Chronik des Leidensweges:Acht Jahre Albtraum für die Krankenschwestern

Es war der Traum vom Leben ohne Geldsorgen, der fünf bulgarische Krankenschwestern als Gastarbeiterinnen nach Libyen lockte. Doch der Traum wurde zum Albtraum. Eine Chronik.

Nadeschda Scharfenberg

Seit achteinhalb Jahren sitzen die Frauen mit einem palästinensischen Arzt in Nordafrika hinter Gittern. Sie sind zum Tode verurteilt, weil sie angeblich mehr als 400 Kinder mit HIV infiziert haben.

Februar 1999: Im Zusammenhang mit einer Welle von HIV-Infektionen in der Kinderklinik von Bengasi werden die Krankenschwestern Kristiana Waltschewa, Nasja Nenowa, Walentina Siropolo, Walia Tscherwenjaschka, Sneschana Dimitrowa und der bulgarische Arzt Sdrawko Georgiew festgenommen. Verdächtigt wird auch der Palästinenser Aschraf al-Hadschusch.

7. Februar 2000: Prozessbeginn. Die Angeklagten, denen zunächst weder Anwälte noch Dolmetscher zur Verfügung stehen, werden beschuldigt, im Auftrag des israelischen Geheimdienstes Mossad und der CIA 426 Kinder mit HIV infiziert zu haben. Israel und die USA hätten so das libysche Regime schwächen wollen. Drei Angeklagte legen Geständnisse ab, widerrufen diese aber später: Sie seien durch Folter zu den Aussagen gezwungen worden.

8. Juli 2003: Der Vorwurf, die Mediziner hätten für Geheimdienste gearbeitet, wird zurückgezogen. Nun heißt es, die Angeklagten hätten an den Kindern Medikamente testen wollen. Die einzigen Beweismittel, angeblich verseuchte Blutkonserven, verschwinden.

3. September 2003: Einer der Entdecker des HI-Virus, der Franzose Luc Montagnier, wird als Experte gehört: Das Virus habe sich schon vor dem Eintreffen der Gastarbeiter in der Klinik aufgrund miserabler Hygiene ausgebreitet; Spritzen seien mehrfach verwendet worden. Das Gericht bestellt ein Gegengutachten aus libyscher Feder, das die Häftlinge belastet.

8. September 2003: Die Familien der Infizierten fordern zehn Millionen Dollar Blutgeld für jedes Kind, dann zögen sie die Anzeige zurück. Bulgarien lehnt ab.

6. Mai 2004: Die Schwestern und der palästinensische Arzt werden wegen Massenmordes zum Tod durch Erschießen verurteilt. Sdrawko Georgiew erhält wegen illegalen Devisenhandels vier Jahre Haft und kommt frei, weil er die Strafe schon abgesessen hat. Bis heute verweigert ihm Libyen die Ausreise, er lebt in der bulgarischen Botschaft in Tripolis. Die Anwälte der Verurteilten legen Berufung ein.

18. Januar 2005: Die Schwestern reichen Klage gegen zehn libysche Polizisten wegen Folter in Haft ein. Die Beamten werden am 7. Juni freigesprochen.

Dezember 2005: Bulgarien und Libyen einigen sich unter Vermittlung der EU und der USA darauf, einen Fonds für die infizierten Kinder einzurichten.

25. Dezember 2005: Das oberste Gericht hebt die Todesurteile wegen Verfahrensmängeln auf und verweist den Fall zurück an ein untergeordnetes Gericht, das den Prozess am 11.Mai 2006 aufnimmt.

24. November 2006: 114 Nobelpreisträger fordern in einem Brief an den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi die Freilassung der sechs Inhaftierten.

6. Dezember 2006: Ein neues Gutachten des italienischen Aids-Entdeckers Vittorio Colizzi untermauert die Unschuld der Inhaftierten.

19. Dezember 2006: Die Richter bestätigen die Todesurteile. Die Anwälte der Verurteilten legen abermals Berufung vor dem Obersten Gericht ein, erster Verhandlungstag ist der 20. Juni 2007.

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