Antwort auf Aufruf von Teltschik und Stützle:Russland ist zu schwach für einen Krieg gegen Europa

Vladimir Putin

Wladimir Putin kurz nach der Annexion der Krim am 9. Mai 2014 bei der Abnahme einer Militärparade in Sewastopol.

(Foto: AP)

Der Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" manipuliert und unterstellt Unglaubliches. Er schürt unnötige Kriegsangst und versucht vergessen zu lassen, dass Russland Recht bricht und Krieg in der Ukraine führt. Die Antwort eines Alten.

Gastbeitrag von Klaus Naumann

Seit ein paar Tagen zirkuliert ein von den Außen- und Sicherheitspolitikern Horst Teltschik und Walther Stützle initiierter Aufruf zum Konflikt mit Russland: "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" Der Aufruf spricht im Namen einer älteren Generation und soll Erfahrung und Lebensklugheit transportieren. Als einer der Alten, der den Bombenkrieg in München als Kind überlebte und der in 41 Jahren als Soldat dazu beigetragen hat, Krieg in Europa zu verhindern und Ausgleich mit Russland zu suchen, antworte ich darauf: Folgte Deutschland diesem Rat, würde der Westen gespalten, es gäbe noch mehr Konflikte und alle Sicherheit in Europa wäre dahin.

Der Aufruf manipuliert die Menschen mit einer Unwahrheit und mit einer unglaublichen Unterstellung. Er versucht sie vergessen zu lassen, dass Russland Recht gebrochen hat und in der Ukraine Krieg führt. Die Unwahrheit liegt in der Behauptung, es drohe Krieg in Europa. Das ist blanker Unsinn. Russland ist zu schwach, Krieg gegen das mit Nordamerika verbündete Europa zu führen. Außerdem will niemand im Westen Krieg, nicht einmal einen Kalten Krieg. Auch Putin dürfte keinen Krieg wollen, denn dazu müsste er zum Ausgleich seiner Schwäche Atomwaffen nutzen oder zumindest mit ihrem Einsatz drohen. Das wird er nicht wollen - ein Einsatz würde zur Vernichtung Russlands wie Europas führen.

Die Verfasser des Aufrufs wissen das genau, aber sie wollen Kriegsangst schüren. Sie bevorzugen eine Politik des Nachgebens und der Beschwichtigung und würden es offenbar vorziehen, wenn Recht nicht beachtet würde. Ihre Unterstellung: Die für "Russland bedrohliche Ausdehnung des Westens" - die Erweiterung von Nato und EU - sei Grund der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Haben die Unterzeichner vergessen, dass es die Völker in Mitteleuropa waren, die in eigener, souveräner Entscheidung die Aufnahme in Nato und EU forderten? Nicht die Nato drängte sie zum Beitritt - im Aufnahmegesuch drückte sich der ureigene politische Wille souveräner Staaten aus. Wissen die Unterzeichner nicht mehr, dass alle OSZE-Staaten - also auch Russland - in der Erklärung von Paris 1990 genau dieses Recht allen Staaten Europas zuerkannt haben?

Erinnerungen an das Molotow-Ribbentrop-Abkommen

Wer den Bruch des Völkerrechts und den rechtswidrigen Einsatz militärischer Gewalt durch Russland mit "russischer Gestaltungsmacht" erklärt und diese vermeintliche Gestaltungsmacht mit der friedlichen und in aller Transparenz getroffenen Entscheidung freier Nationen gleichsetzt, der offenbart eine Auffassung vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, die bei Polen und Balten schlimme Erinnerungen wecken wird: an das Molotow-Ribbentrop-Abkommen. Menschen, denen die Kraft des Rechts mehr bedeutet als das Recht des Stärkeren, dürfen diesen Aufruf nicht unterstützen.

