Bundestagswahl 2017:OSZE schickt so viele Wahlbeobachter wie noch nie

Wahlurnen zur Bundestagswahl

Wahlurnen zur Bundestagswahl in einem Lagerraum: Am Wahlsonntag werden OSZE-Beobachter unter anderem prüfen, dass mit den Behältern ordnungsgemäß umgegangen wird.

(Foto: dpa)
  • Die OSZE-Wahlbeobachter prüfen die Regeln der Wahlkampagnenfinanzierung - und schauen, ob der Staat die AfD benachteiligt.
  • Der Rekord-Umfang der OSZE-Missionen soll ein Signal für andere Länder sein, mehr Wahlbeobachter zuzulassen.

Von Jakob Schulz, Berlin

Werden Stimmzettel manipuliert? Kandidaten von staatlicher Seite eingeschüchtert oder behindert? Oder gar die Wahlergebnisse im Nachhinein zugunsten einer Seite erfreulicher gestaltet? Wenn in einem Land Wahlen anstehen, sind oft internationale Beobachter vor Ort. In den 57 Staaten, die der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angehören, übernehmen das regelmäßig OSZE-Experten. Mitglied der Organisation sind die europäischen Staaten, die Türkei, die USA und Kanada sowie die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Je mehr Unregelmäßigkeiten bei einer Wahl erwartet werden, so der übliche Ansatz der Experten, desto mehr Beobachter machen sich auf den Weg.

Bei der Bundestagswahl an diesem Sonntag kommen so viele OSZE-Beobachter nach Deutschland wie nie zuvor. Hintergrund des Besuchs sei aber kein Misstrauen ins deutsche Wahlsystem, sagt Michael Link. Er war bis diesen Sommer Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR). Er wertet den Besuch der Beobachter eher als Zeichen der Offenheit der Bundesrepublik: "Deutschland kann zeigen, wie die deutsche Demokratie funktioniert". Im März lud die Bundesregierung die OSZE zur Bundestagswahl ein, am Wahltag werden nun gleich zwei OSZE-Delegationen im Land sein.

Zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl zu Gast ist eine Abordnung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Die 43 Parlamentarier aus 25 Ländern wie Russland, Kasachstan, Georgien oder Italien konzentrieren sich auf diesen Sonntag, sie werden in Berlin, München, Stuttgart, Köln und Düsseldorf unterwegs sein. "Wir untersuchen zum größten Teil den Ablauf am Wahltag und beobachten, wie der demokratische Prozess an diesem Tag funktioniert", erklärt George Tsereteli. Der georgische Parlamentarier ist Koordinator der parlamentarischen Mission. Konkret prüfen die 43 parlamentarischen Beobachter, ob die Bürger tatsächlich geheim wählen können, ob die Menschen auf dem Weg in die Kabine beeinflusst oder bedrängt werden, ob es im oder vor dem Stimmlokal Wahlwerbung gebe, erklärt Tsereteli. "Unser Job ist, zu beobachten, ob die Wahlbeauftragen gemäß unserer Regeln mit dem Wahlprozess umgehen."

Die zweite Delegation bilden vier Experten des OSZE-Büros ODIHR, die schon Wochen vor der dem Wahltag ins Land gekommen sind. Schwerpunkte ihrer Untersuchung: die Regulierung der Wahlkampagnenfinanzierung sowie eine mögliche Benachteiligung der Partei AfD. Bei einem Vorbereitungsbesuch von OSZE-Mitarbeitern im Juli hatten AfD-Politiker berichtet, dass sie keine Räume für Veranstaltungen bekämen oder dass ihre Wahlplakate zerrissen würden. Die OSZE untersuche allerdings nur, ob staatliche Diskriminierung geschehe, sagt Ex-ODIHR-Direktor Michael Link. Und er ist sicher: "Von staatlicher Benachteiligung der AfD kann in Deutschland überhaupt keine Rede sein." Einschätzungen, die vielen Beobachter bei der Wahl seien ein Misstrauensvotum gegen das System, weist auch die Organisatorin der parlamentarischen Delegation, Iryna Sabashuk, zurück: Es seien keine innerdeutschen Gründe, die die Parlamentarier zu ihrer Beobachtungsmission gebracht hätten, sagt sie.

Die deutsche OSZE-Mission hat große Symbolkraft

Besonders gespannt ist der ehemalige ODIHR-Direktor Link auf den ausführlichen Bericht des Expertenteams, der im Oktober veröffentlicht werden soll. Nach der Bundestagswahl 2009 hatten die Beobachter in ihrem Bericht kritisiert, dass Vereinigungen, die vom Bundeswahlausschuss nicht als Parteien anerkannt wurden, dagegen keinen Einspruch erheben konnten. In der folgenden Legislatur erweiterte der Bundestag das Wahlgesetz um eine entsprechende Möglichkeit. "Es tut auch entwickelten Demokratien wie Deutschland gut, sich regelmäßig so einer Kontrolle zu unterziehen", sagt Link.

Nicht alle Länder reagierten auf Kritikpunkte der Beobachter so zügig, ist am Rande der parlamentarischen Mission zu hören. Gleichzeitig würden die Empfehlungen der OSZE oft besonders beflissen umgesetzt, wenn Staaten bestimmte politische Ziele verfolgen, wie etwa einen Beitritt zur EU. Als Reaktion auf Beobachtungsmissionen beobachtet der georgische Koordinator George Tseretelis einen weiteren Trend. "Der Wahltag ist oft sehr zufriedenstellend, in der Zeit davor nehmen aber Einschüchterungen und Druck auf Kandidaten, Parteien oder Wähler zu."

Mit der größten OSZE-Beobachtungsmission der deutschen Geschichte verbindet so mancher denn auch eine besondere Symbolkraft. In der Vergangenheit, heißt es, beschwerten sich einige Länder über eine Doppelmoral - ihre Wahlen wurden von Hunderten Beobachtern überprüft, die Abstimmungen westlicher Staaten dagegen teils gar nicht. Diesem Eindruck können die OSZE-Missionen zur Bundestagswahl vorbeugen, hoffen einige Delegierte. Ex-ODIHR-Direktor Link geht noch weiter. Er sieht die Missionen in Deutschland als "Ausdruck der Erwartung an Staaten wie Türkei oder Russland, dass sie eine solche Offenheit auch zulassen".

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