Auschwitz-Prozess:BGH über SS-Mann Gröning: "Unmittelbarer Bezug zum Tötungsgeschehen"

Auschwitz-Prozess in Lüneburg

Oskar Grönings Verurteilung ist jetzt rechtskräftig. Dass der 95-Jährige noch in Haft muss, ist eher fraglich.

(Foto: Ronny Hartmann/dpa)
  • Der Bundesgerichtshof hat Rechtsgeschichte geschrieben und das Urteil gegen SS-Mann Oskar Gröning bestätigt.
  • Gröning sei in Auschwitz an der Tötungsmaschinerie eingebunden gewesen und habe sich deshalb der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht, so die Richter.
  • Ob der 95-Jährige seine Haft antreten muss, ist allerdings fraglich.

Analyse von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Als SS-Mann tat er Dienst an der Rampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, als "Buchhalter" zählte er das geraubte Geld der jüdischen Opfer. Nun hat der Bundesgerichtshof die vierjährige Haftstrafe gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300 000 ungarischen Juden bestätigt. Ob der 95-jährige noch in Haft muss, dürfte aber wegen seiner angeschlagenen Gesundheit fraglich sein.

Mit dem Beschluss schreibt der BGH Rechtsgeschichte. Jahrzehntelang hatte sich die deutsche Justiz dagegen gesperrt, Wachleute und sonstige Helfer allein wegen ihrer Rolle als "Rädchen im Getriebe" der Mordmaschinerie in den Vernichtungslagern der Nazis wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Zwar hatte der BGH bereits 1964 bestätigt, dass die Helfer in einem Vernichtungslager wegen Beihilfe zum Mord bestraft werden können, auch wenn sie nicht unmittelbar an den Tötungen teilgenommen haben. Auch mehrere Landgerichte waren in den fünfziger und sechziger Jahren von einer arbeitsteiligen Massenvernichtung ausgegangen, für die nicht nur die direkten Täter, sondern auch die Helfer strafrechtlich mitverantwortlich gemacht werden konnten - jedenfalls bei den reinen Vernichtungslagern in Treblinka, Bełżec, Sobibór und Chelmno.

Mit dem Urteil im Auschwitz-Prozess in den sechziger Jahren änderte sich aber die Rechtsprechung. Nicht jeder, "der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz eingegliedert" gewesen und dort "irgendwie anlässlich dieses Programms tätig" geworden sei, habe sich "objektiv an den Morden beteiligt", entschied der BGH im Revisionsurteil vom 20. Februar 1969. Fortan galt, dass nur verurteilt werden konnte, wem konkrete Mordtaten nachgewiesen werden konnten. Damit scheiterten viele Prozesse an unüberwindlichen Beweisproblemen - eine Praxis, die das Landgericht Lüneburg im Gröning-Urteil vom Juli 2015 heftig kritisiert hatte.

Erst der Prozess gegen John Demjanjuk brachte die Wende in der Rechtsprechung. Das Landgericht München II verurteilte ihn wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28 000 Menschen, weil er als Wachmann im Konzentrationslager Sobibór einen Beitrag zur massenhaften Tötung geleistet hatte. Das Urteil wurde allerdings nicht rechtskräftig. Demjanjuk starb im Jahr 2012 mit 91 Jahren, bevor das Revisionsverfahren beim BGH abgeschlossen werden konnte.

Industriell ablaufender Massenmord

Der dritte BGH-Strafsenat bestätigte nun diese Rechtsprechung. Voraussetzung des Massenmords an den aus Ungarn deportierten Juden sei "das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates" gewesen, der durch "quasi industriell ablaufende Mechanismen in der Lage war, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Mordtaten umzusetzen", heißt es in dem Beschluss. "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte industrielle Tötungsmaschinerie mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber überhaupt in der Lage, die Ungarn-Aktion anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen."

Gröning sei als Teil des personellen Apparates in die Organisation der Massentötungen eingebunden gewesen. Die relativierenden Aussagen des Auschwitz-Urteils von 1969 seien für den Fall Gröning schon deshalb nicht relevant, weil es sich bei der Massentötung der ungarischen Juden um einen "fest umgrenzten Komplex" gehandelt habe; die Handlungen Grönings hätten einen "unmittelbaren Bezug zu dem organisierten Tötungsgeschehen in Auschwitz", heißt es in dem Beschluss.

Gröning hatte sich im drei Monate dauernden Prozess vor dem Landgericht Lüneburg zu einer moralischen Mitschuld bekannt. Der Vorsitzende Richter Franz Kompisch sagte bei der Urteilsverkündung, der Dienst in Auschwitz "war Ihre Entscheidung. Sicherlich aus der Zeit heraus bedingt, aber nicht unfrei."

430 000 Menschen in 141 Zügen

Bei der sogenannten Ungarn-Aktion im Frühsommer 1944 waren binnen weniger Wochen 141 Züge mit etwa 430 000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz gebracht und in den meisten Fällen sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet worden.

Gröning, der sich als überzeugter Nationalsozialist freiwillig zur SS gemeldet hatte, um nicht an die Front zu müssen, hatte in Auschwitz im Wesentlichen zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen hatte er das Geld, das den internierten Gefangenen abgenommen worden war, nach Devisensorten zu sortieren, zu verbuchen und zu verwahren. Das Geld wurde in unregelmäßigen Abständen zusammen mit anderen Wertsachen nach Berlin gebracht und dort entweder beim SS-"Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt" oder bei der Reichsbank abgeliefert und auf einem Konto mit dem Tarnnamen "Max Heiliger" verbucht.

Zum anderen war Gröning, als SS-Unterscharführer uniformiert und mit einer Pistole bewaffnet, in das Geschehen an der "Rampe" involviert. Er musste das Gepäck bewachen, das eintreffende Häftlinge dort zurückließen - und zwar, um die Menschen darüber im Ungewissen zu lassen, dass sie dem Tode geweiht waren. Damit sollte jede Panik vermieden werden, die den Ablauf der Tötungsmaschinerie beeinträchtigt hätte. Laut BGH ist dies als Beihilfe zu werten, weil er "einerseits durch die Bewachung des Gepäcks dazu beitrug, die Arglosigkeit der Angekommenen aufrechtzuerhalten, und andererseits als Teil der Drohkulisse dabei mitwirkte, jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim zu ersticken".

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