EU-Haftbefehl:Was den Fall Puigdemont so knifflig macht

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  • Der EU-Haftbefehl soll die Auslieferung von Gefangenen innerhalb der EU stark vereinfachen.
  • Der Fall Puigdemont ist dennoch eine knifflige Angelegenheit für Juristen.
  • Der ehemalige katalonische Regierungschef bleibt vorerst in Haft, entschied das Amtsgericht Neumünster.
  • Deutschland kann unter anderem entscheiden, für was der katalanische Ex-Separatistenführer überhaupt in Spanien angeklagt werden darf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man wird daran zweifeln dürfen, ob die schleswig-holsteinische Justiz wirklich glücklich ist über diesen spektakulären Fang - aber das Glücklichsein gehört nun mal nicht zum richterlichen Aufgabenspektrum. Die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht Schleswig haben ganz nüchtern zu prüfen, ob sie Carles Puigdemont in die Hände der spanischen Gerichte zu übergeben haben. Am Montagabend entschied das Amtsgericht Neumünster wie erwartet, dass er vorerst in deutscher Haft bleibt.

Puigdemonts Fall ist in Deutschland eine reine Justizangelegenheit, die Intervention politischer Instanzen ist hier nicht vorgesehen. Normalerweise ist das europäische Routine. Es liegt ein EU-Haftbefehl vor, der die Prüfung radikal vereinfacht und die Überstellung gesuchter Verdächtiger einer neuen europäischen Effizienz unterwirft, wie man sie zwischen Lübeck und Konstanz gewohnt ist. Aber wenn ein katalanischer Ex-Regierungschef, der als Sezessionist im Visier der spanischen Regierung ist, in einer Haftzelle in Neumünster sitzt, dann gibt es weder Normalität noch Routine; dann ist ein spanisch-katalanischer Regionalkonflikt mitten in Schleswig angekommen.

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Formal umfasst die Prüfung zwei Stufen: Zuerst entscheidet der Generalstaatsanwalt, ob er einen Auslieferungshaftbefehl beantragt - darüber befindet dann das Oberlandesgericht. Danach geht es um die Bewilligung der Auslieferung. Das kann bis zu 60 Tage dauern, möglicherweise sogar länger. Etwa dann, wenn bei der spanischen Justiz weitere Details zu den Vorwürfen erfragt werden müssen. Zudem ist die Prüfung auch inhaltlich durchaus anspruchsvoll.

Zwar gibt es im EU-Rahmenbeschluss zum Haftbefehl eine lange Liste von Delikten, bei denen man nur einen Haken setzen muss, und schon ist die Auslieferung bewilligt. Dazu gehören zum Beispiel Terrorismus, Korruption, Betrug oder Geldwäsche. Doch nichts davon wird Puigdemont vorgeworfen. Der spanische Untersuchungsrichter bezichtigt ihn dreier Straftaten: Rebellion, Haushaltsuntreue und Ungehorsam öffentlicher Amtsträger.

Der spanische Ankläger argumentiert, Puigdemont hätte das Referendum absagen müssen

Den Ungehorsam kann man getrost außen vor lassen, weil darauf als Minimum nur eine Geldstrafe steht - das reicht nicht für einen EU-Haftbefehl. Wirkliches Kopfzerbrechen dürfte den schleswig-holsteinischen Juristen dagegen der spanische Paragraf zur "Rebellion" verursachen, der gewaltsame Abspaltungsbestrebungen unter Strafe stellt. Auf der Grundlage dieser Vorschrift dürfte nur dann ausgeliefert werden, wenn es dazu eine Entsprechung im deutschen Strafgesetzbuch gäbe. Abstrakt gesehen, könnte man das zur Not noch bejahen: Paragraf 81 stellt den "Hochverrat" unter Strafe, also den Versuch, "mit Gewalt oder Drohung" den Bestand der Bundesrepublik zu beeinträchtigen.

Allerdings darf man sich nicht damit begnügen, das Etikett zu betrachten, das die spanische Justiz den katalanischen Umtrieben aufgeklebt hat. Entscheidend ist, ob sich die Ereignisse im Vorfeld des geplanten katalanischen Unabhängigkeitsreferendums als gewaltsamer Umsturzversuch darstellen lassen. Zweifel daran sind mehr als berechtigt.

