Geburtshilfe:Was die Parteien für Schwangere tun wollen

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Nicht jede Schwangere hat das Glück, eine Hebamme zu haben, die sie vor und nach der Geburt betreut und berät. (Foto: dpa)
  • Vor der Bundestagswahl heben alle Parteien die Bedeutung der Geburtshilfe hervor.
  • Viele Schwangere und Hebammen beklagen hier Engpässe.
  • Es gibt immer mehr Kinder, zugleich sinkt die Zahl der Geburtskliniken.
  • Nur Grüne und Linke haben für den Bereich bereits konkrete Zusagen gemacht.

Von Jakob Schulz, Berlin

Reisewarnung, das klingt nach Krisengebiet und Terrorgefahr. Trotzdem gilt eine solche auch für Sylt und Fehmarn, zumindest inoffiziell. Schwangere sollten sich gut überlegen, dorthin zu reisen, warnte kürzlich die Elterninitiative Mother Hood. Plakativ weist der Verein so darauf hin, dass es vielerorts keine Geburtsstationen mehr gibt.

Selbst in Ballungszentren, kritisiert die Initiative, müssen sich Gebärende eine Hebamme teilen oder seien Geburtskliniken überlastet. In Berlin etwa sorgte jüngst der Fall einer Schwangeren für Aufsehen, die vom Krankenhaus wegen Überfüllung abgewiesen wurde und ihr Kind im eigenen Auto auf einem Parkplatz zur Welt bringen musste.

Seit Jahren steigt die Zahl der Geburten in Deutschland stetig. Knapp eine Dreiviertelmillion Babys kamen 2015 zur Welt, so viele wie seit 2001 nicht mehr. Die Entwicklung dürfte heute niemanden mehr überraschen, trotzdem trifft die größere Nachfrage nach Geburtshilfe auf ein stetig schrumpfendes Angebot: Die Zahl der Kreißsäle sinkt, Hebammen berichten von immer schlechteren Arbeitsbedingungen, werdende Mütter verzweifeln auf der Suche nach Unterstützung.

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Obwohl Politiker nicht müde werden, die Bedeutung von Familien und Kindern für das Land zu betonen, spielen die Belange werdender Mütter und ihrer Kinder offenbar keine große Rolle. Union und SPD schneiden das Thema in ihren Wahlprogrammen lediglich kurz an und betonen in knappen Sätzen, dass die Arbeit der Hebammen gestärkt werden müsse. Immerhin etwas konkreter werden Grüne und Linke, die detaillierte Vorschläge in ihre Programme aufgenommen haben. Auch FDP und AfD mahnen in ihren Programmen mehr Unterstützung an.

Viele Frauen werden während der Geburt alleingelassen

Auf dem Weg in die nächste Geburtsklinik müssen Schwangere immer weitere Wege zurücklegen. Die Zahl der Krankenhäuser, in denen Frauen entbinden können, ist seit 1991 um 40 Prozent gesunken. Grund sind oft die Kosten: Sechs von zehn Geburtsstationen machen Verluste. Gerade in kleineren Städten und auf dem Land leidet die Geburtshilfe. Seit 2015 verloren 40 Städte wie Schmalkalden, Schrobenhausen oder Lörrach ihre Kreißsäle.

Der Deutsche Hebammenverband (DHV) vertritt circa 19 000 und damit den Großteil der etwa 23 000 Hebammen in Deutschland. In sogenannten Wahlprüfsteinen forderte der DHV die im Bundestag vertretenen Parteien auf, zu ausgewählten Problemen und Anliegen der Geburtshilfe Stellung zu nehmen. Viele Schwangere berichten von großen Schwierigkeiten, Hebammen zu finden, die sie vor und nach der Geburt betreuen und beraten.

Von Ideen, Hebammen in strukturschwachen Gebieten finanziell zu fördern, halten Union und SPD wenig. Das geht aus den Antworten der Parteien hervor. Auch die Linke ist der Ansicht, dass privat betriebene Hebammenpraxen auch privat finanziert werden müssen. Die Grünen dagegen schlagen für Hebammen in unterversorgten Regionen einen "pauschalen Sicherstellungszuschlag" vor. Zudem will die Partei die Kommunen dazu ermuntern, Hebammen etwa Praxisräume zu stellen.

Viele Frauen werden während der Geburt im wahrsten Sinne des Wortes alleingelassen. Eine Umfrage unter Hebammen ergab 2015, dass fast die Hälfte von ihnen drei Gebärende gleichzeitig betreute. Grund ist einmal mehr finanzieller Druck; er führt dazu, dass die Häuser möglichst viele Geburten mit möglichst niedrigen Personalkosten abwickeln müssen. Zwar gibt es mehr Hebammen als früher, die arbeiten aber deutlich öfter nur in Teilzeit.

Der Verband fordert, dass jede Frau während der Geburt von einer Hebamme begleitet wird. Von einem solchen Eins-zu-eins-Betreuungsschlüssel halten CDU, CSU und SPD wenig. Die Union notiert dazu kühl, dass jedes Krankenhaus selbst für die Personalplanung zuständig sei. Die SPD schlägt vor, dass in Teilzeit arbeitende Hebammen ihr Arbeitspensum aufstocken sollten. Anders Grüne und Linke: Beide halten eine Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden für nötig.

Die meisten Hebammen in Deutschland arbeiten freiberuflich, viele davon als Beleghebammen in Kliniken. Viele von ihnen sahen sich zuletzt gezwungen, die Geburtshilfe aufzugeben und nur noch Geburtsvorbereitung und Nachsorge anzubieten. Grund sind gestiegene Prämien für die Haftpflichtversicherung von derzeit rund 7500 Euro pro Jahr. Sie sichert freiberufliche Hebammen ab, sollten sie Geburtsschäden zu verantworten haben. Sie können einen Teil dieser Summe allerdings von den Krankenkassen zurückfordern.

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Der DHV schlägt zweierlei vor: einen Haftungsfonds und eine Haftungshöchstgrenze für Hebammen oder ein öffentlich-rechtliches Haftungssystem analog zur gesetzlichen Unfallversicherung. Union und SPD gehen nicht auf diese Vorschläge ein. Die Grünen sprechen sich für ein Haftungssystem für Hebammen und andere Gesundheitsberufe aus. Die Linke unterstützt die Idee eines staatlichen Haftungsfonds.

Reisewarnungen für Schwangere oder Berichte über Sturzgeburten im Auto verdeutlichen es immer wieder: Geburtshilfe ist für zahllose Mütter, Kinder und ihre Familien wichtig, wenn nicht gar überlebenswichtig. Vielen Hebammen ist es denn auch rätselhaft, warum die Geburtshilfe im Bundestagswahlkampf nicht öfter thematisiert wird.

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© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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