Fall Kurnaz:Steinmeiers Schuld

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Der Außenminister hat einst als Kanzleramtschef im Fall Kurnaz drückende Fehler gemacht. Er nennt die Vorwürfe ,,infam'', die jetzt gegen ihn erhoben werden. Aber nicht die Vorwürfe gegen ihn, sondern seine und die Verteidigungsstrategie der SPD sind infam.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Die Schuld des unschuldigen Opfers Murat Kurnaz besteht darin, dass es nicht so aussieht, wie man sich ein unschuldiges Opfer vorstellt. Murat Kurnaz trägt einen langen, wüsten Bart - und das ist das Glück von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD.

Murat Kurnaz entspricht dem Bild, das sich das Vorurteil von einem verdächtigen Ausländer macht. Das macht Steinmeier die Verteidigung in diesem Fall leichter - in dem er sich aber nicht verteidigen, sondern entschuldigen sollte.

Kurnaz hat ein furchtbares Schicksal auf Guantánamo hinter sich, und Steinmeier als Kanzleramtschef der Regierung Schröder hat an der Dauer dieser Furchtbarkeiten gehörigen Anteil.

Steinmeiers Haus war die Spitze einer kaltschnäuzigen bundesdeutschen Bürokratie, die sich um das Leiden eines jungen bremischen Bürgers nicht nur nichts scherte, sondern mit allerlei Machenschaften dazu beitrug, dieses Leid um Jahre zu verlängern.

Das ist aktenkundig, das zeigt sich in vertraulichen Vermerken. Diese Vermerke steigern sich am Schluss, als die Entlassung von Kurnaz bevorstand, zum bürokratischen Exzess: Man versuchte, die Einreise in seine deutsche Heimat tunlichst zu verhindern und zu diesem Zweck Unterstellungen und Bezichtigungen noch einmal zu benutzen, die der Generalbundesanwalt Jahre zuvor schon beiseitegelegt hatte.

Eckpfeiler der Regierung

Steinmeier nennt die Vorwürfe ,,infam'', die in der Causa Kurnaz gegen ihn gemacht werden. Aber nicht die Vorwürfe gegen ihn, sondern seine und die Verteidigungsstrategie der SPD sind infam. Sicherlich: Steinmeier ist ein guter, ein kluger und sympathischer Außenminister, ein Eckpfeiler der Regierung.

Aber gerade deswegen sollten die SPD und Thomas Oppermann, ihr Obmann im Untersuchungsausschuss, das dem Murat Kurnaz angetane Unrecht nicht mit aggressiver Heuchelei perpetuieren - indem man weiter von vagen Verdächten gegen ihn raunt. Auch gute Politiker machen Fehler.

Steinmeier hat einst als Kanzleramtsminister im Fall Kurnaz drückende Fehler gemacht. Er sollte sie nicht durch Verdunkelung weiter wachsen lassen. Verdunkelung ist im Strafrecht ein Haftgrund. Bei einem Politiker kann er ein Entlassungsgrund werden.

Steinmeier ist Jurist. Juristen neigen zu mechanistischem Denken. Dieses Denken hat sich im Fall Kurnaz auf die Position versteift, dass der junge Mann zwar in Bremen geboren und aufgewachsen, aber nun einmal kein deutscher Staatsbürger sei: Türke bleibt Türke, der soll froh sein, wenn man sich ein klein wenig um ihn kümmert; im Übrigen sind wir froh, wenn er weg ist und waschen die Hände in Unschuld.

Soll sich doch die Türkei um ihren Mann kümmern... Dass die Türkei das nicht tat, weil sie Kurnaz für einen faktischen Deutschen hielt, blieb ohne Auswirkung auf das Verhalten der deutschen Bürokratie. Sie war und blieb indolent, obwohl es eine faktische völkerrechtliche Verantwortung Deutschlands gab.

Trauriges Exempel

Nicht nur dann, wenn man so formalistisch-mechanistisch denkt wie Steinmeier und Co., muss man über deren Beihilfe zur Freiheitsberaubung nachdenken. Das mögen die Staatsanwälte tun. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der ,,erniedrigende Behandlung'' wie die auf Guantánamo verbietet, kann auch durch Unterlassen begangen werden.

Politisch ist der Fall Kurnaz ein trauriges Exempel für die Unbarmherzigkeit deutscher Ausländerpolitik und für die exekutive Unerbittlichkeit beim Hantieren mit den Paragraphen des Ausländerrechts. In diesem Fall konzentriert und verdichtet sich ein fatales Denken, das die deutschen Ausländer, die wegen rechtlicher Zufälligkeiten immer noch keinen deutschen Pass haben, partout nicht als Neubürger, sondern als Störer betrachten will, im Zweifel als Sicherheitsrisiko.

Deutsche Ausländerpolitik ist eine Politik, in der sich fast alles um innere Sicherheit dreht; sie ist eine Politik, die die Furcht vor den neuen Bürgern fördert. Dieses Denken ist überparteilich, es ist nicht nur in der CSU zu Hause, sondern auch in der SPD. Es gibt nach wie vor eine politische Grundhaltung, die einem ausländischen Deutschen den Bürgerstatus nur dann gewähren will, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht - in der Regel also nicht.

Das Denken kreist um Ausweisung und Abschiebung, nicht um Integration. Und im Kern dieses Denkens steht der Satz: Die gehören nicht zu uns. Deswegen werden Jugendliche türkischer Abstammung, die straffällig geworden sind, in die Türkei abgeschoben - auch wenn sie die Türkei nur als ihr Ferienland kennen.

1930 hat Kurt Tucholsky in der Weltbühne geschrieben: ,,Der Ausländer hat, wenn die Verwaltung ihn erst einmal beim Wickel hat, so gut wie keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Wehrlos ist er. Hinter den heruntergelassenen Rolljalousien der ängstlich bewahrten ,Geheimhaltung im staatlichen Interesse' gibt es keine festen Regeln; alles schwimmt. Das Opfer liegt da wie ein Hund auf der Vivisektionsbank und kann sich nicht rühren.''

Beim Muslim Murat Kurnaz war das wieder so. Er hat mittlerweile gelernt, wieder ohne Fesseln zu laufen. Steinmeier und die deutsche Bürokratie haben erheblich mehr zu lernen.

© SZ vom 25.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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