Großbritannien:So könnte es im Brexit-Drama weitergehen

Brexit-Hardliner in London

Brexit-Hardliner vor dem britischen Parlament in London

(Foto: AFP)

Im britischen Parlament gab es zuletzt einige Kehrtwenden um den Abschied von der EU, die Lage ist unübersichtlich. Was passiert, wenn Ende März die Austritts-Frist abläuft? Ein Überblick.

Von Björn Finke, London

Das britische Parlament hat am Mittwochabend dem Plan der Premierministerin zugestimmt, am 14. März möglicherweise über eine Verschiebung des Brexit zu entscheiden. Theresa May hatte einen Aufschub lange als sinnlos bezeichnet, doch am Dienstag eine rasante Kehrtwende hingelegt. Die Abgeordneten stimmten über eigene Ideen zum weiteren Vorgehen beim Brexit ab. Ein parteiübergreifender Antrag sah vor, dem Unterhaus die Macht zu geben, eine Verschiebung zu erzwingen. May musste befürchten, dass viele ihrer konservativen Abgeordneten und sogar Minister den Antrag unterstützen. Daher machte sie sich den Antrag einen Tag vor der Abstimmung lieber zu eigen. 502 Parlamentarier votierten dafür, 20 dagegen. Ohne Abstimmung angenommen wurde ein Antrag, der dazu aufruft, die Rechte der Briten in der EU und die der EU-Ausländer in Großbritannien zu garantieren, selbst bei einem ungeregelten Brexit. Dagegen fiel ein Antrag der größten Oppositionspartei Labour durch. Der sprach sich dafür aus, dass das Königreich nach dem Austritt dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleibt. Parteichef Jeremy Corbyn verkündete daraufhin, nun den Ruf nach einem neuen Referendum über den Brexit zu unterstützen.

Die Lage ist also ein wenig unübersichtlich - ein Überblick: Das Land soll die EU am 29. März verlassen, in vier Wochen. Allerdings hat das Parlament bislang nicht den Austrittsvertrag gebilligt, auf den sich London und Brüssel geeinigt hatten. Ohne gültiges Abkommen droht ein ungeregelter Brexit: ohne Übergangsphase, dafür mit Zöllen und Zollkontrollen. Die große Mehrheit der Abgeordneten quer durch alle Parteien lehnt solch eine chaotische Trennung ab. May will den Vertrag bis 12. März noch einmal vorlegen. Gelingt das nicht oder verweigert das Unterhaus erneut die Zustimmung, dürfen die Parlamentarier zwei Tage später über eine Verschiebung entscheiden. Dies soll die Gefahr eines ungeregelten Brexit fürs Erste bannen. May spricht sich für höchstens drei Monate Aufschub aus.

Was geschieht, wenn das Parlament den Vertrag billigt?

Mitte Januar stimmte das Unterhaus mit großer Mehrheit gegen das Austrittsabkommen. Würden die Abgeordneten den Vertrag bis 12. März im zweiten Anlauf billigen, kann das Königreich die EU geordnet verlassen. Doch müsste das Parlament vor der Scheidung noch einige wichtige Gesetze verabschieden, zur Vorbereitung. Es gilt als unmöglich, dies bis 29. März zu schaffen. Auch nach einer Zustimmung des Unterhauses müsste May Brüssel folglich um einen kurzen Aufschub bitten.

Am 29. März passiert also nichts?

Nur in zwei Szenarien würden die Briten am 29. März austreten: Erstens könnte das Parlament den Brexit-Vertrag ablehnen und sich danach für eine ungeregelte Trennung anstatt einer Verschiebung aussprechen. Das gilt als ausgeschlossen. Die andere Variante wäre, dass das Unterhaus eine Verlängerung fordert, aber May diese nicht in Brüssel durchsetzen kann. Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich am 21. und 22. März zu einem Gipfel und könnten dort die Verlängerung gewähren. Die EU hat kein Interesse an einem chaotischen Austritt, der dem Mitgliedstaat Irland und auch der Wirtschaft vieler anderer Länder wie Deutschland oder Frankreich massiv schaden würde. Auf der anderen Seite ist fraglich, was ein Aufschub um drei Monate wirklich bringen würde außer fortgesetzter Unsicherheit. May müsste Brüssel erklären, wie sie die Blockade im Parlament bis Ende Juni auflösen will. Die EU könnte konkrete Forderungen stellen.

Was ist mit Labour?

Die Oppositionspartei Labour legte ebenfalls eine rasante Kehrtwende hin. Die Sozialdemokraten verkündeten am Montag, eine neue Brexit-Volksabstimmung zu unterstützen. Zunächst wollte die Partei jedoch versuchen, May auf einen sanfteren Austritts-Kurs zu zwingen. Ein entsprechender Antrag fand aber am Mittwochabend keine Mehrheit. Bei den Wahlen 2017 versprach Labour, das Land aus der EU zu führen, weswegen die Unterstützung eines Referendums heikel ist. Parteichef Corbyn argumentiert, dass eine Volksabstimmung der letzte Ausweg sein könnte, um den seiner Meinung nach schädlichen, harten Brexit-Kurs Mays oder gar einen ungeregelten Austritt zu verhindern.

Im Parlament ist bisher allerdings keine Mehrheit für ein zweites Referendum absehbar. Solange das Parlament nicht dem Austrittsvertrag zustimmt, droht ein ungeregelter Brexit. Bringt May das Abkommen auch während einer Verlängerung nicht durchs Unterhaus, könnte das Land Ende Juni ohne Vertrag aus der EU krachen. Ein weiterer Aufschub wäre schwierig, denn Anfang Juli tritt das Europäische Parlament neu zusammen, und die Briten wollen an der Wahl dazu im Mai nicht teilnehmen. Manche Beobachter gehen aber davon aus, dass die Chancen des Abkommens nun gestiegen sind. Mitte Januar stimmten viele Brexit-begeisterte Konservative gegen den Vertrag und fügten ihrer Parteichefin May damit eine herbe Niederlage zu. Diese Abweichler stören sich an der sogenannten Backstop-Klausel für Nordirland. May verhandelt mit Brüssel über Änderungen und will das Abkommen dann erneut vorlegen. Seit ihrer Ankündigung vom Dienstag ist klar, dass eine erneute Ablehnung vermutlich zu einer Verschiebung führt. Was während dieses Aufschubs passiert, ist schwer vorhersehbar. Vielleicht mündet die Krise sogar in Neuwahlen, sicher werden Rufe nach einem zweiten Referendum lauter. Für Brexit-Fans sind solche Komplikationen ein Gräuel. Der verhasste Austrittsvertrag könnte ihnen auf einmal als das kleinere Übel erscheinen.

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