Außenansicht:Gefährliche Hilfe

Kurt Gerhardt; XX

Kurt Gerhardt, 74, ist Journalist. Drei Jahre war er Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in Niger. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins Makaranta zur Förderung der Grundbildung in Afrika.

(Foto: oh)

Mehr Geld von außen wird Afrika nicht helfen und auch nicht die Flüchtlingsströme in Richtung Europa stoppen.

Von Kurt Gerhardt

Von einem "Marshallplan für Afrika" spricht Entwicklungsminister Gerd Müller gern. Dieser Begriff, der in Entwicklungsdiskussionen früher gelegentlich auftauchte, spielt unter Fachleuten längst keine Rolle mehr. In den weitaus meisten Ländern Afrikas fehlen sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für so ein Programm. Afrikanische Politiker wie der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade war, übernehmen den Begriff aber gerne, und zwar aus naheliegenden Gründen. Issoufou münzte das großzügige Signal aus Berlin sofort in eine Forderung von einer Milliarde Euro um. Klugerweise hat Merkel den Präsidenten sofort gebremst.

Das Verschwinden des Begriffs "Marshallplan" ändert indes nichts an dem Konzept, das dahinter steht: eine Menge Geld nach Afrika zu schicken. Auch Merkel ist für eine erhebliche Steigerung der Entwicklungshilfe, um auf diese Weise die Migrationsneigung der Afrikaner zu bremsen. Aus demselben Grund will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für eine "Investitionsoffensive" mehr als achtzig Milliarden Euro zugunsten der Herkunftsländer von Flüchtlingen mobilisieren, die Hälfte davon aus EU-Mitteln.

Die Idee, mit Geld wirtschaftliche Entwicklung zu erzwingen, ist so alt wie falsch. Dennoch halten Entwicklungshilfe-Gurus wie der Ökonom Jeffrey Sachs und der Musiker Bono an der Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" fest. Die Erfahrung zeigt, dass die Gleichung nicht stimmt, jedenfalls nicht in Afrika. Die Umkehrung ist richtig. Die über Jahrzehnte von reichen Ländern des Nordens geschenkten Entwicklungs-Milliarden haben das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt war: Statt unabhängig von fremder Hilfe zu machen, haben sie die Eigeninitiative geschwächt und Abhängigkeit verstärkt. Niemand hat das prägnanter formuliert als der frühere nigrische Präsident Mamadou Tanja: "Die Entwicklungshilfe hat uns zu einem peuple de la main tendue gemacht", zu einem Volk der ausgestreckten Hand".

Gegen eine erhebliche Steigerung der Entwicklungshilfe spricht auch das Grundgesetz jeder Hilfe, das Subsidiaritätsprinzip. Danach ist jeder Mensch und jede Gesellschaft zunächst selbst für das eigene Wohlergehen zuständig. Erst wenn nach Ausschöpfung aller eigenen Kräfte Probleme nicht gelöst sind, ist Hilfe von außen geboten.

Davon sind wir aber weit entfernt. Afrika ist eigentlich ein reicher Kontinent, und seit Generationen werden begabte Afrikaner an den besten Universitäten des Nordens ausgebildet. Außerdem steht heute das Weltwissen per Internet in den entlegensten Dörfern auch Afrikas zur Verfügung. Erst wenn all diese Ressourcen genutzt sind, sind andere am Zuge. Achten wir diese Reihenfolge nicht, verletzen wir das Subsidiaritätsprinzip. Und das tun wir seit Langem.

Eine Hilfsindustrie als moderne Form des Kolonialismus

Wenn Merkel sagt, man müsse "Afrika Lebensperspektiven bieten", und meint, wir müssten das tun, dann ist das falsch. Afrika muss sich seine Lebensperspektiven selbst erarbeiten. Und wenn Minister Müller sagt, was er in Afrika alles bewirken will, dann will auch er etwas gestalten, wofür er, jedenfalls primär, nicht zuständig ist, sondern erst subsidiär. Für Afrikas Politiker ist diese Haltung komfortabel, weil wir Dinge erledigen, die Afrikaner eigentlich selbst erledigen könnten - und müssten.

Beispiel: Die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas wird schwer behindert durch den katastrophalen Zustand vieler Verkehrswege, vor allem der Straßen. Der Bau einer einfachen Straße ist keine Sache der Hochtechnologie. Statt dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eine mit modernen Maschinen gebaute Straße finanziert, wäre es sinnvoller - und möglich -, Tausenden Arbeitslosen dadurch Einkommen zu verschaffen, dass sie mit angepasster einfacher Technik die Straße bauen. Das haben aber viele afrikanische Politiker nicht gern, weil es lästig und vor allem nicht "modern" ist. Außerdem ist der Vorteil nicht zu verachten, dass bei Außenfinanzierung große Summen durch ihre Hände fließen, von denen sich gewöhnlich etwas abzweigen lässt.

Um Afrika ständig helfen zu wollen, und zwar ohne absehbares Ende, hat sich eine gigantische Hilfsindustrie längst so fest etabliert, dass sie sich gar nicht mehr abschaffen kann. Allein diese Dauerexistenz ist ein schwerer Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Es ist zudem eine neue Variante des Kolonialismus, die es den eigentlich Zuständigen ermöglicht, die Hände in den Schoß zu legen - und dabei an sich zu denken.

Weil das so ist, herrschen in der Wirtschaft der meisten Staaten Afrikas Lethargie und Stillstand. Es findet keine Entwicklung statt. Während in Ostasien neue "Tiger" zum Sprung ansetzen, wie zur Zeit Vietnam und selbst Myanmar und Laos, und zwar ohne Bodenschätze und vergleichbar hohe Entwicklungshilfe, tut sich im mit Bodenschätzen und massiver Entwicklungshilfe gesegneten Afrika so gut wie nichts. Subsahara-Afrika exportiert fast keine verarbeiteten Güter. Die Wertschöpfung findet anderswo statt, trotz günstiger Exportkonditionen. Die falschen Behauptungen über angebliche Handelshemmnisse, die in deutschen Dritte-Welt-Kreisen bis hinauf in die hohe Entwicklungspolitik gepflegt werden, tun ein Übriges, um den Blick auf wirtschaftliche Realitäten zu vernebeln.

Die Entwicklung der ostasiatischen Tiger-Staaten ist "von oben" organisiert worden, allerdings auf autoritäre Weise. Nicht umsonst spricht man von "Entwicklungsdiktaturen" - die aber in der Volksrepublik China immerhin eine halbe Milliarde Menschen aus bitterster Armut herausgeführt haben.

Afrika südlich der Sahara hat auf dem Weltmarkt außer Rohstoffen fast nichts anzubieten. Eine Luftpumpe, einen Tauchsieder oder andere einfache Dinge mit der Aufschrift "Made in Togo" (oder in einem anderen Land) gibt es nicht zu kaufen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass es verschwindend wenige moderne Unternehmer gibt, vor allem mittelständische. Und das wiederum hängt damit zusammen, dass Afrika weithin miserabel regiert und verwaltet wird. Viele afrikanische Politiker haben zu Recht den Ruf, dass sie zuerst an den eigenen Clan und das eigene Bankkonto denken statt an das Wohl der Menschen - die sie in der Regel auch noch gewählt haben.

In solche Verhältnisse hinein noch mehr Geld auszuschütten, ist unverantwortlich. Und die Vorstellung, dadurch die Flüchtlingsströme aufhalten zu wollen, ist absurd.

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