Agenten-Affäre:BND-Mann verriet Spionageabwehr

BND-Zentrale Berlin

Der BND zieht derzeit von Pullach in Bayern in die neue Berliner Zentrale um (Bild vom August 2013).

(Foto: dpa)

Der Anfang Juli festgenommene BND-Mitarbeiter Markus R. soll nach Informationen von SZ, NDR und WDR ein geheimes Konzept zur Spionageabwehr verraten haben. Der mutmaßliche zweite Agent äußert sich erstmals zu den Vorwürfen gegen ihn.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo, Dresden

Seit mehr als zwei Stunden sitzt Leonid K. nun schon an einem langen Tisch in einer Dresdner Anwaltskanzlei und beantwortet geduldig die Fragen der Reporter. Haben Sie Geheimnisse verraten? Arbeiten Sie für einen amerikanischen Geheimdienst? Und was man sonst noch jemanden fragt, der im Verdacht steht, Agent einer fremden Macht zu sein.

Zwei Deutsche sollen für US-Geheimdienste gearbeitet haben, und schon der bloße Verdacht belastet die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sind es wirklich zwei Verräter?

Der eine Verdächtige ist der BND-Mitarbeiter Markus R., der seit Anfang Juli in Karlsruhe in Untersuchungshaft sitzt. Er hat gestanden, zwei Jahre lang der CIA Papiere aus dem BND zugesteckt zu haben. Der andere ist Leonid K., 37, der angebliche Agent aus dem Bundesverteidigungsministerium. Er bestreitet alle Vorwürfe. "Ich bin kein Verräter", sagt er immer wieder. "Ich liebe mein Land, ich bin loyal, ich würde es niemals verraten."

In Kreuzworträtseln wird manchmal ein Wort mit acht Buchstaben gesucht, das auch Irrsinn, Unsinn meint. Erster Buchstabe ein W: Wahnsinn. Das Wort verwendet K., der Oberleutnant der Reserve ist, bei der Befragung am Donnerstag häufiger.

Er gibt sich im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung Mühe, all die Dinge, die über ihn kursieren, ruhig einzuordnen, ruhig zu bewerten. Neben ihm sitzen seine Anwälte Stefan Heinemann und Butz Peters. Sie nicken schon mal zustimmend. Eigentlich ist die Atmosphäre trotz allem ziemlich entspannt. Es wird auch gelacht.

Manchmal aber sieht der 37-Jährige beim vielen Erklären etwas müde aus. Dann lehnt er sich zurück und schließt für einen Augenblick die Augen. Vermutlich ist er, bevor er in den Verdacht geriet, ein Spion zu sein, ein mit dem Leben durchaus zufriedener junger Mann gewesen. Den Antrag auf Verbeamtung wollte er in diesen Wochen stellen. Neulich erst ist er Vater geworden.

Es gebe für ihn, sagt Leonid K., "ein Vorher und ein Nachher". Der 9. Juli sei der Tag gewesen, der seine Welt geteilt habe. Er weiß noch genau, was da alles passierte.

Morgens gegen neun Uhr saß er schon eine Weile in seinem Büro im Bendlerblock in Berlin. Dann wurde der Referent aus dem Grundsatzreferat der Politischen Abteilung im Verteidigungsministerium zum Unterabteilungsleiter gerufen. Leonid K. wollte gerade seiner Mutter zum Geburtstag gratulieren. Der Anruf vom Chef, so schien es, kam nur kurz dazwischen.

Leonid K. soll Material an "unbefugte Dritte" weitergegeben haben

Als er in das Büro des Vorgesetzten kam, saßen im Raum Beamte des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft. K. ist in den Verdacht geraten, für eine fremde Macht geheimdienstlich tätig gewesen zu sein. Dieser Vorwurf soll in dem Durchsuchungsbeschluss etwas verklausuliert erhoben worden sein. K. selbst will über das Papier nicht reden. Dienstgeheimnis.

Nach Darstellung aus Sicherheitskreisen soll in dem Papier vermerkt sein, dass K. angeblich zwischen Sommer 2012 und Februar 2014 Unterlagen aus dem Geschäftsbereich der Bundeswehr und der Nato an "unbefugte Dritte" weitergegeben habe. Acht Papiere. Nichts wirklich Großes, aber für Spionage braucht es manchmal nicht viel.

