Ägypten:Stunde der Vergeltung

Kirdasa bei Kairo erlangt traurige Berühmtheit, als eine Horde Bewaffneter die Polizeistation angreift und die Beamten massakriert. Mehr als vier Wochen lang herrschen die Islamisten in der Stadt - bis eine Anti-Terror-Einheit den Ort stürmt.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Vom Ortseingang aus sieht man die Pyramiden. Ein paar Kilometer sind es bis zu dem gemauerten Gebirge. Davor findet sich die Gegenwart. Erntereife Felder, leere Straßen, geschlossene Läden. Schemenhafte Gesichter hinter Fenstern, wenige von ihnen trauen sich auf die Balkone, ein paar Familienväter, ältere Frauen. Sie schauen auf den Platz in der Ortsmitte von Kirdasa: Panzerwagen, Jeeps, ein Gewimmel Hunderter schwarz Uniformierter. Zwischen ihnen bewegen sich ein paar Bewohner, Jugendliche meist. Sie halten Abstand zu den erschöpften Anti-Terror-Polizisten. Die haben ihre Gesichtsmasken hochgerollt und die Gewehre beiseitegelegt, schlagen sich auf die hochgehaltenen Handflächen: "Give me five", für den Sieg über "die Terroristen". So verhalten Soldaten und Spezialpolizisten sich wohl in jedem Land, wenn sie es geschafft haben.

Kirdasa aber ist anders. Der Sturm des Islamisten-Dorfs ist weit mehr als ein halbwegs gelungener Polizeieinsatz. Es ist der Sieg nach der Schmach, die Stunde der Vergeltung, der Strafe, der Rechenschaft. Denn Kirdasa vor vier Wochen, das war das Menetekel Ägyptens. Der Staat bricht zusammen, Gewalt regiert, Polizisten werden abgeschlachtet. Chaos bricht aus in einem 85-Millionen-Staat. Das Massaker von Kirdasa: Die elf ermordeten Beamten sind lange begraben, die Kairoer Politik hat sich wieder halbwegs sortiert, der Staat fühlt sich gestärkt. Er schlägt zurück. Polizeigeneral Magdi Abul-Cheir sagt nach dem Sturm: "Das hier, das war der notwendige Sieg der Ordnungsmacht."

Kirdasa ist ein Städtchen am Westrand von Kairo. Die 100 000 Einwohner betreiben Landwirtschaft, leben von ihren Textilmanufakturen und den Touristen, denen sie bunte Tücher und Taschen verkaufen. Die Islamisten waren stark in der Stadt nach dem Sieg der Muslimbrüder in der großen Politik, plötzlich war ein Koran-Verkünder Präsident, im Ort wohnten bekannte Fundamentalisten, ein paar Ex-Terroristen bauten sich prächtige Häuser. Es wurde viel gepredigt und gebetet. Ein Ort wie viele in Ägypten nach der "Revolution" von 2011.

Dann hat Kirdasa sich am 14. August 2013 in die Geschichte des Landes geschrieben, auf eine hässliche Weise: Um halb sieben Uhr morgens stürmten Armee und Polizei in Kairo die Protestcamps des gestürzten Islamisten-Präsidenten Mohammed Mursi, Hunderte Fundamentalisten starben. Die Rache folgte auf den Fuß, in Kirdasa, keine zwei Stunden später. Eine Horde Bewaffneter griff die Polizeistation an, die zwölf Offiziere und Hilfspolizisten hatten gerade gefrühstückt. Sie wurden massakriert. Erst eine stundenlange Schießerei, bis den Polizisten die Munition ausging, dann schnitten die Angreifer den Überlebenden die Kehle durch, übergossen sie mit Säure. Die Leiche des Kommandeurs schleiften sie durch die Straßen. Das Handy-Video, dass die Militanten nach dem Massaker ins Internet stellten, war mehr als ein Dokument unvorstellbarer Rohheit, blinden Hasses. Der Zwei-Minuten-Film war die zittrige Allegorie der Niederlage Ägyptens.

Mehr als vier Wochen lang hatte sich danach kein Polizist, kein Soldat in die Stadt getraut, herrschten die Anhänger des gestürzten Präsidenten in ihrer Enklave, keine 20 Kilometer entfernt vom Regierungspalast und den Ministerien. Namhafte Muslimbrüder und Islamisten, - ob sie alle nur entmachtete Politiker sind oder viele von ihnen doch mordende Militante, lässt sich so noch nicht sagen - sollen sich im Ort versteckt haben, um der Verhaftungswelle der neuen Regierung zu entgehen.

Leutnant Muhammed Abdel Hamid, der damals als einziger der Polizisten durch Zufall davongekommen ist und noch immer mit einem zerschossenen Arm im Bett liegt, sagt: "Sie wollten uns alle töten, keiner sollte überleben. Das waren Leute aus Kirdasa. Ich habe Gesichter erkannt." Jetzt, auf dem Platz vor der Polizeistation mit den Blutspritzern an den Wänden, erzählen die Bewohner andere Geschichten: "Die Angreifer waren doch keine von uns. Sie kamen von außerhalb. Wir haben nicht getötet." Ja, sagt Mahmud, sie hätten die Wache geplündert, die Waffen, die Möbel, die Computer mitgenommen. Aber gemordet, nein. Die Polizei sieht das anders, hat in Kirdasa 51 Menschen festgenommen. Es dürften mehr werden. Polizeigeneral Abul-Cheir sagt: "Wir bleiben, bis wir alle haben."

In den ersten Minuten starb ein Polizeigeneral

Die Anti-Terror-Polizisten, Elite der ägyptischen Polizei, sind zornig. Der Sturm war hart, sie wurden beschossen von den Hausdächern, es gab zwölf Verletzte. Schon in den ersten Minuten starb ein Polizeigeneral. Seine Leute mussten zusehen, wie er verblutete. Kirdasa hat auf diese Weise noch einmal Geschichte geschrieben. Der Staat wird das nicht vergessen.

Es gibt jetzt kein Gut oder Böse mehr, Richtig oder Falsch. Es gibt nur noch eine gnadenlose, sehr ägyptische Folgerichtigkeit. "Sie nehmen wahllos fest. Wenn sie die Gesuchten nicht finden, dann führen sie Angehörige ab, als Geiseln", sagt Ahmed, der sich nahe der ausgebrannten Polizeistation herumdrückt. Mahmud, der sein Geld bei einer Transportfirma verdient, kommt dazu und sagt: "Die Typen, die sie gesucht haben, haben sich in der Nacht vor dem Sturm davongeschlichen. Sie wussten wie wir alle, was bevorsteht."

Manche der Einwohner jubeln jetzt, beklatschen die Männer in den schwarzen Uniformen: "Das Volk und die Polizei, wir stehen Hand in Hand." Anfang der Woche hatten die Sicherheitskräfte bereits eine andere Islamistenhochburg gestürmt, Delga in der oberägyptischen Provinz Minja. