SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 5:Welche Hürden Flüchtlinge auf der Suche nach Arbeit überwinden müssen

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 5: Erfolg braucht Training. Aus der SZ-Serie "Schaffen wir das?"

Erfolg braucht Training. Aus der SZ-Serie "Schaffen wir das?"

  • 324 000 Flüchtlinge sind inzwischen im deutschen Arbeitsmarkt angekommen, jeden Monat werden es mehr.
  • Spätestens 2021 dürfte jeder zweite seit 2015 eingewanderte Flüchtling einen Job haben.
  • Einzelfälle zeigen: Für den Erfolg braucht es Zeit und Unterstützung.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Den Moment, da alles passt - sie genießt ihn. Eben noch hat Elahi Temori, die junge Afghanin, Frau Müller (Name geändert) im Bad geholfen. Die Altenpflege-Praktikantin hat die 76-jährige Frau eingeseift, abgeduscht und abgetrocknet. Und ihr dann die Sachen zum Anziehen gereicht: die Jeans, den weichen Pulli, die weißen Socken und Sandalen. Doch da fehlt irgendwas, als Frau Müller in die Diele tritt, sie spürt das selbst, trotz der Demenz. Elahi Temori huscht nach nebenan und kehrt mit der graublonden Perücke zurück. Zwei, drei Handgriffe, fertig. "So, Frau Müller, jetzt sind Sie schick." Die alte Dame streicht der Afghanin zärtlich über die Wange: "Dat Mädche maht dat jot."

Da strahlt "dat Mädche". Vor Glück. "Mir macht es Spaß, mit den alten Menschen zu arbeiten", sagt sie. Elahi Temori ist 21 Jahre alt, sie weiß, dass sich Frau Müller niemals ihren fremden Namen merken wird. "Völlig egal!" Wichtig sei nur, sagt sie in fast akzentfreiem Deutsch, "dass ich endlich etwas Sinnvolles tun kann." Als Kind in Herat in Afghanistan habe sie sich ausgemalt, einmal Krankenschwester zu werden: "Altenpflegerin ist fast dasselbe - mein Traumberuf." Nur ging der Traum weit weg von daheim in Erfüllung - in Düsseldorf, nach mehr als 5000 Kilometern Flucht. Stolz trägt sie ihre weiße Arbeitskleidung, "sie gibt mir Kraft".

  • Merkel hat vor drei Jahren gesagt: "Wir schaffen das!" Was ist aus den Flüchtlingen geworden, die seit 2015 geblieben sind? In der Serie "Schaffen wir das?" gibt die SZ jede Woche Antworten.

Im Februar 2016 strandete Elahi Temori in Deutschland, mit Mutter und drei Geschwistern. Temori bekommt als Geflohene Hartz-IV - nicht als Arbeitslose, sondern als Praktikantin bei "Care for Integration". Das Förderprogramm geht zwei Herausforderungen an: Es ebnet knapp hundert Menschen aus Ländern wie Syrien und dem Irak, aus Eritrea oder Afghanistan den Weg in einen krisenfesten Beruf - und es lindert den Pflegenotstand. Ein wenig jedenfalls: Laut Institut der deutschen Wirtschaft werden 2035 bundesweit 175 000 Altenpfleger fehlen.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Elahi Temori ist angekommen im deutschen Arbeitsmarkt. Wie inzwischen 324 000 andere Flüchtlinge auch. "Jeden Monat gelangen zehntausend Geflüchtete zusätzlich in Arbeit", sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Von Juni auf Juli 2018 zählte die Bundesagentur für Arbeit sogar 13 000 Flüchtlinge, die einen Job fanden. "Der Beschäftigungszuwachs beschleunigt sich," beobachtet Brücker. Das gilt auch, wenn man Praktika und geringfügig bezahlte Jobs beiseite lässt und nur sozialversicherungspflichtige Stellen zählt: Gut eine Viertelmillion Geflüchtete zahlt Beiträge in die Rentenversicherung.

Ende 2015 hatten nur magere 7,6 Prozent der neu Zugewanderten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern einen Job. Inzwischen hat sich diese Quote vervierfacht - auf knapp 30 Prozent. Bis Ende dieses Jahres, kalkuliert Brücker, wird jeder dritte seit 2015 eingewanderte Flüchtling im erwerbsfähigen Alter in Lohn und Brot stehen. Spätestens 2021 dürfte jeder Zweite eine Stelle haben. Aber es werden bis zu 15 Jahre vergehen, ehe die Beschäftigungsquote der Flüchtlinge deutsches Normalmaß (68 Prozent) erreicht.

Elahi Temori ist eine Musterschülerin beruflicher Integration. Aber ihr Idealfall zeigt auch: Erfolg braucht Zeit. In zwei Jahren und acht Monaten hat sie einen Parcours von Kursen und Prüfungen absolviert. Integrationskurs, Deutschunterricht, erste Praxiseinsätze. "Care for Integration" ist erfolgreich, weil Bewerber zuvor ein strenges "Screening" durchmachen - und weil ihnen danach Menschen wie Sina Wagner zur Seite stehen, die Leiterin des Modellprojekts.

Die meisten Geflüchteten haben Vorbildung

"Ohne diese Begleitung hätten wir nie diesen Erfolg", glaubt Wagner. Sie hilft beim Gang zur Ausländerbehörde, bei den Papieren vom Gesundheitsamt wie vor der Prüfung für den Hauptschulabschluss. "Jede Bezirksregierung in Nordrhein-Westfalen hat ihr eigenes Curriculum", berichtet Wagner, "wie soll da ein Flüchtling wissen, was er lernen muss?" In Afghanistan ging Temori nur sechs Jahre zur Schule, vor nicht mal drei Jahren lernte sie erste Brocken Deutsch. Nun absolvierte sie ihren Hauptschulabschluss - um nach der Schulung zur Altenpflegehelferin die dreijährige Fachausbildung zur Altenpflegerin zu starten. Alles scheint zu passen, vielleicht für immer. "Ich würde gern bleiben, wenn Deutschland mich lässt," sagt Temori.

Die meisten Geflüchteten haben Vorbildung. Nur ein Viertel hat keine oder nur eine Grundschule besucht, die Mehrheit war auf der Mittel- (31 Prozent) oder einer weiterführenden Schule (40 Prozent). Dennoch, beim Einstieg in einen Beruf hakt es. Zwar haben 17 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge eine Fachhochschule oder eine Uni absolviert, hinzu kommen acht Prozent mit betrieblicher Ausbildung. Nur, das bedeutet umgekehrt: Drei Viertel im erwerbsfähigen Alter haben keine Berufsausbildung im deutschen Sinne. Also fangen die meisten in Billigjobs an: bei Zeitarbeitsfirmen, als Putzkräfte oder Tellerwäscher. Viele werden kaum über Hilfsjobs hinauskommen - den Traum vom sozialen Aufstieg müssen ihre Kinder leben.

Wann Flüchtlinge arbeiten dürfen

Für Flüchtlinge, die einen positiven Asylbescheid erhalten haben, ist die Sache einfach. Sie dürfen uneingeschränkt in Deutschland arbeiten, ob als Angestellte oder Selbstständige. Komplizierter ist es, wenn der Bescheid negativ ausfällt oder das Asylverfahren noch läuft. Grundsätzlich gilt, dass Asylbewerber auch schon während des Verfahrens arbeiten dürfen - allerdings erst drei Monate, nachdem sie den Asylantrag gestellt haben. Sie bekommen aber erst dann eine Arbeitserlaubnis, wenn sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, was bis zu sechs Monate dauern kann. Keine Arbeitserlaubnis erhalten Bewerber aus "sicheren Herkunftsstaaten", also etwa aus Albanien, dem Kosovo, Ghana oder Senegal. Personen, die statt eines positiven Bescheids eine Duldung bekommen, dürfen ebenfalls nach drei Monaten arbeiten. Die Ausländerbehörde muss den Arbeitsverhältnissen von Geduldeten und Asylbewerbern zustimmen. Sie prüft zum Beispiel die konkreten Arbeitsbedingungen, was vor Ausbeutung schützen soll. Selbstständig machen dürfen sich Asylbewerber und Geduldete nicht. Benedikt Peters