Es genügt ein einfacher Gummistempel, um einen Sachverhalt zum Geheimnis zu erklären, doch die Unterlagen sollen nicht einmal klassifiziert gewesen sein. Es sollen Pressespiegel der "Kosovo Force" darunter gewesen sein. Die Kfor, wie die Nato-Truppe abgekürzt heißt, stand oft unter dem Kommando eines Deutschen, und K. war bei Kfor politischer Berater deutscher Kommandeure.

Eine "Kontaktperson" soll von ihm die Papiere bekommen haben. Gemeint ist der 52 Jahre alte Amerikaner Andrew M., den K. 2008 bei einem Einsatz in Kosovo kennen gelernt hat. Der Amerikaner war sein Vorgesetzter, wurde sein Freund und das macht K. verdächtig. "Andrew ist absolut integer", sagt K. "Es ist traurig, dass eine Freundschaft zwischen einem Deutschen und einem Amerikaner jetzt das deutsch-amerikanische Verhältnis belastet."

Die Bundesregierung nahm die Sache sehr ernst

Agenten-Affäre: So schnell macht man sich verdächtig. Vor seiner Zeit im Ministerium der Verteidigung ...

So schnell macht man sich verdächtig. Vor seiner Zeit im Ministerium der Verteidigung ...

(Foto: Regina Schmeken)

Offiziell zumindest arbeitet M. für das amerikanische Außenministerium, aber es gibt Nachrichtendienstler in Deutschland, die spekulieren, das sei nur Tarnung. In dem Durchsuchungsbeschluss soll der Name M. nicht stehen. Als Belohnung für die Papiere soll M. dem deutschen Freund Kurzreisen finanziert und IT-Geräte geschenkt haben. K. wollte den Verdacht, er habe für eine fremde Macht spioniert, zunächst gar nicht glauben. "Ich dachte wirklich, da hat sich einer einen Jux gemacht."

Aber selbst die Bundesregierung nahm die Sache sehr ernst: Sondersitzung der Geheimdienstspitzen im Kanzleramt, die Regierung war schon vor der Durchsuchung über den Verdacht informiert. K. wurde bis in den späten Nachmittag im Ministerium vernommen und dann zur Erkennungsdienstlichen Behandlung ins Landeskriminalamt gebracht. Festgenommen aber wurde er nicht, es gibt nur einen Anfangsverdacht. Die Beamten brachten ihn sogar zum Bahnhof, damit er mit dem Zug nach Hause fahren konnte. Er lebt mit Frau und Baby in einem malerischen Ort in der Nähe von Potsdam.

Als er daheim ankam, parkten vor dem Haus der Familie K. mehrere dunkle BMW. Beamte waren in der Wohnung, Sachen wurden aus dem Haus getragen. Ein Beamter pustete sogar hinter die Schränke. "Hoffentlich bekommen Sie keine Staublunge", witzelte eine Verwandte, die herbeigeeilt war. Manchmal seien hinter Schränken Papiere versteckt, erklärte der Beamte freundlich. Ein Staatsschützer schraubte eine Fahrradpumpe auseinander. Spione haben manchmal die raffiniertesten Verstecke. Auf Anhieb wurde nichts Verdächtiges gefunden; die Auswertung der sichergestellten Asservate wird noch dauern.

Viel heiße Luft im Fall des Leonid K.

? "Ich bin unschuldig", sagt er noch einmal. "Es ist die fatale Missinterpretation einer Freundschaft."

Leonid K. war vom Auswärtigen Amt rekrutiert worden

Die sonderbare Geschichte spielt im Wesentlichen in Kosovo, einem Land, in dem Leonid K. etliche Jahre verbracht hat, bevor er vorigen Sommer ins Verteidigungsministerium wechselte. Von 2008 bis 2013 arbeitete er in Kosovo, zuvor war er dreimal in dem Land mit der Bundeswehr im Einsatz.

Eine seiner Verwendungen war im International Civilian Office (ICO), einer bunten Truppe von Europäern und Amerikanern, die den Kosovaren helfen sollte, einen eigenen Staat aufzubauen. Leonid K. war für die Aufgabe vom Auswärtigen Amt rekrutiert worden. Der Balkan interessierte ihn. Seine Bachelor-Arbeit hatte er über die kriminellen Verstrickungen des Milošević-Systems geschrieben. Auch später befasste er sich in Studien mit dem westlichen Balkan.

