Außenansicht:Schafft 15 Digitalministerien

Lesezeit: 3 min

Christian Djeffal, 34, ist Jurist und koordiniert am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin den Forschungsbereich "Globaler Konstitutionalismus". (Foto: oh)

Wie man die große Zukunftsaufgabe in der Bundesregierung organisieren sollte.

Von Christian Djeffal

Alle Parteien wollen Digitalisierung fördern und gestalten. Uneins sind sie aber über die Frage, wer dafür verantwortlich sein soll. Während die FDP ein Digitalministerium fordert, will die CDU einen Staatsminister im Kanzleramt und einen Kabinettsausschuss "Digitalpolitik". Die anderen Parteien machen zwar keine spezifischen Vorschläge, aber gerade die Idee des Digitalministeriums taucht immer wieder auf. Verkehrsminister Alexander Dobrindt und der Spitzenkandidat der Grünen, Cem Özdemir, haben eines gefordert, Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat sogar schon zu einem Digitalministertreffen der G 20 eingeladen.

Aber soll man wirklich den Herausforderungen, Chancen und Risiken mit einem neuen Ministerium für Digitalisierung begegnen? Besser wäre ein ganzheitlicher Ansatz, der verschiedene Institutionen unter einem Dach zusammenbringt. Digitalisierung sollte Chefsache sein, trotzdem sollte die Verantwortung dafür auf viele Schultern verteilt werden. Damit das funktionieren kann, wäre eine Digitalisierungsagentur nötig, die in verschiedenen Konstellationen berät, vernetzt und unterstützt.

Digitalisierung erfasst die Gesellschaft ganzheitlich. Es gibt keinen abgrenzbaren "Cyberspace", der in der Zuständigkeit eines Ministeriums liegen könnte. Schon das Internet betrifft ganz unterschiedliche Themen wie Bildung, Wirtschaft, Arbeit, Sicherheit, Infrastruktur, Verteidigung, Inneres und Justiz. Der thematische Zusammenhang ist dabei viel stärker als der digitale. Da sich das Innenministerium um die Verwaltung kümmert, sollte es auch mit der Digitalisierung der Verwaltung betraut werden, genauso wie Fragen der digitalen Rüstung ins Verteidigungsministerium gehören. Der internationale Vergleich zeigt, dass Digitalministerien oft nur für wenige spezifische Themenbereiche zuständig sind, wie etwa in Polen, wo sich das entsprechende Ministerium um den Breitbandausbau und die Verwaltungsdigitalisierung kümmert. Eigentlich jedoch ist Digitalisierung eine Querschnittsaufgabe. Alle 14 Ministerien und das Kanzleramt sollten sich als Digitalministerien sehen.

Man muss den Wald und die Bäume gleichzeitig sehen. Das bedeutet, dass man einzelne Projekte vorantreiben muss, aber sie im Zusammenhang einer einheitlichen Strategie sehen sollte. Diese übergreifende Sichtweise gilt etwa für Fragen von Datenschutz und IT-Sicherheit. Daneben muss aber noch Raum dafür sein, Fragen spezifisch in ihrem Kontext zu entscheiden. So wirft die zunehmende Automatisierung des Verkehrs zwar ganz eigene Probleme auf, die aber nicht von der übrigen Verkehrspolitik getrennt behandelt werden können. Während es dabei wichtig ist, das Verkehrsministerium mit anderen beteiligten Ministerien und Akteuren zusammenzubringen, ist mit einer Übertragung der Materie an ein Digitalministerium wenig geholfen.

