Datenschutz:Der gläserne Urlauber

Das Bundeskriminalamt träumt davon, künftige Straftaten vorhersagen zu können. Den Preis dafür zahlen Fluggäste, deren Daten in einem riesigen Heuhafen gesammelt werden und für den Staat einsehbar sind.

Von Ronen Steinke

Na, Urlaubsreise schon gebucht? Falls ja, weiß das Bundeskriminalamt schon Bescheid. Beim BKA nämlich werden seit knapp einem Jahr alle Daten zu Flugbuchungen aus und innerhalb Deutschlands gesammelt, ganz egal ob es irgendeinen Zusammenhang zu Kriminalität gibt oder - was natürlich auf 99,9 Prozent aller Fälle zutrifft - nicht. Es werden gleich sechzig Datenkategorien erhoben, neben Namen, Adressen und Reiserouten sind das Kreditkartennummern, E-Mail, Telefon, die Daten von mitreisenden Kindern, das Gepäck, die Sitzplatzwahl und noch etliches mehr.

Das ist gewaltig, zumal diese Dinge sogar zehn Mal so lange gespeichert werden wie bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten, nämlich nicht für ein halbes Jahr, sondern für fünf Jahre. Und zumal diese Daten, anders als noch bei der Telekom-Vorratsdatenspeicherung, direkt beim Staat landen, auf dass der Staat in diesem Datenwust herumstöbere. Wenn jetzt Bürgerrechtler vor Gericht ziehen, um diese Praxis möglichst bald durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen, dann überrascht daran höchstens eines: dass es so lange gedauert hat.

Für die Fahndung nach gesuchten Kriminellen, die auf und davon fliegen wollen, braucht man diese Speicherung nicht. Da würde am Flughafen auch ein einfacher Blick ins digitale Fahndungsbuch ausreichen. Aufklappen, reinschauen, wieder zuklappen - so wird es jeden Tag x-mal bei Passkontrollen praktiziert, und wenn sich ergibt, dass nach dem Bürger nicht gefahndet wird, dann kann man ihm einfach einen guten Flug wünschen. Da muss nichts gespeichert werden.

Gesuchte Straftäter hingegen können innereuropäisch weiterhin leicht unter falschem Namen fliegen. Denn innerhalb des Schengenraums verzichten viele Fluglinien darauf, Ausweise zu kontrollieren. Gesuchte Kriminelle können die große neue Datenbank des BKA also mit Erlogenem füttern. Das heißt: Die Cleveren unter ihnen erwischt man so nicht, und ganz bestimmt auch nicht die Cleveren unter den Terroristen. Was der Staat aber erhält, das ist ein gigantischer, rasant wachsender Datenberg all der Menschen, nach denen nicht gefahndet wird.

Die Speicherung der Passagierdaten folgt dem in der präventivpolizeilichen Gesetzgebung zunehmend wirkmächtigen You-never-know-Prinzip: Man weiß ja nie, wozu's mal gut ist. Es ist der Beginn eines Big-Data-Experiments mit offenem Ausgang. Wer in den kommenden Wochen in den Urlaub fliegt, nimmt teil.

Das BKA will die entstehenden Daten-Heuhaufen nutzen, um Personen zu finden, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie "innerhalb eines übersehbaren Zeitraumes" - also in der Zukunft! - eine Straftat begehen könnten. So steht es seit dem vergangenen Jahr im Fluggastdatengesetz, so lautet der neue Auftrag an die Beamten. Sie sollen mit den Passagierdaten Algorithmen trainieren; sie sollen lernen, wie sich Menschen verhalten, bevor sie Kriminelles tun.

Damit wird zwar noch kein Bürger in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Der Schaden ist, wie immer beim Datenschutz, subtiler: Es entsteht ein Druck, nicht aufzufallen. Es entsteht ein Zwang für alle Unbescholtenen, das BKA mit ihren Daten zu unterstützen auf dessen Reise in die schöne neue Welt. Man würde schon sehr staunen, wenn der Europäische Gerichtshof dies so stehenließe.

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