Denn die Argumentation des spanischen Untersuchungsrichters Pablo Llarena geht ungefähr so: Weil es am 20. September - dem Tag polizeilicher Razzien gegen katalanische Separatisten - zu Protesten und auch Zerstörungen von Polizeiautos gekommen sei, hätte die katalanische Regierung das für den 1. Oktober geplante Referendum abblasen müssen - weil man ja gewusst habe, dass die Kundgebungen in Gewalt umschlagen könnten. Indem sie das unterlassen habe, habe sie die "Bürgermasse" als Kraft zur Erzwingung der Unabhängigkeit einsetzen wollen.

Das aber ist ein unerhört großzügiges Verständnis eines gewaltsamen Umsturzversuchs. In seinem Blog De legibus wirft der Autor Oliver Garcia dem Richter die "Erfindung" eines neuen Straftatbestands vor: Wenn nicht erst die Ausübung von Gewalt, sondern bereits die Schaffung eines Risikos ausreiche, dann werde Rebellion zum "uferlosen politischen Gefährdungsdelikt". Denkbar bleibt damit zwar eine Auslieferung, die sich auf Haushaltsuntreue beschränkt. Damit aber wäre den Spaniern eine Anklage wegen Rebellion verwehrt.

Jedenfalls werden die Juristen in Schleswig nicht umhin kommen, einen Blick auf die politischen Hintergründe zu werfen. Zwar gilt für den EU-Haftbefehl der Grundsatz des wechselseitigen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit - auch bei politischen Straftaten. Allerdings hatte der EU-Gesetzgeber, gleichsam als Vorsichtsmaßnahme, seinerzeit in der Begründung des Rahmenbeschlusses zum 2004 in Kraft getretenen Haftbefehl festgehalten: Die Staaten dürften nach wie vor die Auslieferung von Personen verweigern, die wegen ihrer "politischen Überzeugung" verfolgt würden. Danach bleibe das Auslieferungshindernis bei drohender politischer Verfolgung auch beim EU-Haftbefehl bestehen, heißt es in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von 2017.

In den vergangenen Jahren haben mehrere Gerichte Auslieferungen in andere EU-Länder gestoppt

Überhaupt ist es mit dem europäischen Vertrauen in Sachen Rechtsstaat nicht mehr so weit her. Erst vor Kurzem hat eine Richterin eines irischen Gerichts die Auslieferung eines mutmaßlichen Drogenhändlers nach Polen vorerst abgelehnt - weil die dortigen Gesetzesänderungen so immens ausgefallen seien, dass der gemeinsame Wert der Rechtsstaatlichkeit "systematisch beschädigt" worden sei. Sie legte den Auslieferungsfall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, der damit eine Möglichkeit hat, sich mit dem Raubbau an der polnischen Justiz zu befassen.

Da die obersten EU-Richter die Entwicklung in Polen voller Sorge beobachten, könnte das Verfahren Einschränkungen für den EU-Haftbefehl zur Folge haben. Auch anderswo hat das Prinzip Vertrauen gelitten. In den vergangenen Jahren haben mehrere Gerichte Auslieferungen gestoppt, weil den Betroffenen unmenschliche Haftbedingungen drohten. In einem ungarischen Gefängnis sollten 17 Häftlinge auf 30 Quadratmetern zusammengesperrt werden, in einem rumänischen Knast sollten sich zehn Mann neun Quadratmeter teilen; auch Litauen war betroffen.

Gewiss, Spanien ist nicht Polen, und die Vorwürfe gegen Puigdemont sind nicht auf eine Stufe mit menschenrechtswidriger Haft zu stellen. Aber der Mechanismus ist vergleichbar: Die europäische Politik hat Vertrauen zum System erklärt, das Vertrauen darin, dass überall in der EU unabhängige Richter und humane Gefängnisse existieren. Immer mehr Gerichte reagieren inzwischen aber wie Fieberthermometer der Rechtsstaatlichkeit. Wenn Auslieferungen gestoppt werden, dann ist das eine Krankheitsanzeige für Europa.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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