Deutschland:900 neue Zöllner

Wie die Bundesregierung mögliche Folgen eines abrupten Austritts Großbritanniens abmildern will.

Von Daniel Brössler und Cerstin Gammelin

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei einer Kabinettssitzung 2018 in Berlin

„Alle verlieren“: Wirtschaftsminister Peter Altmaier will einen harten Brexit möglichst vermeiden.

(Foto: Markus Schreiber/AP)

Genau eine Minute. Länger braucht die Bundeskanzlerin nicht, um zum Abstimmungsdebakel der britischen Premierministerin Theresa May zu sagen, was zu sagen sie sich vorgenommen hat. "Ich bedaure sehr, dass gestern Abend das britische Unterhaus dem Abkommen zum Austritt Großbritanniens eine Absage erteilt hat", beginnt Angela Merkel und kommt dann sogleich zum Punkt: An der britischen Seite sei es nun zu sagen, "wie es weitergeht".

Merkel ist ratlos, und wenn nicht ein wenig Ordnung ins Londoner Chaos kommt, auch hilflos. Letztlich kann die deutsche Kanzlerin nur appellieren, den Schaden "so klein wie möglich zu halten". Man werde weiter versuchen, eine "geordnete Lösung zu finden". Dafür gebe es schon noch Zeit, sagt die Bundeskanzlerin, aber man warte nun auf das, "was die britische Premierministerin uns vorschlägt".

Die Kurz-Stellungnahme der Kanzlerin vor einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ist Teil eines Krisenmanagements der Bundesregierung, das in zwei Richtungen läuft. Zum einen ist da die Suche nach Auswegen aus einer fast ausweglosen Lage. Zum anderen sind da die Vorbereitungen auf eine Situation, von der die Kanzlerin beruhigend sagt, die Bundesregierung habe sich auch darauf eingerichtet: den ungeordneten, chaotischen, den harten Brexit. "Wir sind vorbereitet", twitterte ebenfalls Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Dienstagabend kurz nach der Abstimmung im Unterhaus. Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) hatte am Montag den Bundestag schriftlich darüber informiert, dass die Bundesregierung die Planungen "für den Fall eines ungeregelten Ausscheidens" in den vergangenen Monaten vorangetrieben habe. Die entsprechenden Gesetze würden beraten, die Regierung sei den Abgeordneten "sehr verbunden" für die fortgesetzte Unterstützung. An diesem Donnerstag stimmt der Bundestag über das Brexit-Übergangsgesetz ab.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versicherte, es seien "alle Vorkehrungen" getroffen, um "negative Folgen eines harten Brexit zu minimieren". Zugleich warnte er, dass "alle verlieren" würden, sollte es dazu kommen. "Ich glaube, wir sollten den Briten die Möglichkeit geben, ihre Position zu klären." Er warb für weitere Gespräche zwischen der EU und Großbritannien. Zugleich stellte er jedoch klar, dass der ausgehandelte Deal "substanziell nicht nachverhandelbar" sei.

Aus der Wirtschaft kommt nun der Ruf nach Übergangslösungen

Die Bundesregierung versucht, mit dem Brexit-Gesetzespaket (und speziellen Ministerverordnungen) zu verhindern, dass ein ungeordneter Austritt Großbritanniens tatsächlich zu den befürchteten chaotischen Zuständen führt. So soll beispielsweise vermieden werden, dass britische Staatsangehörige im Falle eines ungeregelten Brexit sofort aus Deutschland ausreisen müssen. Zunächst soll es eine Übergangsfrist von drei Monaten geben, die mit Zustimmung des Bundesrates verlängert werden kann. Während dieser Zeit könnten britische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen "weiter ohne Aufenthaltstitel in Deutschland leben und arbeiten wie bisher", heißt es in einer Verordnung des Bundesinnenministeriums. Das Arbeitsministerium plant, Briten, die bis zum Brexit regulär in Deutschland gelebt haben, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das Finanzministerium wiederum will in diesem Jahr 900 neue Zollmitarbeiter einstellen, um die nach dem Brexit nötigen neuen Kontrollen zu bewältigen.

Alarmrufe kommen, wie erwartet, aus der Wirtschaft. Besonders betroffen sieht sich die Chemie- und Pharmaindustrie. Im Falle eines harten Brexit könnten Lieferketten komplett zusammenbrechen, warnte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann. "Spezielle Übergangslösungen" seien unverzichtbar.

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