Leonid K. arbeitete in der Sicherheitsabteilung des ICO, es ging, so lautete die Formel der Behörden, um "die Unterstützung beim Aufbau eines demokratischen Sicherheitssektors". Die geschmeidige Formel kann die vielen Probleme, die es am Ort gab, nicht zukleistern. Chef von K. war der Amerikaner Andrew M., der von Krisengebiet zu Krisengebiet reist und bei der Lösung komplizierter Sicherheits- und Polizeifragen hilft. Leonid K. war beeindruckt von Andrew M., von der Erfahrung, der Durchsetzungskraft, der Energie. "Der hat Werte, er ist integer." Kein Duckmäuser.

Die beiden wurden Freunde. Im August 2010 verließ Andrew M. Kosovo, aber der enge Kontakt blieb. Und im gleichen Monat, genau genommen am 12. August, beschuldigte ein Anonymus schriftlich beim Bundesamt für Verfassungsschutz den "BRD-Bürger" K. "gegen Devisen" für einen russischen Geheimdienst zu spionieren. Die Treffen fänden stets in Ungarn und in der Türkei statt.

Die nur vier Zeilen lange Anschuldigung setzte jahrelange Ermittlungen der Spionageabwehr in Gang. Irgendwann begann die Observation von Leonid K.; seine Telefonate und Mails wurden überwacht. Er blieb aber Geheimnisträger. Auch Papiere, die mit "EU-geheim" eingestuft waren, durfte er weiterhin lesen. Als er im Sommer vorigen Jahres ins Verteidigungsministerium wechselte, gab es bei der allfälligen Sicherheitsüberprüfung keine Probleme.

Gemeinsame Reisen nach Istanbul

Die deutschen Behörden, die durch einen Denunzianten alarmiert worden waren, stießen denn auch auf Andrew M. und sie notierten, was ihnen verdächtig zu sein schien. Beispielsweise waren Leonid K. und Andrew M. häufiger gemeinsam von Kosovo nach Istanbul geflogen. Ein kurzer Trip. "Wer im Kosovo Dienst tut, erholt sich schon mal in Istanbul", sagt K. Zuletzt trafen sich die Freunde dort im Januar.

Bundeswehreinsatz im Kosovo

... war Leonid K. als Berater deutscher Kommandeure in Kosovo tätig - gemeinsam mit Amerikanern.

(Foto: Michael Hanschke/dpa)

Die Freundlichkeit des US-Sicherheitsexperten weckte im Nachhinein das Misstrauen der deutschen Behörden. So schenkte der Amerikaner dem Deutschen zu Weihnachten einen Flug in die Türkei. Weil aber bei der Buchung etwas schieflief, hat K. den Flug dann selbst bezahlt. Ist das jetzt besonders verdächtig?

Sie kommunizierten auch über Skype. Das ist aus Sicht von Menschen, die mit Spionageabwehr zu tun haben, fast schon konspiratives Verhalten. Skype-Telefonate lassen sich nur schwer abhören.

Leonid K. findet die Verdächtigungen "absurd", er gebraucht dieses Wort mehrmals, er sagt es in dem ruhigen Ton, in dem er die ganze Zeit spricht. Es gibt keine Frage, die er nicht beantwortet. Nur bei Andrew M. ist er zurückhaltend, er wolle seinen Freund da nicht mit reinziehen, sagt er. Den letzten Kontakt hatten die beiden im Juni dieses Jahres.

Etwa drei Mal schickte er seinem ehemaligen Vorgesetzten per Mail Unterlagen. Nur eines der Dokumente, das er Andrew M. gesendet hat, könnte überhaupt so etwas wie ein Dienstgeheimnis gewesen sein. Er habe es M. geschickt, um eine Frage zu klären, sagt K.

Auch für alle anderen von der deutschen Spionageabwehr aufgelisteten Indizien hat Leonid K. eine Erklärung. Andrew M. hat K. ein Handy geschenkt. Stimmt das? Stimmt, sagt K. - der amerikanische Technikfreak habe es nicht ertragen mögen, dass die Oberfläche des iPhones von K. voller Risse war; und M. sei deshalb mit ihm bei einem Besuch in Berlin in den nächsten Apple-Laden gegangen.

Bei der Hochzeit von K., bei der M. Trauzeuge war und sogar mit seiner Ehefrau anreiste, hat der Amerikaner das Frühstück bezahlt. Etwa hundert Gäste, 1400 Euro Kosten. Eigentlich habe M. den Cocktailempfang übernehmen wollen, den aber gab es nicht. Und wie war das mit dem Kauf eines Autos in Kosovo? Damals sei es "äußerst kompliziert" gewesen, von einem deutschen Bankkonto Geld nach Kosovo zu überweisen. Deshalb habe der Amerikaner ihm ausgeholfen und das Geld dann "umgehend" zurückbekommen.

Leonid K. möchte die Sache richtig stellen

Sieht so die Beziehung zwischen einem amerikanischen Agentenführer und seiner Quelle im deutschen Verteidigungsministerium aus? Geht es wirklich so kleinkariert normal zu? "Wahnsinn", sagt Leonid K. und holt aus seiner Tasche herausgerissene Seiten aus Zeitungen und Magazinen mit all den Mutmaßungen über seinen Fall. Er will das "richtigstellen". "Jetzt". Auch deshalb redet er. Das Bild, das da von ihm gezeichnet wird, gefällt ihm nicht. Auch schlichen sich Reporter daheim in seinen Garten, um durchs Fenster in die Wohnung zu schauen. Das mag niemand.

K. ist mal als übertrieben ehrgeizig dargestellt worden, mal als Versager. In seinem Habitus erinnere der Referent an den früheren Minister Karl-Theodor zu Guttenberg. Ein Überflieger, der fünf Sprachen spreche und immer höher hinaus wollte. Da muss K. lächeln. Er spricht gut Englisch, ein paar Brocken Französisch, ein bisschen Russisch und wenig Ungarisch.

Es ist schon eine merkwürdige Geschichte. Wegen Leonid K. und wegen der großen Aufgeregtheit in Berlin. Mal ganz grundsätzlich betrachtet, hat die Bundesregierung viele Monate lang mit fast bleierner Gelassenheit auf die Enthüllungen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden reagiert. Millionen Deutsche sollen von der NSA abgeschöpft worden sein. Das hat den deutschen Sicherheitsapparat nicht gerade in helle Aufregung versetzt. Jetzt ist Berlin wegen der CIA voller Gerüchte und auch die unwahrscheinlichsten Geschichten werden gern geglaubt. Etwa die Geschichte von den angeblichen Cyber-Angriffen auf das Handy eines Mitgliedes des NSA-Untersuchungsausschusses.

Der Generalbundesanwalt tritt sehr vorsichtig auf

Das Innenministerium hat Zweifel an einem Angriff, will aber das Handy in der Sommerpause noch einmal genau anschauen lassen. Um herauszufinden, ob ein solches Gerät manipuliert wurde, braucht es Wochen. Jede App, jede Funktion muss überprüft werden, um eine schädliche Software aufzuspüren. Da hat sich die Kanzlerin lieber von ihrem Handy getrennt. Seit Wochen ist sie nur noch unter einer neuen Nummer zu erreichen.

Typisch für amerikanische Geheimdienste war immer die Angst vor dem Unbekannten. Seit 2001 gibt es in den USA sogar die Philosophie von dem unbekannten Unbekannten, vor dem man sich ganz besonders schützen müsse. Ein bisschen so reagiert in diesen Tagen mancher in Berlin.

In der Regierung beobachten sie jetzt genau jede Entwicklung im Fall der beiden angeblichen Spione. Der Fall von Markus R. gewinnt an Bedeutung. Er soll seinem Agentenführer "Craig" einen aus Sicht der Amerikaner interessanten Entwurf des BND für Gegenspionage übergeben haben. Die könnte auch die Amerikaner treffen. Ausgerechnet dieses Dossier hat R. ebenfalls an das russische Generalkonsulat in München geschickt, um zu beweisen, welch brisanten Stoff er liefern könne.

Außerdem soll es noch einen zweiten CIA-Agenten geben, mit dem er zu tun gehabt haben soll: "Alex". Mit dem hat er aber nur gemailt. Der zweite Fall, der von Leonid K., dagegen verliert an Bedeutung. Der Generalbundesanwalt jedenfalls war vor Abgeordneten des Bundestages sehr vorsichtig, als er den Fall bewerten sollte. Inzwischen ist auch in Berlin angekommen, dass die Geschichte ein großes Missverständnis sein könnte.

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