Bundespräsidentenwahl:Österreich im Klebergate

Bundespräsidentenwahl in Österreich

Alexander Van der Bellen (links) und Norbert Hofer: Die Entscheidung, wer Österreichs nächster Präsident sein wird, wird wohl erneut vertagt.

(Foto: dpa)

Die Verschiebung der ohnehin nachgeholten Präsidentenwahl in Österreich gilt in Wien schon als fix. Eine Übersicht in sieben Punkten über Fakten, Spott und das weitere Prozedere.

Von Oliver Das Gupta

"Österreich hat durch seine politischen Blamagen erreicht, daß man in der großen Welt auf Österreich aufmerksam wurde und es endlich einmal mehr nicht mit Australien verwechselt."

Karl Kraus, aus den "Aphorismen" (1909)

Wenigstens das steht schon fest: 2016 wird als besonderes Jahr in der Geschichte der Republik Österreich eingehen. Vielleicht auch ein bisserl 2017. Liegt nicht am Kanzlerwechsel, liegt nicht an der stramm rechten FPÖ, auch nicht an der seltsam miesen Stimmung in dem weitgehend blühenden Land, das auf einer Karte die Umrisse eines Schnitzels hat.

Dieses Jahr ist deshalb besonders, weil Österreich zum wiederholten Male nicht in der Lage ist, eine Wahl abzuhalten - zumindest wird das immer wahrscheinlicher. Die Anzeichen mehren sich, dass die ohnehin nachgeholte Bundespräsidentenwahl verschoben wird. In Wien rechnet fast niemand mehr mit einem Urnengang am 2. Oktober.

Versuch eines Überblicks über das Geschehen der letzten Tage:

Die Leimspur. Wenn die Wahl verschoben werden sollte, liegt das an den Briefwahlunterlagen, die in Österreich Wahlkarten genannt werden. Eine Tochter des Traditionsunternehmen Firma Kroiss & Bichler hatte die Papiere gedruckt. Das Problem sind die Versandtaschen: Hunderte der Wahlkartenkuverts sind bislang aufgetaucht, die ohne Außeneinwirkung zu öffnen sind. Das macht die darin enthaltenen Wahlunterlagen ganz ohne Zutun des Wählers quasi ungültig.

Auslöser sei vermutlich eine "defekte Leimspur", hieß es zunächst. Das österreichische Bundeskriminalamt sprach davon, dass der Klebstoff möglicherweise beim Transport durch Hitze Schaden genommen hat. Skurriles Zuckerl am Rande: In einer Zweigstelle der Druckerei in Wien-Florisdorf wurde vor wenigen Tagen eingebrochen. Bislang gehen die Ermittler nicht von einem politischen Hintergrund aus.

Das Innenministerium. Für die Organisation der Wahl ist das Innenministerium in Wien zuständig. Der Ressortchef heißt Wolfgang Sobotka und ist in der christsozialen ÖVP beheimatet. Der Minister lässt seit Tagen prüfen, ob das Klebergate eine Verschiebung der Wahl nötig macht - und wie dieser Schritt juristisch zu deichseln ist. Sobotka ist vermutlich für eine Verschiebung, sonst wäre er bei einer erfolgreichen Anfechtung einer Wahl am 2. Oktober wohl sein schönes Amt los.

Genaugenommen trägt er schon jetzt die politische Verantwortung, was in Österreich weniger auffällt als im Nachbarland Schweiz. "Ein Innenminister, der ordentliche Wahlen nicht garantieren kann, sollte zurücktreten", schreibt der Tagesanzeiger aus Zürich. Was zur spannenden Frage führt, ab wann man in der austriakischen Politik personelle Konsequenzen zieht. Für Wirbel sorgte auch der Rat, den die Telefonhotline des Ministeriums Anrufern gab, wie sie mit den beschädigten Kuverts verfahren soll: Möglichst unauffällig zukleben, vielleicht merkt es niemand.

Der Spott. Sobald klar war, dass der Wahltermin wackelt, ergoss sich ein kreativer Reaktionenregen im Netz. Unter dem Hashtag #Wahlkartenfilme wurden bei Twitter bekannte Titel verballhornt zu "Das Kleben der Anderen", "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Karte zu kleben" und die "Die Rückkehr der Klebi-Ritter". ORF-Anchorman Armin Wolf orakelte, dass der Berliner Pannenflughafen BER womöglich doch noch in Betrieb geht, bevor ein neuer Präsident in den Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg einzieht. Wolf schob frotzelnd seinem ZDF-Kollegen Claus Kleber die Verantwortung für Klebergate zu - denn der thematisierte die Causa entsprechend im Heute Journal.

Das Scherzen unter Schmerzen schlägt sich auch in der Kommentierung nieder. Die konservative Tageszeitung Die Presse titelte ihren Leitartikel mit "Republik Banane". Von einer "Würstelstandrepublik", schrieb Alexandra Föderl-Schmid, die Chefredakteurin des liberalen Standard.

Schlamassel mit kafkaesken Zügen

Die Kandidaten. Die Anwärter auf das höchste Staatsamt gehen von einer Verschiebung der Stichwahl aus. Hofer preschte mit den Worten vor: "Es gibt einen neuen Termin". Das ist kurios, denn noch ist offiziell der 2. Oktober weder abgesagt noch es gibt es einen weiteren Wahltag. Vielleicht wollte Hofer nur zeigen, dass er mehr weiß.

Sein Konkurrent Van der Bellen sagte seinen Wahlkampfauftakt ab. Er gehe davon aus, dass der Nachholtermin nicht zu halten sei, sagte der Grüne inzwischen. "Es hat etwas Charmantes, den amerikanischen Wahlkampf zumindest in der Länge zu schlagen." Ein Hinweis darauf, dass die Österreicher erst einen Präsidenten bestimmen nach dem 8. November, dem Tag der US-Präsidentenwahl.

Das Prozedere. Juristen und Beobachter sind sich uneins, wie leicht oder schwer die Wahl verschiebbar ist. Manche weisen darauf hin, dass der Termin durch einen einfachen Kabinettsbeschluss gesetzt worden ist - also sei er auch entsprechend einfach zu vertagen. Auf der anderen Seite spricht viel dafür, dass größere politische wie juristische Klimmzüge vonnöten sind. Bislang ist eine Wahlverschiebung im Bundespräsidentenwahlgesetz nur vorgesehen, wenn einer der Kandidaten stirbt. Deshalb müsste das Parlament, der Nationalrat, eine entsprechende Gesetzesänderung beschließen.

Die Aussichten. Am Montagvormittag wird Innenministerminister Sobotka vermutlich bekanntgeben, dass die Wahl verschoben wird. Damit rechnet auch Bundeskanzler Christian Kern. Frühestens am 21. September könnten die gesetzlichen Neuerungen vom Nationalrat abgesegnet werden. Danach beginnen die praktischen Vorbereitungen von Neuem, gewählt werden könnte nach einer mehrwöchigen Vorlaufzeit.

In österreichischen Medien werden Termine im November und Mitte Dezember genannt. Auch eine Wiederholung im Januar 2017 hält man demnach für möglich - also mehr als acht Monate nach dem ersten Wahlgang am 24. April. Der Wahlkampf um das österreichische Präsidentenamt würde mit einer Länge von einem Jahr US-Ausmaße annehmen.

Die Nutznießer. Das Szenario kommt eher Norbert Hofer zugute. Wie schon bei der gekippten Stichwahl versucht die FPÖ das neue Schlamassel dem politischen Gegner anzulasten - wie fast alles, was irgendwie schief läuft in Österreich.

Außerdem sind nach dem aktuell geltenden Wahlgesetz all diejenigen von der Wahl ausgeschlossen, die seit dem ersten Wahlgang eigentlich abstimmen könnten: Diejenigen, die eingebürgert wurden und mit dem vollendeten 16. Lebensjahr wahlberechtigt wurden. Erhebungen zeigen, dass die jüngeren Wähler eher zu Van der Bellen neigen. Das könnte entscheidend sein: Bei der annullierten Stichwahl hatte Van der Bellen einen hauchdünnen Vorsprung von etwa 31 000 Stimmen.

Die Verschiebung nutzt auch dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinem Parteifreund Thomas Schellenbacher. Angesichts des Wirbels bei der Stichwahl findet der Betrugs- und Geldwäscheverdacht gegen Parlamentarier Schellenbacher kaum Beachtung, auch das Kokaintest-Scharmützel von Strache mit einem Journalisten wird bald vergessen sein.

Egal, wer am Ende gewinnt: Die österreichische Bundespräsidentenwahl verschafft dem kleinen Land international eine Menge Aufmerksamkeit. So ein Schlamassel schafft im 21. Jahrhundert bislang kein anderer mitteleuropäischer Staat, schon gar nicht mit solch kafkaesken Zügen. Wobei: Der Prager Franz Kafka war die meiste Zeit seines Lebens ja auch Österreicher.

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