Europas Linke:Zu zerstritten, um der Rechten zu trotzen

Europas Linke: Die Protestbewegung der sogenannten 15 M in Spanien schien vor wenigen Jahren eine linke Renaissance in Europa einzuleiten - doch die Entzauberung folgte schnell.

Die Protestbewegung der sogenannten 15 M in Spanien schien vor wenigen Jahren eine linke Renaissance in Europa einzuleiten - doch die Entzauberung folgte schnell.

(Foto: AFP)

Die Sorge vor dem Abstieg treibt Menschen in ganz Europa um, doch der Linken nützt das nichts. Lohnt es sich überhaupt, links zu wählen?

Von Sebastian Schoepp

Großbritanniens konservative Regierungspartei hat sich nach dem Brexit-Votum in einen heftigen Führungsstreit verstrickt. Man sollte meinen, das wäre die Stunde der Opposition, sich als linke, europanahe Alternative zum konservativen Isolationismus in Stellung zu bringen. Doch die Labour-Partei steckt in einem noch viel schlimmeren Führungsstreit, Parteichef Jeremy Corbyn muss sich eines Putsches der Partei-Rechten erwehren, die ihm halbherzigen Einsatz gegen den Brexit vorwerfen. Wie so oft ist die Linke zu zerstritten, um der Rechten Paroli bieten zu können.

Müsste nicht die Linke in ganz Europa Konjunktur haben in einer Zeit, in der die Sorge vor dem Abstieg und die Empörung über soziale Ungleichheit Menschen in vielen Ländern umtreibt? Doch immer wieder scheitert sie an Flügelkämpfen, an der eigenen Sturheit oder sie verfällt ins andere Extrem und opfert ihre Ideale.

Viele fragen sich: Lohnt es sich überhaupt, links zu wählen?

In Frankreich schwenkte François Hollande nach einem linken Beginn mit Reichensteuer und Dirigismus um auf Reformkurs wie einst Gerhard Schröder, die Wirtschaftskrise zwang ihn dazu. In Spanien war die linksalternative Bewegung Podemos zwar stark in der Analyse der Probleme des Landes, doch schwach in der Bündnispolitik und scheiterte jetzt bei den Juni-Wahlen an der eigenen Kompromisslosigkeit. Und der Grieche Alexis Tsipras befolgt inzwischen brav alle Brüsseler Reformvorgaben.

In Großbritannien galt Jeremy Corbyn noch vor Kurzem als Hoffnungsträger derer, die vom New-Labour-Erbe Tony Blairs wegwollten. Die Gründe für die Probleme unserer Zeit verortete er im Kapitalismus, den er zügeln will. Corbyn gewann damit die Urwahl zum Parteivorsitzenden, was zeigte, dass er einen Nerv traf - ähnlich wie Bernie Sanders in den USA. Doch klang bei Corbyns Kapitalismuskritik stets auch Kritik an den EU-Institutionen mit, denen er neoliberales, technokratisches Gedankengut vorwirft. Das macht es ihm - wie anderen Linken - schwer, sich als Europa-Freund zu positionieren. An diesem Schlingerkurs droht er nun zu scheitern.

Dabei war die Ausgangslage gut. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und noch in den Nullerjahren hatte Linkssein als anachronistisch gegolten, doch dann bereitete das wachsende Unbehagen über die Selbstherrlichkeit des Finanzkapitalismus den Boden für Denker wie den Wirtschaftsprofessor Thomas Piketty. Sein Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert", in dem er die wachsende Ungleichheit auf der Welt empirisch untermauert, wurde zum Bestseller.

Politisch ging die linke Renaissance von Südeuropa aus, das nach der Bankenkrise am härtesten unter Sparmaßnahmen litt. Im Jahr 2011 formierte sich in Spanien eine Protestbewegung, der sogenannte 15 M, dessen Kritik an den Eliten Nachahmer von Athen bis New York inspirierte. Daraus entstand die Partei Podemos (Wir schaffen das), die der Hegemonie der PSOE-Sozis auf der Linken ein Ende machen wollte. In Griechenland eroberte Syriza die Macht, in Portugal gewannen linke Parteien 2015 die Wahl, sie dulden eine Minderheitsregierung des Sozialdemokraten António Costa. Es sah so aus, als würde Europa von Süden her von einer Bewegung erfasst, die die Brüsseler Doktrin von Haushaltsdisziplin, Privatisierung und Marktdominanz kippen könnte.

Die Entzauberung ließ nicht lange auf sich warten

Aber die Entzauberung ließ nicht lange auf sich warten. Sie begann, als der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit seiner Vision eines solidarischen Europas, das Griechenland aus der Schuldenfalle entlassen sollte, am Widerstand der EU-Kollegen scheiterte. Viele fragen sich seitdem: Lohnt es sich überhaupt, links zu wählen, wenn linke Politik gar nicht durchsetzbar ist in Europa? Selbst die scheinbar so wendewilligen Spanier entschieden sich zuletzt - wohl auch unter dem Einfluss des Brexit - gegen jede Art von Experiment und stärkten lieber die Altparteien als die linke Alternative.

Deutschland hat der Linkstrend nicht mal gestreift. Hier haftet der Linken, ähnlich wie in Osteuropa, das Odium des Postkommunismus an. Die SPD wiederum hat nach zwei großen Koalitionen Mühe, den Nachweis zu führen, überhaupt eine linke Partei zu sein. Erst neuerdings spricht Parteichef Sigmar Gabriel zunehmend von einem sozialeren Europa, das Massenarbeitslosigkeit nicht nur mit den Regeln des Marktes bekämpfen dürfe. Die Umfragewerte der SPD steigen trotzdem nicht, vielleicht weil sich manche fragen, warum Gabriel, wenn er es ernst meint, nicht längst Kanzler ist - schließlich hätten SPD, Grüne und Linkspartei im Bundestag eine Mehrheit. Doch dieses Trio hat nicht mal versucht, eine gemeinsame Alternative zum Merkelismus zu entwerfen. Die Macht erringt man so nicht.

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