Elisabeth Noelle-Neumann ist tot:Frau Professor Allensbach

Elisabeth Noelle-Neumann ist tot. Sie führte nach dem Krieg als Erste Meinungsumfragen in Deutschland ein und polarisierte nicht nur mit ihrer "Schweigespirale".

Franziska Augstein

Bis ins hohe Alter nahm Elisabeth Noelle-Neumann lebhaften Anteil an Dingen, die sie angingen. Ihr Leben hat sie nicht enttäuscht. Das Institut für Demoskopie in Allensbach ist stets erfolgreich gewesen. Elisabeth Noelle-Neumann hatte keinen Anlass zur Resignation. Sie behielt die Kraft, an sich selbst zu glauben. Und so glaubte sie auch an andere und setzte sich ein - für Doktorandinnen und Autoren zum Beispiel, die sie für begabt hielt.

Die Tochter des Fabrikanten Ernst Noelle wurde 1916 in Berlin geboren. Wie damals üblich, absolvierte sie ihr Studium in verschiedenen Fächern, darunter Zeitungswissenschaften und "Amerikakunde", an verschiedenen Universitäten. 1937 erhielt sie die Gelegenheit, ein Jahr in den Vereinigten Staaten zu verbringen.

Der Aufenthalt an einer amerikanischen Journalistenschule hat ihr Leben geprägt: Dort lernte sie die Demoskopie kennen. Später sagte sie: "Ich war begeistert von der Möglichkeit, die Meinung einer ganzen Bevölkerung verlässlich abzubilden." Dass man mit den Massen rechnen musste, war eine Idee, die auch in Nazi-Deutschland hoch im Kurs stand, nur dass sie im Dritten Reich mit der Vorstellung verknüpft war, dass man die Massen berechnen musste, um sie besser einsetzen zu können.

Elisabeth Noelle-Neumann hat von sich gesagt, dass sie "nie mit den Nazis verknüpft" gewesen sei. Allerdings war sie von Hitler fasziniert, wie sie berichtete: Als sie - als"Zellenführerin" im Nationalsozialistischen Studentenbund - mit Gefährtinnen auf den Obersalzberg wanderte, sei sie Hitler quasi in die Arme gelaufen. Den Tag, sagte sie, hätten sie und die übrigen Mädchen sehr genossen.

Politisch lag ihr die CDU nahe

Als junge Journalistin lernte sie dann auch andere NS-Größen kennen, so Joseph Goebbels, der sie zu seiner Adjutantin machen wollte, woran sie durch eine Krankheit gehindert wurde.

Nach dem Krieg heiratete sie den CDU-Politiker Erich Peter Neumann. Mit ihm zusammen gründete sie 1947 in dem kleinen, nahe dem Bodensee gelegenen Ort Allensbach ihr Institut für Demoskopie. Dass sie der CDU nahestand, bezeichnete sie als einen Zufall: Kurt Schumacher habe sich für ihre Untersuchungen nicht interessiert, Konrad Adenauer aber sehr wohl. Politisch lag die CDU ihr allerdings auch näher als andere Parteien.

Ihre Methoden, was auch so viel heißt wie: die Ergebnisse der Umfragen, wurden vielfach kritisiert. Weil ihr Institut das erste war, das nach dem Krieg gegründet wurde, war es auch das erste, das die Schwächen der Demoskopie demonstrierte. Bringen Meinungsumfragen die Meinung der Betroffenen zutage? Oder entsprechen die Ergebnisse nicht den Meinungen der Fragesteller, die ihre Fragen so formulieren, dass die Ergebnisse dann eben so ausfallen, wie es erwartet, wenn nicht gar gewünscht wird?

Zur Ehre des Allensbacher Instituts ist zu sagen, dass es bei elf Bundestagswahlen zwischen 1957 und 1994 die Ergebnisse mit einer Abweichung von im Schnitt nicht mehr als einem Prozent vorhersagte. Interessanterweise gehörte auch Franz Josef Strauß zu denen, die Elisabeth Noelle-Neumann kritisierten. Seine Behauptung, sie habe eine Umfrage "manipuliert", führte zu einem Prozess, der zugunsten Noelle-Neumanns entschieden wurde.

"Die Schweigespirale"

In den sechziger Jahren verhalf Helmut Kohl Frau Noelle-Neumann zu einem Lehrstuhl an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, wo sie das Institut für Publizistik aufbaute. Bis zu ihrer Emeritierung wirkte sie dort als Direktorin. Auch an anderen Universitäten hat sie gelehrt und - in den neunziger Jahren - an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, womit die Russen einmal mehr zeigten, dass sie sich dem westlichen Denken geöffnet hatten.

Etliche Bücher hat Noelle-Neumann publiziert, am berühmtesten ist jenes, in dem sie ihre Theorie über "Die Schweigespirale" entwickelte: Die Minderheit verstumme in dem Maße, wie sie sich in der Minderheit wähne.

Die Idee, die dem Laien einleuchten mag, wurde von Fachleuten bezweifelt, außerdem vermissten sie empirische Belege. Noelle-Neumann mag gedacht haben, dass bei all den Umfragen, die ihr Institut veranstaltete, eine halbwegs freischwebende Argumentation auch einmal zulässig sei.

Ihr Institut hat sie vor einigen Jahren in eine Stiftung umgewandelt. Die Auflage: Für die Wissenschaft, nicht für private Interessen soll das Institut arbeiten.

Elisabeth Noelle-Neumann ist am Donnerstag in Allensbach im Alter von 93 Jahren friedlich verstorben.

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