EU-Sondergipfel:"Unsere Einheit ist unsere Stärke"

Der Beginn einer neuen Ära: Überraschend schnell haben sich die Regierungschefs auf den belgischen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy als EU-Ratspräsidenten und die britische Handelskommissarin Catherine Ashton als Außenministerin geeinigt. Nach seiner Wahl beschwor Van Rompuy die Einheit Europas.

Oliver Bilger, Brüssel

Sie hatten sich auf eine lange Nacht eingestellt. Offiziell wollten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union drei Stunden lang beim Abendessen über die Vergabe der neuen Spitzenjobs, den Präsidenten des Europäischen Rates und den Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, beraten und eine Entscheidung treffen. Doch niemand rechnete so recht damit, dass dieser ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden könnte. Es machten sogar Gerüchte die Runde, für den folgenden Morgen sei ein Frühstück bestellt, zur Stärkung nach einer Nacht der Verhandlungen.

Van Rompuy; Ashton; EU; dpa

Sie freuten sich über ihre Nominierung: Der belgische Ministerpräsident Herman Van Rompuy und die britische Handelskommissarin Catherine Ashton.

(Foto: Foto: dpa)

Bis kurz vor Beginn des Treffens war nicht auszuschließen, dass der Gipfel scheitern könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte bei ihrer Ankunft in Brüssel ihre Kollegen eindringlich: "Wir müssen jetzt gemeinsam arbeiten."

Doch es kam ganz anders. Noch vor dem offiziellen Beginn des Abendessens hieß es aus Teilnehmerkreisen, die sozialdemokratischen Regierungschefs hätten sich einstimmig auf die EU-Handelskommissarin Catherine Ashton als Außenministerin geeinigt. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, nannte die Einigung der Sozialisten einen "Durchbruch".

Merkel lobt den Konsens

Kurz darauf schlug der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt den belgischen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy als ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Rates vor. Die Regierungschefs stimmten bei einem Drei-Gänge-Menü einstimmig für die beiden Kandidaten. Damit stehen ein Belgier und eine Britin an der Spitze der EU.

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Noch vor dem im Protokoll vorgesehen Ende stießen die EU-Vertreter mit Champagner an. Kanzlerin Merkel trat anschließend vor die Journalisten und verkündete das Ergebnis mit den Worten: "Europa startet in eine neue Ära." Ein Konsens sei "bei der ersten Entscheidung dieser Art sehr wichtig" gewesen.

Merkel erklärte, sie habe großes Vertrauen in Van Rompuy und Ashton. Wenn sie künftig "für Europa sprechen, werden sie nichts Falsches sagen". Reinfeldt sagte, er sei erfreut über das "neue Führungsteam". Nach jahrelangen Debatten zeige Europa eine neue Einigkeit und werde den Lissabon-Vertrag nun zum 1. Dezember in Kraft setzen.

Der Streit um das Personal wurde in kleiner Runde beigelegt, wie aus Teilnehmerkreisen zu erfahren war. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der britische Premier Gordon Brown, Frankreich Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi trafen sich am Rande des Gipfels und verständigten sich auf die beiden Kandidaten. Gleichzeitig verabschiedeten sie sich von der Kandidatur des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Massimo D'Alema und von Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, die zuletzt als Favoriten für die beiden Posten galten.

Der britische Premier Brown spielte dabei die entscheidende Rolle. Er verzichtete auf die Kandidatur seines Amtsvorgängers Tony Blair als Ratspräsident. Wochenlang hatte Brown mit dem Versuch, Blair als Präsidenten durchzusetzen, die Verhandlungen belastet. Weil London nun Van Rompuy unterstützt, bekam Brown den Außenministerposten. Merkel und Sarkozy hatten sich aus Rücksicht auf kleinere EU-Staaten im Vorfeld nicht offen für Van Rompuy ausgesprochen.

Eine Frau an der Spitze

Mit Ashton als Außenministerin wird gleichzeitig die starke Forderung erfüllt, einen Spitzenposten mit einer Frau zu besetzen. Die 53 Jahre alte Baroness von Upholland arbeitet seit knapp einem Jahr als Handelskommissarin in Brüssel. Außenpolitische Erfahrung hat sie jedoch kaum, deshalb galt sie als Außenseiterin bei der Besetzung der Spitzenämter.

Auch der flämische Christdemokrat Van Rompuy ist auf der Weltbühne nur wenigen bekannt. Für den 62-Jährigen ist das Präsidentenamt aber der zweite Spitzenjob innerhalb eines Jahres. Ende 2008 wurde er inmitten einer schweren innenpolitischen Krise zum belgischen Regierungschef ernannt. Als Ratspräsident vertritt er jetzt die Union nach außen und berichtet dem Europaparlament über die Treffen der Staats- und Regierungschefs.

Vor allem soll er der EU "Impulse" geben, für "Kontinuität" sorgen und "Konsens" fördern. "Unsere Einheit ist unsere Stärke", sagte Van Rompuy in einer ersten Stellungnahme nach seiner Wahl. "Dialog, Einheit und Handeln" machten das Projekt Europa aus.

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