Merz und Kramp-Karrenbauer:Seine Pflicht und ihre Aufgabe

Wenn Kramp-Karrenbauer und Merz ihre Worte ernst nehmen, beginnt für die CDU eine neue Zeitrechnung. Ihr Sieg kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Fast-Sieg Ursachen hatte, die nur beide gemeinsam lösen können.

Von Stefan Braun, Berlin

Immerhin, sie haben sich nun ein erstes Mal ausführlich besprochen. Wie man hört, ist es dabei nicht gehässig oder zornig oder triumphierend zugegangen. Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz haben ganz im Gegenteil alte Gräben zugeschüttet statt sie neu aufzureißen.

Sollte sich das fortsetzen, dann hätte die Partei einen echten Fortschritt in eigener Sache gemacht. Der fünfwöchige Wahlkampf bis zum Hamburger Parteitag war noch viel zu sehr beherrscht von alten Schubladen und Emotionen. Er war von Anfang an zu sehr ein Duell Frau gegen Mann; er war zu sehr ein Konflikt zwischen Merkel-Freunden und Merkel-Gegnern; er war zu sehr eine Auseinandersetzung über die Frage, wie viel von der bisherigen Politik richtig und wie viel davon falsch war.

So sehr viele Parteimitglieder die neue Debattenfreiheit genossen haben - so sehr steckte in dieser Konstellation die Gefahr, dass nach der Auszählung auf dem Parteitag bei einer Hälfte der große Katzenjammer ausbrechen würde. Wer sich umhörte, mit welcher Stimmung die Delegierten nach Hause fuhren, konnte sich bestätigt fühlen. Von großem Aufbruch war auch unter den Anhängerinnen von Annegret Kramp-Karrenbauer kaum die Rede.

Umso wichtiger ist für die CDU, was jetzt kommt. Das heißt zum einen, ob Merz und Kramp-Karrenbauer einen Weg für eine intelligente Zusammenarbeit finden. Und es heißt zum anderen - und das ist für die Zukunft der CDU viel wichtiger - ob sie sich gemeinsam den Themen widmen, die zum großen Zuspruch für Merz geführt haben.

Dass Merz binnen weniger Wochen derart viele in der CDU noch einmal für sich mobilisieren konnte, lässt sich nämlich nicht damit erklären, dass alle seit Jahren nur auf ihn gewartet hätten. Das Hauptproblem der CDU war, dass zentrale Themen und Bedürfnisse der christdemokratischen Gefolgschaft nicht mehr angemessen thematisiert wurden.

Da ist zuallererst die Frage, welche Konsequenzen die CDU kulturell, politisch und sicherheitspolitisch aus der Migration ziehen muss. Und da ist zum zweiten die Frage, wie sie sich die Wirtschaft und den Sozialstaat in den umstürzenden Zeiten der Digitalisierung vorstellt. Beide Themen sind enger als alles andere mit dem verbunden, was viele Mitglieder der Partei auf Merz projiziert haben. Und beide Themen wurden auf den Regionalkonferenzen allenfalls angetippt, aber nie ausführlich besprochen.

Daraus ergibt sich für Merz eine Verpflichtung und für Kramp-Karrenbauer eine Aufgabe. Wenn Merz seine Worte der Kandidatur ernst nimmt, dann darf er sich jetzt nicht in die Büsche schlagen. Wenn stimmt, dass es ihm um die Zukunft der CDU geht, muss er seine Fähigkeit und seine Leidenschaft in den Dienst der Partei stellen. Und Kramp-Karrenbauer muss den Mut und die Phantasie haben, ihn mit Ressourcen und Raum auszustatten, damit seine Re-Integration tatsächlich Wirkung zeigt.

Dann nämlich kann für die CDU Gutes draus erwachsen. Beispiel Migration: So verrückt es mit Blick auf die Geschichte erscheinen mag, so groß ist die Möglichkeit, dass ausgerechnet die einst von Merz angestoßene Debatte um eine Leitkultur heute eine ganz andere Kraft entfaltet.

Leitkultur nicht als Mechanismus zur Ausgrenzung, sondern zur Selbstvergewisserung

Als Merz sie im Jahr 2000 erstmals formulierte, wurde er belächelt und abgewehrt, von den politischen Kontrahenten genauso wie von vielen christdemokratischen Parteifreunden. Zu deutschtümelnd erschien vielen die Botschaft. Und zu wenig unternahm Merz, um dem entgegen zu wirken.

So setzte sich damals der Eindruck fest, die Initiative sei ein Akt, der sich gegen Flüchtlinge und Zugewanderte richten sollte. Das lehnte eine übergroße Mehrheit ab, bis hinauf zur eigenen CDU-Chefin namens Angela Merkel.

Heute dagegen hat sich die Debatte in der Gesellschaft grundlegend geändert. Bis hinein in das Milieu der Grünen ist zu spüren, dass viele Menschen innerhalb und außerhalb der Parteien ein großes Bedürfnis haben, sich der eigenen Regeln neu zu vergewissern. Das hängt mit der Aggression der Rechtsradikalen auch in der AfD zusammen. Noch wichtiger aber sind Gefühle, die sich seit der großen Migrationsbewegung breitgemacht haben.

Selbst engagierte Flüchtlingshelfer sprechen heute viel und ausführlich über die Frage, wie man Flüchtlingen mit ihren zum Teil ganz anderen Traditionen und Ritualen deutlich macht, in welcher liberalen, weltoffenen, emanzipierten Gesellschaft sie hier leben - und dass sie das ohne jeden Zweifel akzeptieren müssen.

Mit einem Mal ist der Gedanke nach einer Leitkultur nicht mehr ein Mechanismus zur Ausgrenzung, sondern zur Selbstvergewisserung eben jener Gesellschaft, in der man hier leben möchte.

Die Freiheit, die Emanzipation, den Schutz des Einzelnen zu verteidigen - das ist zum Kern der Leitkulturdebatte geworden. Ob der Begriff Leitkultur dabei hilfreich oder doch politisch kontaminiert ist, bleibt zweitrangig.

Wie ein Berater Merz zum wirkmächtigen Ideengeber werden könnte

Im Vordergrund steht das Bedürfnis sehr vieler Menschen, das zu verteidigen, was man in diesem Deutschland und Europa sein möchte. Bislang bieten das alle Parteien allenfalls in Ansätzen. Umso größer könnte die Rolle der CDU sein, sich hier mit Leidenschaft und Klarheit zu positionieren.

Welche Regeln sind für uns von überragender Bedeutung? Wie wollen wir sie verteidigen? Wie reagieren wir, wenn Menschen sie brechen? Und wann schicken wir Menschen wieder nach Hause, wenn sie diese Regeln erkennbar ablehnen.

Das fängt bei der Frage an, was eigentlich los ist, wenn Väter einer Lehrerin nicht die Hand geben. Und es hört nicht auf bei der Antwort auf die Frage, was getan wird, wenn jemand dauerhaft und immer wieder gegen zentrale Grundwerte verstößt, auch strafrechtlich. Dass es da schon viele einzelne Regeln gibt, steht außer Frage. Entscheidend bleibt, wie ein in sich schlüssiges Gesamtbild aussieht.

Im Ringen um große Koalitionen eigene Positionen kleingeschrieben

Der zweite große Aspekt, dessen Bedeutung sich mit dem enormen Zuspruch für Merz gezeigt hat, ist die Frage, wie sich die CDU angesichts einer rasant um sich greifenden Digitalisierung der Wirtschaft (wie des ganzen Lebens) aufstellt. Natürlich gibt es längst jüngere Merz-Nachfolger, die sich wie Carsten Linnemann, der Chef der Mittelstandsvereinigung, mit Verve in die Debatte stürzen.

Trotzdem haben die Koalitionsverträge von 2013 und 2017 ein Gefühl ausgelöst, dass die CDU im Ringen um große Koalitionen eigene Positionen kleingeschrieben hat. Ob sie diese Positionen nicht mehr hatte oder in den Verhandlungen nicht mehr erzwingen wollte, wurde nicht ersichtlich. Hängen blieb das weit verbreitete Gefühl, dass sie keine eigenen Ideen zum Beispiel zum modernen Sozialstaat in der Digitalisierung präsentierte.

Wie könnte eine Bundesagentur für Arbeit angepasst werden? Wie müsste eine moderne Digitalsteuer aussehen? Welche Antwort gibt es auf die großen Internetkonzerne der Vereinigten Staaten? Und wie müsste eine christdemokratische Wirtschaftspolitik aussehen, wenn Daten zum wichtigsten Rohstoff werden? Über alles wird auch in der CDU heftig gesprochen. Eine Strategie aber ist allenfalls in Ansätzen zu erkennen.

Soll aus dem spannenden Duell zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz für die CDU dauerhaft mehr Elan, mehr Ideen, mehr Leidenschaft und also mehr Anziehungskraft erwachsen, müssen diese Fragen beantwortet werden.

Nicht Anhängsel, sondern Impulsgeber

Dabei ist ein Beratergremium, wie es jetzt offenbar angedacht wird, nicht gerade spektakulär, aber auch nicht automatisch lächerlich. Es muss eben sehr ernsthaft und mit großem Engagement betrieben werden. Dann wäre Merz nicht nur ein Anhängsel, sondern einer, der Impulse setzt. Und er müsste beweisen, dass er nicht für sich, sondern für die Partei gekämpft hat.

Kramp-Karrenbauer hat bei ihrer erfolgreichen Rede auf dem Parteitag gezeigt, dass sie empathisch und leidenschaftlich mit den eigenen Leuten und ihren Bedürfnissen umgeht. Gelingt ihr jetzt noch die Integration des Rückkehrers, dann zeigt sie noch einmal und noch viel mehr, wie viel sie wirklich drauf hat.

Zur SZ-Startseite

CDU
:An die Arbeit

Das CDU-Präsidium tagt erstmals mit der neuen Parteichefin Kramp-Karrenbauer. Dabei wird auf Brimborium verzichtet und über jemanden gesprochen, der nicht anwesend ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: