DDR:Erich, Ochs und Esel

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Der Historiker und Biograf Martin Sabrow spricht über die Engstirnigkeit, mit der Staatschef Honecker noch im August 1989 den Sozialismus pries.

Interview von Thomas Balbierer

Am 14. August 1989 überreichen Mitarbeiter des Erfurter Kombinats Mikroelektronik dem DDR-Staatschef Erich Honecker ein Muster des ersten DDR-32-Bit-Mikroprozessors. Honecker ist so begeistert, dass er einen alten Spruch der Arbeiterbewegung zitiert: "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf." Kurze Zeit später ist die DDR Geschichte, das Zitat gilt bald als Symbol für Honeckers Realitätsverlust.

Martin Sabrow, 65, ist Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Er arbeitet am zweiten Band seiner Honecker-Biografie, der erste Band erschien 2016. (Foto: picture alliance/dpa)

SZ: Herr Sabrow, als Honecker vor 30 Jahren den Sozialismus für unaufhaltsam erklärte, flüchteten bereits Tausende aus der DDR, es gab Proteste, die Wirtschaft lag am Boden. Wollte der SED-Chef die dramatische Lage nicht wahrhaben?

Martin Sabrow: Er hatte sich in den Jahren zuvor sehr weit von der Innenpolitik weg- und zur Außenpolitik hinbewegt und den Eindruck gewonnen, dass die DDR ein Staat internationalen Formates geworden sei. Und zu dieser Auffassung konnte er auch gute Gründe haben, wegen der Wertschätzung und Anerkennung, die er in der westlichen Welt erfuhr.

Trotzdem pries Honecker die innere Stärke der SED. Als der SPD-Politiker Johannes Rau ihn fragte, warum die Stimmung in seinem Land so mies sei, antwortete Honecker: "Die Einheit der Massen mit der Partei war noch nie so stark wie heute. Das Volk steht hinter der Partei."

Als Johannes Rau ihn zur Leipziger Frühjahrsmesse 1989 besuchte, zog die FDJ Fähnchen schwingend an Honecker vorbei. Da fühlte er sich wohl in seniler Sentimentalität an seine Jugendzeit und seine Zeit als FDJ-Gründer erinnert und ließ sich von dieser Stimmung mitreißen. Es war ihm natürlich längst nicht so deutlich wie uns heute, dass das gesamte Herrschaftssystem der DDR einem Potemkinschen Dorf glich. Die Funktionärselite lebte in einer Blase, in der es nur ihr selbst gut ging. Ein eindrucksvolles Beispiel bietet das geschminkte Äußere der sogenannten Protokollstrecke von Wandlitz nach Berlin, an der verwahrloste Hausfassaden bis zum ersten Stock aufgefrischt wurden - höher reichte der Blick des Generalsekretärs durch die Seitenscheiben seiner Staatslimousine nicht.

Honecker war also völlig abgeschirmt?

Sicherlich lebte Honecker in Imagination eines täglich neu inszenierten Konsenses zwischen Volk und Führung. Auf der anderen Seite war er kein Traumtänzer. Auch ihm war zumindest in Umrissen bewusst, wie schwierig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren. Er verließ sich hier auf den autoritären Lenkungsstil seines Wirtschaftsverantwortlichen Günter Mittag und verbot Gerhard Schürer, dem Leiter der Plankommission, das Wort, als der ihn wiederholt über die desolate Lage unterrichten wollte.

Das klingt, als hätte er die Realität bewusst ausgeblendet?

Er hat die negativen Bilder der Innenpolitik durch die außenpolitischen Erfolge kompensiert und nicht erkennen wollen, dass es ein Wechselverhältnis von äußerer Integration und innerer Auflösung des Regimes gab. Die internationale Integration bedeutete ja, dass die DDR aus ihrer Isolierung ein Stück weit heraustreten musste. Zum Beispiel durch die wechselseitigen Besuche von BRD- und DDR-Politikern. Das hat Honecker als Stärkung empfunden, faktisch führte es in das Gegenteil: in eine Schwächung.

Im Spätsommer 1989 war Honecker bereits schwer krank, er litt an Krebs. Wenige Tage nach dem Spruch wurde ihm die Galle entfernt. War er überhaupt noch fähig, die Geschicke der DDR zu leiten?

Er selbst sagte nach seiner Absetzung im Politbüro am 17. Oktober 1989 zu einer Vertrauten, dass er eigentlich froh sei - er hätte diese Last nicht mehr tragen können. Sein gesundheitlicher Zusammenbruch infolge einer Gallenkolik ereignete sich beim Treffen der Warschauer-Pakt-Staaten in Bukarest im Juli 1989. Honecker wurde später in Ostberlin operiert und war eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt. Aber im September glaubte Honecker, er könnte erfrischt weitermachen. "So, da wären wir wieder", sagte er, als er im Politbüro auftauchte. Dass er auch an Nierenkrebs litt, erfuhr er erst im Januar 1990. Eine Reduktion der geistigen Spannkraft ist bei ihm schon beobachtbar gewesen. Das bestimmte auch in starkem Maße sein Handeln. Ich denke da an den von ihm am 1. Oktober 1989 in eine Nachrichtenmeldung hineinredigierten Satz über die DDR-Botschaftsflüchtlinge, denen man keine Träne nachweinen sollte. Hier zeigte sich eine starke Engstirnigkeit und Eigensinnigkeit, die im Nachhinein als Beschleunigung des Untergangs gelesen wird. Man kann diese Lesart allerdings auch umdrehen und sagen: Diese Engstirnigkeit könnte die Voraussetzung gewesen sein, um ohne Blick nach links und rechts einen Kurs beharrlich weiterzuverfolgen, der sonst schon früher gescheitert wäre.

Vor Gericht sagte Honecker 1992, die DDR habe gezeigt, "dass Sozialismus möglich und besser sein kann als Kapitalismus".

Honecker war ein Kommunist von der ersten bis zur letzten Stunde seines politischen Lebens. Er verarbeitete das Ende der DDR nicht als traumatisches Ende des Sozialismus, sondern als temporäre Niederlage, aus der man gestärkt hervorgehen werde.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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