Außenansicht:Von Regeln und Realitäten

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Michael Seewald, 30, ist Professor für katholische Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. (Foto: oh)

Dürfen evangelische Ehepartner von Katholiken ausnahmsweise zur Kommuinion gehen? Der Streit, der in der katholischen Kirche ausgetragen wird, ist bizarr: Es soll nicht aufgeschrieben werden, was längst Praxis ist. Das steht für ein Grundsatzproblem dieser Kirche.

Von Michael Seewald

Die erstaunlichste Erkenntnis des an bizarren Erkenntnissen reichen Kommunionstreits innerhalb der katholischen Kirche ist diese: Die Mehrheit und die Minderheit der Bischöfe in Deutschland will, man höre und staune, das Gleiche. Beide finden es in Ordnung, dass evangelische Christen mit ihrem katholischen Ehepartner im Einzelfall zur Kommunion gehen.

Die Mehrheit ist aber dafür, das auch aufzuschreiben. Damit sollen die Betroffenen von dem zwielichtigen Verdacht entlastet werden, sie erschleichen sich ein Sakrament. Eine Minderheit von sieben Bischöfen, die in dieser Angelegenheit Rom "um Hilfe" angerufen und dort auch hilfsbereite Menschen gefunden hat, weiß, dass die in Frage stehende Praxis selbst in ihren Bistümern gang und gäbe ist. Dagegen haben die Sieben nichts. Sie wollen nur nicht, dass irgendwo aufgeschrieben wird, dass sie nichts dagegen haben. Ansonsten, heißt es, würde die Ausnahme zur Regel.

Man kann das als "Ambivalenzfähigkeit" loben, oder schlicht als "Doppelmoral" kritisieren, wie es Gerhard Feige, Bischof von Magdeburg und Vorsitzender der Ökumene-Kommission der Bischofskonferenz, in großem Freimut getan hat. Es wäre auch zu fragen, ob eine Ausnahme schon dadurch zum Regelfall mutiert, dass geklärt wird, wann eine Ausnahmeregelung überhaupt greift. Mündlich klären das die Sieben auch, nur schriftlich wollen sie es nicht, weil das Einheit und Glaube der Gesamtkirche gefährde. Diese Einheit und dieser Glaube sind offenbar an die Schriftform gebunden. Was wirklich in den Gemeinden passiert, ist nicht so wichtig. Die Lasten der Ambivalenzbewältigung tragen die Pfarrer und Kirchenmitarbeiter, die der Spagat zwischen kirchlichem Solange das, was schwarz auf weiß zu lesen ist, dem Idealstand entspricht, ist alles in bester Ordnung - gemeindliche Realität hin oder her. Was wirklich passiert, wirkt demgegenüber nicht so wichtig.

Diese Haltung schafft enorme Lasten der Ambivalenzbewältigung zwischen einem sich immer mehr "entweltlichenden", kirchlichen Soll-Stand und einem sich zunehmend "entkirchlichenden", gesellschaftlichen Ist-Stand. Es wäre eine gesamtkirchliche Aufgabe, diese Lasten gemeinsam zu tragen. Stattdessen verstricken manche sich in absurde Logiken.

Denn wenn die Vorschrift, dass nur Katholiken zur Kommunion gehen dürfen, eine "geoffenbarte Wahrheit" wäre, wie einige, die es wissen müssten, behaupten, dann bildete der Kommunionempfang eines evangelischen Christen einen Verstoß gegen Gottes Gebot. Die Bischöfe, dabei könnten die Sieben vorbildlich vorangehen, müssten dann konsequenterweise alles daransetzen, solche Verstöße zu verhindern - anstatt mündliche Bedingungen zu nennen, unter denen die gotteswidrige Praxis doch ermöglicht wird, solange man dazu nur nichts aufschreibt.

Die katholische Kirche hat zwei Gesichter. Man weiß nie, welches einen gerade anschaut

Rom verhält sich uneindeutig. Man hat den Eindruck, dass ein Wettlauf zum Ohr des Heiligen Vaters im Gange ist, bei dem mal der eine, mal der andere Gehör findet. Hieß es nach einem Gespräch in der Glaubenskongregation zunächst, die deutschen Bischöfe sollten den Streit untereinander lösen, wurde die Handreichung kurz danach doch gestoppt. Anschließend ist es offenbar der Mehrheitsfraktion der deutschen Bischöfe wieder gelungen, dem Papst klarzumachen, dass die Handreichung keine generelle Freigabe des Kommunionempfangs beabsichtigt, wie ihm von anderer Seite zugetragen worden sein mag. Diese neue Erkenntnis mag Franziskus zu der überraschenden Äußerung bewogen haben, die Handreichung sei sogar "restriktiver" als das Kirchenrecht. Sollte der oberste Richter der Kirche bei dieser Auffassung bleiben, hätte sich der Vorwurf erledigt, die Handreichung dehne, überschreite oder breche gar das Recht.

Eine Crux bleibt das Problem der Zuständigkeit. Franziskus sagt, dass genau diese Frage "die Schwierigkeit in der Diskussion" sei, "nicht so sehr der Inhalt" des Dokuments. Er favorisiert offenbar die Möglichkeit, dem einzelnen Bischof, nicht aber der Konferenz als ganzer, einen größeren Spielraum zuzugestehen, um sinnvolle Lösungen in der Kommunionfrage zu finden. Das kirchliche Gesetzbuch ist da großzügiger. Das katholische Kirchenrecht verweist Sonderregelungen zum Kommunionempfang nämlich an das "Urteil des Diözesanbischofs beziehungsweise der Bischofskonferenz". Auch wenn der Ortsbischof der primär Handelnde bleibt, wird eine mögliche Zuständigkeit der Konferenz ausdrücklich genannt. Bei einer Situation, die in allen Bistümern ähnlich ist und alle Bischöfe damit vor dieselbe Herausforderung stellt, wäre es nicht die schlechteste Idee, weiterhin eine Regelung auf Ebene der Bischofskonferenz anzustreben.

Betrachtet man den Streit auf einer grundsätzlichen Ebene, so steht er symptomatisch für ein Problem, das sich in den vergangenen Jahren verschärft hat: die Janusköpfigkeit, in der die katholische Kirche sich präsentiert. Sie hat zwei Gesichter, und man weiß nie so recht, welches einen gerade anschaut. Sie besitzt ein freundliches, einfühlsames, Verständnis mimendes Gesicht - und sie hat ein Gesicht, das für gar nichts Verständnis hat, was nicht dem eigenen dogmatischen Idealstand entspricht und versucht, alles den eigenen Vorstellungen zu unterwerfen. Widersetzen sich Theologen dieser Macht, werden sie überwacht, denunziert und ihre Loyalität aufgrund absurder Indizien angezweifelt, was noch absurdere Formen der autoritativen Konfliktbewältigung nach sich zieht.

Die Eucharistiefeier wird in vielen Predigten als das große Mahl der Bedrückten und Bedrängten dargestellt, zu dem Gott in seiner Liebe einlädt. So das freundliche Gesicht. Natürlich ist das zu einfach gedacht und bedarf der Differenzierung. Das andere Gesicht klärt aber darüber auf, dass diese Einladung hochexklusiv ist: Sie gilt natürlich nicht für Protestanten; sie gilt im Prinzip auch nicht für geschiedene und wieder verheiratete Christen. Sie gilt erst recht nicht für Menschen, die in einer stabilen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Und sie gilt auch nicht für Katholiken, die vor dem Kommunionempfang nicht bei der Beichte waren. Die Kommunion empfangen dürfen streng genommen - und darauf haben einige Bischöfe in jüngster Zeit hingewiesen - nur gebeichtet habende Katholiken, die nicht in einer "irregulären" Lebenssituation stehen; sie müssen die Amtstheologie der katholischen Kirche bejahen, ihre Messopferlehre, den Primat des Papstes und das "Gebet zur Mutter des Herrn". Wer bleibt da als Kommunionempfänger übrig?

Vermutlich kaum noch jemand. Aber das macht ja nichts: Hauptsache die Schriftform ist frei von Realität.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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