Der Aufruf benutzt zwar wie ein Feigenblatt die Formulierung von der "völkerrechtswidrigen Annexion der Krim". Doch er schweigt zum Krieg im Osten der Ukraine, der maßgeblich von russischen Soldaten unterstützt wird. Übrigens ist es ein Novum an militärischer Disziplin, dass diese Soldaten, die sich angeblich im Urlaub befinden, ihre Panzer und Geschütze über eine internationale Grenze hinweg mitnehmen durften.

Der Aufruf wirft dem Westen vor, Russland aus Europa hinauszudrängen, verschweigt aber, dass es Putins Russland selbst ist, das sich von Europa abwendet, weil es eine eigene Einflusszone beansprucht und sie beherrschen will. Putins Russland missachtet Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Der Aufruf verschweigt auch andere von Moskau am Leben gehaltene Konflikte in der Republik Moldau und Georgien. Dort ist es Russland, das Europa und den Einfluss westlicher Ideen verdrängen will.

Kein Wort findet sich in dem Aufruf, dass der Annexion der Krim ein militärischer Angriff durch Russland vorausgegangen war - ein Angriff auf einen Staat, dessen territoriale Integrität Russland 1994 im Budapester Memorandum als Gegenleistung für die Abgabe der ukrainischen Atomwaffen garantiert hatte. Jede Abgabe von Atomwaffen im Gegenzug für Garantien wird künftig so unmöglich gemacht.

Niemand möchte eine Rückkehr zum Kalten Krieg

Bedrückend und bestürzend ist an diesem einseitigen und unausgewogenen Aufruf, dass aus ihm nur die unbegründete Angst vor einem Krieg und die Sorge um Deutschland spricht, nicht aber die Sorge um die Einheit Europas und die von Russland verletzten Werte der KSZE-Schlussakte. Auf dieser Akte ruht aber die friedliche Neuordnung Europas, bekräftigt und erneut festgehalten in der Erklärung von Paris 1990. Nur auf dieser Basis können dauerhafter Frieden und Stabilität in Europa garantiert werden. Deshalb darf es nicht ohne Folgen bleiben, wenn diese Werte durch Russland verletzt werden, deshalb darf auch die Annexion der Krim nicht einfach akzeptiert werden.

Niemand denkt auch nur daran, in den Ukraine-Konflikt militärisch einzugreifen. Niemand möchte eine Rückkehr zum Kalten Krieg. Allerdings gibt es eine militärische rote Linie: Die baltischen Staaten und Polen können sich - wie alle Nato-Mitglieder - auf den Beistand der Bündnispartner verlassen, so wie er in Artikel 5 des Washingtoner Vertrages geregelt ist. Sicherheit vor Russland wird dadurch geschaffen, dass die Fähigkeit zur gemeinsamen Verteidigung des Nato-Vertragsgebietes gestärkt wird. Gleichzeitig muss Russland versichert werden, dass keine Waffe der Nato je gegen Russland eingesetzt werden wird - es sei denn ein Nato-Staat wird durch Russland angegriffen.

Das ist die Grundlage für einen neuen Dialog mit Russland: In Sicherheit vor Russland ist Stabilität mit Russland zu suchen. Dazu muss Russland die Bereitschaft zeigen, die Herrschaft des Rechts zu akzeptieren und auf Gewalt zu verzichten. Es ist unbestritten: Dialog ist notwendig, und die Suche nach einer friedlichen Lösung muss beginnen. Nicht weniger verlangt die Bundeskanzlerin. Im Gegensatz zu den Unterzeichnern des Aufrufs verrät sie nicht die Grundlagen Europas: Rechtstaatlichkeit und Freiheit. Ihre Botschaft ist: Der Westen, die Nato und die EU, werden alles tun, um Sicherheit vor Russland zu erreichen. Nur dann werden sie in einem neuen Dialog unter Gleichen Stabilität mit Russland schaffen können. Diese Politik dient den Interessen Deutschlands und seiner Nachbarn. Der Aufruf der "Alten" tut das nicht.

Klaus Naumann, 75, war Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.

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