Diese Themen herauszulösen, um sie anderswo zu konzentrieren, wäre weder praktikabel noch sinnvoll. Eine Umstellung auf digitale Technologien bedeutet für sich selbst ja noch nichts Gutes. Positiv ist Digitalisierung nur dann, wenn sie für den Einzelnen Vorteile wie Komfort, Effizienz oder Möglichkeiten zur Mitbestimmung schafft, ohne dass dem gravierende Nachteile gegenüberstehen. Das hängt nicht nur vom "Ob", sondern vom "Wie" der Digitalisierung ab. Bei der Digitalisierung in einem bestimmten Bereich ist es zum einen wichtig, dass alle, die ein Interesse an der Frage haben, sich auch dazu äußern können. Zum anderen muss es immer genug Raum für kreative und innovative Ideen geben.

Digitalminister, Digitalrat, Digitalausschuss oder lieber eine Digitalagentur?

Bevor die Regierung festlegt, ob und welche Institution gegründet wird, muss klar sein, was die Institution überhaupt leisten soll: Sie soll Digitalisierung zur Chefsache machen, und trotzdem auf viele Schultern verteilen; sie soll das Wissen der Regierung bündeln und die relevanten Akteure vernetzen; sie soll die Suche nach Lösungen moderieren und nicht komplizierter machen. Der Vorschlag der Unionsparteien, der von dem Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Kleinwächter variiert wurde, ist eine interessante Option: ein Staatsminister im Bundeskanzleramt, ein Kabinettsausschuss Digitalpolitik und ein nationaler Digitalrat. Noch viel besser wäre allerdings, verschiedene Ansätze unter einem Dach mit drei Säulen zu verknüpfen. Die erste Säule bildet dabei die Bundesregierung. Das Kabinett tritt als strategische IT-Zentrale mit dem IT-Beauftragten der Regierung zusammen und gibt die Leitlinien vor. Innerhalb der ersten Säule werden auch andere wichtige Institutionen verknüpft, wie etwa der IT-Planungsrat, der für die Koordinierung von IT-Projekten zwischen Bund und Ländern zuständig ist. Ein ähnliches System gibt es in Japan. Wichtig ist dabei, die Institutionen zueinander in Beziehung zu setzen und Verantwortung auf allen Ebenen bis zur Kanzlerin (oder dem Kanzler) anzusiedeln.

Die zweite Säule bildet eine Digitalisierungsagentur, die als mittelbare Bundesbehörde wie die Bundesagentur für Arbeit unabhängig ist. Diese Agentur hat die Aufgabe, der Verwaltungsdigitalisierung einen Schub zu geben. Auf Anfrage von Ministerien und Behörden entwickelt sie gemeinsam mit Partnern besonders effektive und dringend benötigte Verwaltungsdienstleistungen. Vorbilder dafür gibt es etwa in Australien oder Großbritannien, wo diese Agenturen dank ihrer Freiheiten und ihrer guten Ausstattung Projekte mit hoher Wirkung entwickeln. Daneben arbeitet ein Ideenlabor an besonders kreativen Lösungen und bringt Leuchtturmprojekte wie Anwendungen künstlicher Intelligenz oder Blockchain auf den Weg.

Wie etwa im "Government Lab" im Auswärtigen Amt haben die Mitarbeiter erhebliche Freiheiten, um Prozesse und Dienstleistungen von Grund auf neu zu denken. Die Agentur soll daneben auch beratend tätig sein und mit innovativen Methoden jenseits ministerieller Verfahren Auftraggebern bei Digitalisierungsfragen assistieren. Diese Digitalisierungsagentur koordiniert auch die dritte Säule, nämlich ein Netzwerk von Fachleuten, das die Expertisen für Regierung und Verwaltung erstellt. Im Vordergrund steht dabei die agile, lösungsorientierte Beratung von Entscheidungsträgern, wobei Kritik und Selbstreflexion fester und wichtiger Bestandteil der Aufgaben sein sollen.

Um zu kreativen Lösungen zu kommen, wie sie im Zuge der Digitalisierung möglich und nötig sind, muss die Regierung bereit sein, auch institutionell neue Wege zu gehen. Der Satz, der Albert Einstein zugeschrieben wird, gilt auch für die Digitalisierung: "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind."

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: