Drückjagden:Saugefährlich

Der Wildbestand muss kontrolliert werden. Aber bitte richtig.

Von Rudolf Neumaier

Wie das Landgericht Amberg auch urteilen wird: Alles war Zufall, fast alles. Ein Jäger schießt auf ein Wildschwein und trifft einen Menschen, der zufällig des Weges kommt. Zufällig an einem Sonntag im August, zufällig auf der Bundesstraße 16 bei Nittenau in der Oberpfalz, zufällig auf dem Beifahrersitz eines Autos. Denn zufällig genau in diesem Moment hatte der Schütze offenbar eine wichtige Regel vergessen. Es gab keinen sicheren Kugelfang, sagt die Staatsanwaltschaft, er hätte daher nicht schießen dürfen. Demnach wäre der Unfall vermeidbar gewesen, das macht ihn besonders tragisch. Ein typischer Drückjagd-Unfall, wie er immer wieder passiert ist und immer wieder passieren wird. Und womöglich sogar häufiger als früher. Denn die Drückjagd hat eine starke Lobby.

Was als sicherer Kugelfang gilt, muss man in vielen Bundesländern (außer in Bayern) schon in der schriftlichen Jägerprüfung wissen: Es ist der gewachsene Boden, die Erdkrume. Nur wenn ein Jäger hundertprozentig sicher sein kann, dass sein Geschoss im Boden landet, wenn es das Tier durchschossen hat oder bei einem Fehlschuss, nur dann darf er abdrücken. Schießt er auf bewegliche Ziele wie eine rennende Sau, steigt die Gefahr erheblich, dass er das Hintergelände aus dem Auge verliert. Der Jäger schwenkt die Waffe mit dem laufenden Ziel mit. Geübte Schützen ächzen, wie schwer es sei, dann noch auf den Kugelfang zu achten. Genau hier liegt das Problem.

Wegen des Risikos mögen viele Jäger keine Drückjagden. Und weil sie oft unwaidmännisch ausgeübt werden. Das Prinzip ist: Tiere werden beunruhigt und aus ihren Einständen gedrückt. Vor dem Wald oder dem Maisfeld warten schussbereite Jäger. Das verspricht Erfolg, wenn es ums Reduzieren von Wild geht. Deswegen wird es von Förstern, Waldbesitzern und ähnlichen Interessengruppen propagiert. Sie betrachten Schalenwild wie Hirsche, Wildschweine und Rehe in erster Linie als Schädlinge ihrer Kulturen, auch wenn sie diese Bezeichnung tunlichst vermeiden. Dass Wild Schaden anrichten kann und Jäger die Bestände unter Kontrolle halten müssen, ist unstrittig. An der Vorgehensweise scheiden sich die Geister.

Die Drückjagd gilt als probates Mittel. Wie gefährlich sie ist, wird oft unterschlagen. Ein Beispiel: Nur zwei von 16 Fragen, in denen die Drückjagd vorkommt, widmen sich in der schriftlichen Jägerprüfung in Bayern Sicherheitsaspekten. Und das, obwohl die Drückjagd die Jagdart mit den meisten schweren Zwischenfällen ist - auch weil sie mitunter falsch praktiziert wird. Es gilt bei Drückjagden als nicht gerade waidmännisch, Wild in einem einzelnen Maisfeld so aufzuscheuchen, dass es rasend flüchtet und die Schützen kaum mit dem Zielen hinterherkommen. Riskant ist eine Schussabgabe hier auch unter dem Tierschutzaspekt. Wird ein flüchtendes Tier falsch getroffen, verendet es unter Qualen. Verantwortungsvoll werden Drückjagden hingegen in Gebieten von mehreren Hundert Hektar organisiert. Das Wild flieht hier nicht, sondern es drückt sich vertraut von dannen, der Jäger hat Zeit für einen sicheren Schuss.

Nach Aussage des Amberger Angeklagten forderte ihn ein Maisbauer zu dieser verhängnisvollen Jagd auf. In dessen Feld hausten Wildschweine. Das war kein Zufall. Mit dem ausgeuferten Maisanbau hat die Wildschwein-Population exponentiell zugenommen. Sie ist wohl nur noch durch Jäger in den Griff zu bekommen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: