seine Brotzeit. Vielleicht ist es ihm völlig egal, was da in der Zelle passiert. Vielleicht sagt er sich: Was immer da passiert, es geschieht dem Kerl recht.

Was immer sich in der Polizeistation von Dessau abgespielt hat, in der Gewahrsamszelle und im Kopf des Polizisten - eine bloße Verkettung unglücklicher Umstände war es nicht: Ein Mensch ist in der Obhut der Polizei gestorben; sie ist ohne jede Einschränkung verantwortlich für das Leben ihres Häftlings - ob es sich um einen volltrunkenen Gemeinderat handelt oder um einen bekifften Asylbewerber. Sie hat die Pflicht, auf die Unversehrtheit des Menschen in Polizeihaft zu achten. Diese Pflicht ist umso größer, wenn sie den Mann gefesselt hat. Der Polizeibeamte in Dessau hat diese erhöhte Handlungspflicht missachtet. Er hat den Mann verbrennen lassen. Tötung durch Unterlassen?

Die Staatsanwaltschaft hatte den Beamten nicht wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Und das Landgericht in Dessau hat sich in einem schier ewigen Prozess bemüht, den Hergang der Tat aufzuklären. Es scheiterte - nicht weil es unwillig war, sondern weil die sogenannten Ermittlungen, auf die sich das Gericht zu stützen hatte, aus einer schier unglaublichen Reihung von Pannen, Versäumnissen und Obstruktionen bestand.

Das Gericht stand vor einer Mauer schwiemeliger Polizeiaussagen - und kapitulierte. Die Kapitulation hieß Freispruch. Diesen Freispruch hat nun der Bundesgerichtshof aufgehoben. Er wollte sich nicht mit dem Satz des Dessauer Gerichts abfinden, dass es keine Chance gehabt habe, "das, was man rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen".

Es wäre fatal, wenn der Rechtsstaat sich resigniert ergäbe. Es wäre fatal, wenn er vorschnell sagen würde, da könne man halt nichts machen. Am Fall Oury Jalloh darf sich nicht die Ohnmacht des Rechts, es soll sich die Macht des Rechts zeigen - in der juristischen Akribie, mit der die Justiz die Chronik eines schrecklichen Todes aufzuklären versucht. Schon diese Akribie ist ein Signal an die Gesellschaft. Sie wirkt spezial- und generalpräventiv.

Es kann nun niemand mehr sagen, dass die Justiz einen Skandal unter den Teppich kehrt. Im Gegenteil: sie hat den Teppich weggezogen; sie versucht, Gefühlskälte und Kaltschnäuzigkeit juristisch zu fassen. Das wird nun, fünf Jahre nach der Tat, nicht leichter. Aber der neue Versuch verdient Respekt. Womöglich steht am Ende dieses Versuchs eine Verurteilung zumindest wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.

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