CDU:Krampfbegriffe

Annegret Kramp-Karrenbauer zeichnet das Bild eines Landes, in dem angeblich dunkle Mächte die Meinungsfreiheit bedrohen. So bedient sie die Konservativen in ihrer Partei. Doch der Preis dafür ist hoch.

Von Ferdos Forudastan

Spätestens seit dieser Woche ist klar, welches Projekt für Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK, derzeit oberste Priorität hat: fast jede Erinnerung daran zu tilgen, dass sie noch vor wenigen Monaten zum fortschrittlichen Flügel der Christdemokraten gezählt wurde. Und die Konservativen in ihrer Partei sowie die CSU damit zu versöhnen, dass sie und nicht Friedrich Merz das Rennen um den CDU-Vorsitz gewonnen hat. Für diesen Zweck teilt die neue CDU-Vorsitzende ordentlich und vor allem in eine Richtung aus. Dass sie dabei Menschen verletzt, Vorurteile bedient und spalterisch wirkt, nimmt AKK offensichtlich in Kauf.

Da ist nicht nur ihr ebenso dümmlicher wie diskriminierender Karnevalsscherz, in dem sie Intersexuelle mit Männern gleichgesetzt hat, die sich nicht entscheiden können, ob sie im Sitzen oder im Stehen pinkeln. Da ist nun auch ihre Aschermittwochsrede, mit der Kramp-Karrenbauer kräftig am Zerrbild eines Landes malt, in dem die Bürger von dunklen Mächten daran gehindert werden zu sagen, wonach ihnen der Sinn steht oder zu tun, worauf sie ein Recht haben. Gewiss, dass eine Hamburger Kindertagesstätte Indianerkostüme für unerwünscht erklärt, ist schlicht überempfindlich. Kein Mensch, schon gar keiner im Kita-Alter, will indigene Völker herabwürdigen oder das Leid, das sie durch Kolonisatoren erfahren haben, verharmlosen, wenn er sich das Gesicht anmalt und den Kopf mit Federn schmückt. Aber diese eine Empfehlung so hochzujazzen, dass sie wie eine Weisung unter ungezählten anderen Weisungen daherkommt, ist einfach unredlich.

Schon richtig, manche Bürger - auch Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten - halten es aus ökologischen und/oder ethischen Gründen für nicht vertretbar, Feuerwerke zu veranstalten oder Fleisch zu essen. Aber nur weil der eine oder die andere das öffentlich äußert, in einem Zeitungsartikel etwa, einer Bundestagsrede oder einer Studie, werden jene, die gerne böllern und lustvoll Steak essen, doch noch lange nicht zu Verbrechern gemacht, wie AKK behauptet. Und vor allem ihr Wort vom "verkrampftesten Volk der Welt", mit dem sie die Kritik an ihrem Toilettenwitz pariert: Was soll verkrampft daran sein, dass es eine öffentliche Debatte darüber gibt? Dass Betroffene äußern, wie schmerzhaft so etwas für sie ist? Dass ein Teil der Kommentatoren den Spruch verurteilt, ein anderer ihn für harmlos erklärt? "Verkrampft" im Sinne von unfrei? Das ist Unsinn, was die CDU-Chefin natürlich auch weiß. Sie nutzt den Vorwurf der "Verkrampftheit" als Schild, hinter dem sie verbirgt, was sie eigentlich vermitteln will: dass eine Kontroverse darüber, ob man sich über Minderheiten so auslassen darf, vielen lästig ist.

Ja, AKK hat noch eine andere Seite als die, mit der sie ihr Aschermittwochs- Publikum zum Johlen bringt. So streitet sie - auch gegen Männer in den eigenen Reihen - für Frauenrechte. Aber die CDU-Chefin nutzt gleichzeitig aus, dass es in Teilen der Union und ihrer Wählerschaft gut ankommt, wenn sie so tut, als müsse man sich endlich gegen eine vermeintliche liberale Elite auflehnen, die einem großen Teil der Bevölkerung vermeintlich Ansichten oder Lebensmodelle vorschreibt, mit der die vermeintliche Mehrheit nichts anfangen kann. Ja, AKK hat die unterschiedlichen Lager in der CDU zusammenzuführen. Aber nicht um den Preis, dass sie die Bürger gegeneinander aufbringt.

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