Debatte um Solidaritätszuschlag:Zeit für den Aufbau West

Manche Städte im Westen müssen sich jede neue Bushaltestelle von einem Sparkommissar genehmigen lassen, während in den Osten Millionen gepumpt werden. Man kann solche Vergleiche populistisch nennen, aber die Fakten stimmen. Wenn man sie anführt, geht es nicht darum, West und Ost gegeneinander auszuspielen - es geht um die Frage, wie man Geld gerecht verteilt.

Bernd Dörries

Tief im Westen werden Theater geschlossen, damit im Osten neue gebaut werden können. In Nordrhein-Westfalen gibt es so viele Staus wie sonst fast nirgends auf der Welt, in Mecklenburg-Vorpommern weihen Politiker Autobahnen ein, auf denen man problemlos wenden kann. Im Ruhrgebiet müssen die Kommunen Nothaushalte aufstellen, während sich Gemeinden in Sachsen mit West-Geld schuldenfrei machen. Von den 400 Städten in Nordrhein-Westfalen haben gerade acht einen ausgeglichenen Haushalt. Die Stadt Duisburg muss sich jede neue Bushaltestelle von einem Sparkommissar genehmigen lassen, so viele Schulden hat sie. Was der immer genehmigt hat, war das Geldpäckchen für den Osten, 500 Millionen Euro in den vergangenen 20 Jahren, für die Duisburg neue Kredite aufnehmen musste - an denen die Stadt nun erstickt.

Solidaritätszuschlag laut Gericht verfassungswidrig

Aufschwung Ost: Im Ruhrgebiet müssen die Kommunen Nothaushalte aufstellen, während sich Gemeinden in Sachsen mit West-Geld schuldenfrei machen.

(Foto: ZB-Fotoreport)

Man kann solche Vergleiche populistisch nennen, aber die Fakten stimmen. Wenn man sie anführt, geht es nicht darum, West und Ost gegeneinander auszuspielen. Es geht um die Frage, wie man Geld gerecht verteilt. CDU und FDP reden darüber, den Solidaritätszuschlag abzusenken, aber das ist die falsche Diskussion. Für Steuersenkungen ist ohnehin kein Geld da. Die Debatte wird an der falschen Stelle geführt, weil es nur darum geht, auf diese Weise die Zustimmung des Bundesrats für Wahlversprechen zu umgehen. Stattdessen müsste es eine Grundsatzdiskussion darüber geben, wie es weitergehen soll mit der innerdeutschen Solidarität. "Der Westen ist verstärkt am Zuge", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon 2008 gesagt, er solle mehr Geld bekommen für seine Straßen und Gleise. Angekommen ist die Hilfe aber nie.

Kulisse für Schimanski

Es gibt im armen Westen ein Mosern und Meckern über die politisch korrekte Subventionierung nach Himmelsrichtung, einen Aufschrei gibt es nicht. Deutschland hat sich daran gewöhnt, dass es dem Ruhrgebiet dreckig geht: Arm aber ehrlich und Gott sei Dank nicht wehleidig, so hat man die Menschen dort gern. Arm sein gehört zur Folklore, gibt die richtige Kulisse für Schimanski. Wenn es dem Osten schlecht geht, dann stilisiert das nicht zuletzt der Osten selbst zu einer moralischen Frage hoch, zum Scheitern und Gelingen der Einheit. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern die jungen Leute wegziehen oder die Landärzte fehlen, dann findet das auch der Oberstudienrat in Stuttgart irgendwie schlimm. Wenn im Ruhrgebiet ganze Stadtteile abgerissen werden, weil dort niemand mehr leben will, ist das der Strukturwandel. Dann ist das normal.

Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, wollte die Stimme dieser Leute werden, hat im Wahlkampf angekündigt, den Solidarpakt Ost neu zu verhandeln. Seitdem hat man von diesem Vorhaben nicht mehr viel gehört. Kraft kümmert sich zumindest um die Kommunen in NRW, gibt ihnen Geld zum Überleben. Oft ist es nicht viel mehr als ein Gnadenbrot und zeigt, wie grotesk mittlerweile die Geldflüsse sind in Deutschland, die zu Zeiten der Wiedervereinigung sinnvoll waren, heute aber nicht mehr sind. Das Land NRW verschuldet sich, damit verschuldete Ruhrgebietsstädte ihre Gelder für den Osten zahlen können und die Haushalte dort schuldenfrei werden. Dann wird dort über neue Straßen und Bahnlinien nachgedacht, während die Pendler im Ruhrgebiet wie in Sardinenbüchsen durch das Land gekarrt werden.

Man sollte also nicht darüber reden, wie CDU und FDP ihre Wahlversprechen doch noch einlösen könnten, sondern über einen neuen deutschen Solidarpakt. Darin sollten auch westdeutsche Kommunen zu Hilfsempfängern werden können. In Nordrhein-Westfalen muss jetzt in Infrastruktur investiert werden, damit nicht große Teile des Landes zum neuen Osten werden. Sonst wird, wenn der Solidarpakt Ost 2019 ausläuft, gleich einen neuer für den Westen gebraucht.

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