Außenansicht:Prinzip Gießkanne

Christoph Butterwegge

Armutsforscher Christoph Butterwegge. Nach seiner Ansicht leiden nicht nur arme Menschen unter der Inflation, sondern auch die Mittelschicht.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Sollten alle Kinder vom Staat eine pauschale Grundsicherung erhalten? Der SPD-Plan taugt nicht viel im Kampf gegen Kinderarmut.

Von Christoph Butterwegge

Kaum hatte die Bundesregierung zu Jahresbeginn das Starke-Eltern-Gesetz im Entwurf beschlossen, mit dem der Kinderzuschlag sowie das Bildungs- und Teilhabepaket für Transferleistungsbezieher optimiert werden soll, überraschte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles den Koalitionspartner mit einer neuen Forderung: Eine Kindergrundsicherung (KGS) soll es geben, die quer zu dem Regierungsvorhaben steht. Bis zum Jahresende wollen Nahles und ihre Partei ein Konzept für die Radikalreform entwickeln. Es ist jedoch stark zu bezweifeln, ob dieses Mittel wirklich taugt, um die Kinderarmut in Deutschland sinnvoll zu bekämpfen.

Zumindest hinsichtlich der Leistungshöhe orientiert sich die SPD an dem Modell eines "Bündnisses Kindergrundsicherung", das aus Wohlfahrts- und Familienverbänden, Kinderschutzorganisationen, Gewerkschaften und Sozialwissenschaftlern besteht. Es läuft darauf hinaus, den Familienleistungsausgleich im Rahmen einer "kindzentrierten" statt einer "familienzentrierten" Armutsbekämpfung durch eine pauschalierte Universalleistung an den Nachwuchs zu ersetzen, der aber nur selten über ein Konto verfügen dürfte.

Alle Minderjährigen sollen die bisherigen Steuerfreibeträge von 415 Euro pro Monat für das sächliche Existenzminimum sowie von 220 Euro pro Monat für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf als Pauschalbetrag ausgezahlt bekommen. Derzeit erhielte jedes Kind 635 Euro. Alle bisherigen kindbezogenen Transferleistungen (Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld beziehungsweise Arbeitslosengeld II, Bildungs- und Teilhabepaket, Unterhaltsvorschuss) würden entfallen. Sonder- oder Mehrbedarfe behinderter und kranker Kinder sowie bei sehr hohen Wohnkosten, Umzügen und Klassenreisen könnten weiter bei den Grundsicherungsträgern beantragt werden.

Pate bei der Pauschalierung von Leistungen stand ausgerechnet Hartz IV, das die SPD laut ihrer Vorsitzenden doch eigentlich "hinter sich lassen" will. Mit dem Prinzip "Fördern und Fordern" war seinerzeit die Überzeugung verbunden, dass von Eltern bei Gewährung eines pauschalen Förderbetrags für ihre Kinder namens "Sozialgeld" aktive Mitwirkung und Eigenverantwortung eingefordert werden dürften. Nach der Arbeitsmarktreform litten jedoch gerade kinderreiche Familien unter dem Wegfall wiederkehrender einmaliger Leistungen, die das Sozialamt im Bedarfsfall gezahlt hatte - etwa um einen zu klein gewordenen Wintermantel oder eine defekte Waschmaschine zu ersetzen.

Eine pauschalierte Transferleistung ist kaum sachgerecht und besonders für Arme eine schlechte Lösung. Diese Feststellung trifft auf die Kindergrundsicherung ebenso zu wie auf das bedingungslose Grundeinkommen; dessen Befürworter hoffen nun, ihr Projekt quasi durch die Hintertür einführen zu können.

In beiden Fällen werden alle Leistungsbezieher über einen Kamm geschoren, unabhängig davon, wo und in welchen Haushaltskonstellationen sie leben, wie alt sie sind, ob sie sozial benachteiligt oder gesundheitlich eingeschränkt sind. Selbst ein riesiges Vermögen - aus einer Schenkung oder einer Erbschaft zum Beispiel - wäre kein Hindernis für die Alimentierung durch den Staat. Dabei muss es im Kampf gegen die Armut doch gerade darum gehen, besonders jene Menschen zu fördern, die aufgrund ihrer strukturellen Benachteiligung und speziellen Handicaps keine optimalen Entwicklungsmöglichkeiten haben.

Befürworter der Kindergrundsicherung unterstellen, dass man Kinder unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern aus der (Einkommens-)Armut befreien kann. Die unterschiedliche Finanzkraft der Familien berücksichtigt das KGS-Modell trotz dieser Überzeugung dadurch, dass die Kindergrundsicherung zum Grenzsteuersatz der Eltern besteuert und mit steigendem Einkommen "abgeschmolzen" werden soll. Hierdurch würde zwar jener Progressionseffekt vermieden, der bei Normalverdienern einträte, wenn man die Kindergrundsicherung dem zu versteuernden Einkommen der Eltern zuschlüge. Allerdings scheint das Abschmelzen schwierig wenn nicht unmöglich zu sein: Erstmals soll eine staatliche Transferleistung besteuert werden, den Beziehern von Arbeitslosengeld II jedoch nicht als Einkommen ihrer Kinder auf die Transferleistung angerechnet (und abgezogen) werden. Man fragt sich: Wie soll das gehen und vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen?

Alle Kinder erhalten denselben Geldbetrag; insofern wirkt die Kindergrundsicherung wie eine Familienpolitik nach dem Gießkannenprinzip. Wer die soziale Ungleichheit verringern und die (Kinder-)Armut bekämpfen will, muss aber die Betroffenen unterstützen und die Bessergestellten stärker zur Verantwortung ziehen. Statt alle Bevölkerungsgruppen gleich zu behandeln, wie es Kindergrundsicherung und Grundeinkommen tun, konzentriert eine wirksame Bekämpfung der (Kinder-)Armut staatliche Ressourcen auf jene Personen, die Unterstützung benötigen, um in Würde leben zu können. Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche müssen keine zusätzlichen Geldmittel erhalten, sondern im Gegenteil mehr zahlen.

Wer die Kinderarmut bekämpfen will, muss etwas für die Eltern tun. Das fängt an bei einem höheren Mindestlohn ohne Ausnahmen, aber mit schärferen Kontrollen, und muss zu einer Neuordnung des Familienleistungsausgleichs führen. Nötig ist ein für alle Eltern gleiches Kindergeld, während Steuerfreibeträge, die Eltern mit Spitzeneinkommen stärker als andere begünstigen, überholt sind. Gleichzeitig müssten die Hartz-IV-Regelbedarfe zumindest für Kinder deutlich erhöht werden, da man ihren Eltern das Kindergeld und dessen Erhöhungen vorenthält.

Kritiker bemängeln, dass Finanzmittel, die der Staat an Familien zahlt, ausgerechnet die am meisten von Armut betroffenen Kinder nicht immer erreichen, weil das ihren Eltern fehlende Geld womöglich für andere Zwecke ausgegeben wird. Sinnvoll wäre es deshalb, die beitragsfreie Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur auszubauen. Nur wenn genügend Kindertagesstätten, gut ausgestattete Schulen und ausreichend Freizeitangebote - vom öffentlichen Schwimmbad über den Jugendtreff bis zum Tierpark - vorhanden sind, kann verhindert werden, dass ein Teil der kommenden Generation perspektivlos bleibt. Der Solidaritätszuschlag sollte nicht abgeschafft, sondern zugunsten armer Kinder umgewidmet werden. Damit ließe sich eine Großoffensive gegen Kinderarmut finanzieren; die fast 20 Milliarden Euro, die er pro Jahr einbringt, werden größtenteils von Besserverdienenden, Kapitaleigentümern und Konzernen aufgebracht.

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