Europäische Union:So arbeitet das Europäische Parlament

EU-Parlament - Das Europaparlament in Straßburg

Vertreten 500 Millionen Europäer: Die Europaabgeordneten in Straßburg.

(Foto: dpa)
  • Das Europaparlament funktioniert zum Teil nach anderen Regeln als die nationalen Parlamente.
  • Was den Abgeordneten in Straßburg und Brüssel vor allem fehlt, ist das Recht, Gesetze vorzuschlagen.
  • Im Gesetzgebungsverfahren sind das Europaparlament und die Mitgliedstaaten im Rat in den meisten Fällen gleichberechtigt.
  • Für die Kontrolle der EU-Kommission steht dem Parlament ein besonders scharfes Mittel zur Verfügung.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Die Wahl zum Europaparlament hat offenbar mit schmerzleidenden Frauen zu tun, mit weinenden Männern und netten Omis. Den Eindruck gewinnt jedenfalls, wer das Video ansieht, mit dem das Europaparlament im Netz, im Fernsehen und im Kino zur Wahl aufruft.

Darin geht es zunächst sehr lang um Schwangerschaften und Wehenschmerz. Irgendwann bekommt das Filmchen zwar doch noch die Kurve: "Jedes neugeborene Kind ist ein weiterer Grund, die Welt zu gestalten", heißt es, globale Herausforderungen, nur gemeinsam sei man stark und so weiter, um am Ende aufzurufen: "Wähle das Europa, in dem ich aufwachsen soll." Aber offenbar fällt es sogar dem Europaparlament selber schwer, griffig und auch für Nicht-Eltern ansprechend zu vermitteln, was es mit der Europawahl auf sich hat.

Vielen Wahlberechtigten dürfte es ähnlich gehen. Zwar spielt das Europaparlament fast immer eine Rolle, wenn auf europäischer Ebene Politik gemacht wird. Wie genau das Parlament arbeitet, und was die Gesetzgebung in Brüssel und Straßburg von der in Berlin unterscheidet, können aber nur die wenigsten erklären.

Das sei nicht weiter schlimm, sagen Europaabgeordnete, es könnten ja auch nur wenige erklären, wie in Deutschland Gesetze gemacht werden. Ein paar Grundkenntnisse über das Europaparlament helfen aber zu verstehen, was es bedeutet, wenn einheimische Politiker auf "die EU" schimpfen.

In den Berichten zur Europawahl steht im Moment vor allem eine bestimmte Aufgabe des Parlaments im Fokus: Wen werden die Abgeordneten zum neuen Präsidenten der EU-Kommission wählen? Schlagen die Staats- und Regierungschefs dem Parlament einen Kandidaten vor, der dort auf Zustimmung stößt?

Parlamentarier - bislang ohne Initiativrecht

Das Thema wird die Abgeordneten zwar nur zu Beginn ihrer fünfjährigen Amtszeit beschäftigen. Für die Arbeit des Parlaments bleibt die Entscheidung über die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker und die Kommissare aber auch danach enorm wichtig: Denn auf europäischer Ebene darf nur die EU-Kommission Gesetze vorschlagen, das EU-Parlament hat kein solches Initiativrecht. Das ist einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Brüssel und Berlin, wo neben der Bundesregierung auch die Abgeordneten des Bundestags und der Bundesrat Gesetze vorschlagen können.

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Das Europäische Parlament dagegen kann die Kommission nur dazu auffordern, Gesetzesvorschläge zu einem Thema zu machen - die Kommission muss dem nicht folgen. Wenn es irgendwo heißt: "Das Europaparlament will ...", ist das darum oft nicht mehr als eine Willensbekundung, ohne spürbare Konsequenzen. Die Abgeordneten im EU-Parlament wünschen sich, dass sich das ändert und sie ein Initiativrecht bekommen - aber dafür müssten die EU-Verträge geändert werden. Und dazu wiederum müssten die Staats- und Regierungschefs im Rat mitmachen.

Im Gesetzgebungsverfahren sind das Europaparlament und die Mitgliedstaaten im Rat in den meisten Fällen gleichberechtigt: Beide Gremien brüten erst einzeln über dem Gesetzgebungsvorschlag der Kommission. Dann suchen Vertreter von Parlament und Rat gemeinsam nach einem Kompromiss.

Mal ist die Entscheidungsfindung im Parlament schwieriger - etwa bei der Reform des Urheberrechts, mal hakt es im Rat - wie bei der Asylreform: Während bei den Staats- und Regierungschefs in dieser Frage seit Jahren nichts vorangeht, hat sich das Europaparlament bereits 2017 auf weitreichende Reformen geeinigt, mit einer klaren Mehrheit über Partei- und Ländergrenzen hinweg.

"Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa", unkte man früher

Das Thema ist ein Beleg dafür, dass im EU-Parlament die Nationalität in aller Regel keine große Rolle spielt: Die Abgeordneten sollen ja alle Europäer vertreten, und nicht nur die ihres jeweiligen Heimatlandes. Darum sitzen die Abgeordneten im Plenum auch nicht nach Ländern, sondern nach Parteifamilien zusammen.

Der Zusammenhalt innerhalb dieser Parteienfamilien ist aber längst nicht so stark wie in den Fraktionen des Bundestags: ungarische und deutsche Christdemokraten haben im Moment nicht besonders viele Gemeinsamkeiten, die Europäische Volkspartei (EVP) hat die Fidesz von Viktor Orbán kürzlich suspendiert.

Deswegen hat ein Gruppenchef im Europaparlament auch weniger Macht als ein deutscher Fraktionsvorsitzender: Die Kandidaten werden ja von den Parteien in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgestellt, und nicht für die ganze EU gemeinsam - auch wenn die meisten EU-Abgeordneten das gerne ändern würden, um das Parlament noch europäischer zu machen.

Bis es so weit ist, richtet sich die Anzahl der Abgeordneten nach der Einwohnerzahl in den Ländern. Wobei kleine Staaten verhältnismäßig mehr Abgeordnete in das Parlament entsenden dürfen als die großen, damit ihre Stimmen nicht untergehen. Malta, Luxemburg, Zypern und Estland haben jeweils sechs Abgeordnete, Deutschland stellt mit 96 Abgeordneten die größte Delegation.

Insgesamt gibt es 751 Abgeordnete (zumindest bis zum Brexit), die alle fünf Jahre gewählt werden, um etwa 500 Millionen Europäer zu vertreten. Nur jeder dritte Abgeordnete ist eine Frau - das gilt für das Parlament als Ganzes, wie auch für die deutsche Delegation.

Das schärfste Mittel - der Vertrauensentzug für die Kommission

Im Schnitt sind die Abgeordneten 55 Jahre alt. "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa" hat man früher geunkt. Einerseits stimmt das noch: Das Durchschnittsalter der Abgeordneten ist zuletzt sogar noch gestiegen. Andererseits hat das Parlament mit jeder Änderung der EU-Verträge mehr Kompetenzen bekommen, und ist damit auch für ehrgeizige, junge Politiker attraktiv: die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller ist 37, auch der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber ist erst 46. Mehrere jetzige und frühere europäische Regierungschefs haben ihre Karriere als Abgeordnete im EU-Parlament begonnen.

Neben der Gesetzgebung hat das Europaparlament auch die Aufgabe, die EU-Kommission und ihre Ausgaben zu kontrollieren. Dieser Aufgabe kommen die Parlamentarier durch Anfragen oder Untersuchungsausschüsse nach. Erst im März hat ein Ausschuss die Kommission für ihr Vorgehen beim Dieselskandal gerügt.

Als schärfstes Mittel kann das Parlament der Kommission das Vertrauen entziehen - allerdings nur der Kommission insgesamt, nicht einzelnen Kommissaren. Ein solches Misstrauensvotum gab es zu Beginn der ausgehenden Legislaturperiode auch gegen die Kommission von Juncker. Es ging um dessen Verantwortung für die Steuerumgehung in seinem Land, die sogenannte Lux-Leaks-Affäre, an deren Aufdeckung auch die Süddeutsche Zeitung beteiligt war. Am Ende stimmten aber nur gut 100 Abgeordnete gegen Juncker - zu wenig, um seine Amtszeit frühzeitig zu beenden.

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