Europäische Union:Die Versprechen der Frau von der Leyen

Die neugewählte Präsidentin der EU-Kommission hat in den vergangenen Tagen vieles zugesagt. Zu viel? Auf die Umsetzung mancher Dinge hat sie zumindest keinen Einfluss.

Von Karolin Meta Beisel, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Erst kamen die Besuche bei den Fraktionen, dann Briefe an die Liberalen und Sozialdemokraten und schließlich ihre Rede im Europäischen Parlament. Aber was genau hat Ursula von der Leyen für ihre Amtszeit jetzt eigentlich versprochen? Klar ist, dass sie auf manche Dinge, für die sie sich einsetzen will, schlicht keinen Einfluss hat; etwa die Idee, das Mehrheitsprinzip bei Entscheidungen in der Außenpolitik der EU einzuführen, oder Gewalt gegen Frauen in das im Vertrag festgelegte EU-Straftatenverzeichnis aufzunehmen. Dafür sind Vertragsänderungen nötig, für die nicht die EU-Kommission, sondern die Mitgliedsstaaten zuständig sind. Aber auf welchen Feldern kann sie tatsächlich etwas ändern? Ein Blick in ihre "politischen Leitlinien", die sie am Dienstag vorgelegt hat.

Klima

Gleich zu Beginn des Papiers nimmt von der Leyen Bezug auf die "Fridays for Future"-Bewegung. Die jungen Menschen, die ihre Botschaft "auf unsere Straßen und in unsere Herzen" tragen, hätten sie inspiriert. In den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit will sie ein Klimagesetz vorschlagen, mit dem die EU bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden soll. Im Rat der Staats- und Regierungschefs war die Verabredung solch eines Ziels erst im Juni gescheitert, am Widerstand allerdings nur sehr weniger Länder wie Polen oder Ungarn - denen geht es vor allem um finanzielle Hilfe beim Abschied von der Kohle.

Gut möglich also, dass es von der Leyen gelingt, das neue Gesetz durchzubringen. Außerdem will sie den Schadstoffausstoß der Union bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens die Hälfte reduzieren. Aus Sicht des Europaparlaments ist das allerdings nicht viel. Dort hatte man sich im Frühjahr bereits auf ein neues Reduktionsziel von 55 Prozent geeinigt. Auffällig ist, dass ein Politikbereich in von der Leyens Papier fehlt: Auch durch eine Reform der Agrarpolitik, hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft, ließe sich der Klimaschutz befördern. Aber das Thema ist hoch umstritten. In den Leitlinien findet sich kein Wort dazu.

Rechtsstaatlichkeit

Ein Kapitel der Leitlinien trägt die Überschrift "Schutz unseres europäischen Lebensstils" und nennt unabhängige Gerichte das "legale, politische und wirtschaftliche Fundament" der EU. Von der Leyen schließt hier Kompromisse aus und fordert einen "jährlichen Überprüfungsmechanismus", bei dem für alle Mitgliedsstaaten die gleichen Kriterien gelten.

Ein solches Instrument hat die EU-Kommission auf Vorschlag des zuständigen Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans am Mittwoch beschlossen, um von "entstehenden Rechtsstaatsproblemen" rechtzeitig zu erfahren. Diese Ankündigung hat von der Leyen also bereits erfüllt. Anders steht es um ihre Forderung, beim EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit mit Subventionskürzungen zu ahnden. Dies müssten die Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen - die Kommission kann da nur appellieren.

Wirtschaft und Soziales

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik nimmt sich von der Leyen ein Beispiel an ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker. Man kann sie durchaus als sozialdemokratische Christdemokratin bezeichnen. Schließlich verspricht sie als EVP-Mitglied das, was die sozialistische Fraktion schon lange fordert, zum Beispiel einen Mindestlohn in jedem EU-Staat. Bislang gibt es einen in 22 der 28 Länder. Ob der zum Leben genügt, will von der Leyen überprüfen und innerhalb ihrer ersten 100 Tage im Amt einen Vorschlag machen, wie das sichergestellt werden könnte. Viel Durchschlagskraft dürfte sie bei diesem Thema allerdings nicht haben, denn die EU-Staaten bestimmen ihre Mindestlöhne auf nationaler Ebene - ohne die Kommission. Ob die Erfolgsaussichten einer ebenfalls vorgeschlagenen europäischen Arbeitslosenrückversicherung höher sind, hängt vor allem von der Bundesregierung ab.

Die SPD ist dafür, die Union bisher nicht. Dabei könnte die Rückversicherung ganz ohne neue Transferzahlungen funktionieren. Wie das geht, kann von der Leyen sich von Klaus Regling, dem Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, erklären lassen. Er plädiert schon lange dafür und hat ein Konzept parat. Ansonsten will von der Leyen offenbar Junckers Euro-Politik fortsetzen. Dazu gehören auch zwei Dinge, die in Deutschland nicht populär sind: volle Flexibilität, sprich Nachsicht, beim Stabilitätspakt und eine gemeinsame Einlagensicherung für Sparguthaben in der Euro-Zone.

Migration

Von der Leyen will einen "neuen Pakt" für Migration und Asyl vorschlagen. Klingt plausibel: Bei dem Thema geht seit Jahren praktisch nichts voran, vor allem nicht im Streit um die Verteilung von Asylsuchenden. Wie aber soll dieser Pakt aussehen? Von der Leyens Leitlinien sind da völlig vage. Will sie die bisherigen Reformvorschläge zurücknehmen? Das dürfte dem Parlament nicht gefallen, das sich fraktions- und länderübergreifend auf eine neue Verteilung geeinigt hat. Oder will sie im Rat eine Lösung vorantreiben? Dann müsste sie genauer sagen, wie das gehen soll.

Spitzenkandidaten-Prozess

Bis 2024 ihr Nachfolger gewählt wird, will von der Leyen das Spitzenkandidatenprinzip verbessern. Eine "Konferenz für die Zukunft Europas" soll dazu bis Sommer 2020 "Gesetzes- oder andere Vorschläge" erarbeiten. Die Kommission werde sich wo möglich nach diesen Vorschlägen richten - und ansonsten dem Parlament dabei helfen, das Wahlrecht anzupassen und "im Rat die dafür nötige Zustimmung zu erreichen". Mehr könnte von der Leyen auch gar nicht versprechen. Ohne die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs wird sich am Spitzenkandidatenprozess nichts verändern, ganz egal, wie viele Konferenzen sie vorher ausrichtet.

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