In den Augen von Frank Bruxmeier, dem Chef des "Bildungszentrum Handwerk" in Duisburg, sind das tausendfach verpasste Chancen. Seine Mitarbeiter gehen in Sammelunterkünfte, suchen Flüchtlinge mit Interesse an einer Ausbildung zum Anlagenmechaniker, zum Glaser, zum Maler - um so den chronischen Mangel an Fachkräften im Handwerk zu bekämpfen. "Das ist keine Sozialpolitik, das ist Wirtschaftsförderung", sagt der 56-jährige Ausbilder und grinst, "das ist reiner Egoismus. Die werden am Ende unsere Renten mitfinanzieren."

Auch in Duisburg zeigt sich: Erfolg braucht Training. Vor ihrer Lehre absolvieren die Flüchtlinge eine achtmonatige "Vorqualifizierung": Wirtschaftskunde, Nachhilfe in Mathe und Deutsch, Praktikum. Es gibt Rückschläge, zuletzt lehnten fünf von 22 Flüchtlingen im Kurs den angebotenen Ausbildungsplatz ab. "Da sind wohl einige schon im deutschen Sozialstaat angekommen", ärgert sich Bruxmeier. Laut Statistik hingegen steigt die Lust auf Lehre ungebrochen - aktuell registriert die Arbeitsagentur 36 900 Bewerber, fast 12 000 mehr als im Vorjahr. Die Duisburger Experten sagen aber auch: Wer keine sichere Bleibeperspektive hat, habe wenig Chancen auf einen Job. Die Unternehmen investieren nicht in Ausbildung, wenn demnächst die Abschiebung drohe, betonen sie.

Dennoch, die meisten Kandidaten kommen unter, auch in Duisburg. So wie Aziz Qasim Abdo, 24, ein Jeside aus dem Irak. Seit vier Wochen lernt er Bürokaufmann. Er hat seinen eigenen Schreibtisch, prüft Lieferungen, bearbeitet am PC erste Aufträge im Malerbetrieb von Dirk Gebhardt. "Es klappt, er hat sich gut eingearbeitet", lobt der mittelständische Unternehmer. Gebhardt sucht Mitarbeiter, voriges Jahr hat er fast jeden vierten Auftrag ablehnen müssen. Macht eine Million Euro entgangener Umsatz - wegen Personalmangels.

Ohne den Beistand des "Bildungszentrum Handwerk", sagt Gebhardt, würde er zögern, einen Flüchtling einzustellen. Die Experten helfen beim Papierkram, organisieren die Termine beim Ausländeramt. "Sonst würde der Mitarbeiter zu oft im Betrieb fehlen." Gebhardt hofft, dass Qasim Abdo in Duisburg bleiben darf, auch nach der Ausbildung. Manchmal schmieden beide schon Pläne für die Zukunft. Bevor der Krieg kam, wollte Qasim Abdo im Irak Mathematik studieren. "Das bringt mir natürlich nichts", sagt Gebhardt und lacht, "aber wenn er Betriebswirtschaft macht, dann könnte er studieren und hier arbeiten." Der Lehrling grübelt, will "einen Schritt nach dem anderen" gehen. Gebhardt gefällt das: "Dies ist ja erst der Anfang einer langen Geschichte."

Zur SZ-Startseite

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 5
:"Irgendwann habe ich meinen eigenen Betrieb"

Eshagh Rezai hat sich mit 14 auf den Weg von Afghanistan nach Deutschland gemacht. Jetzt will er Schreiner werden - und hat einen besonderen Lehrer gefunden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: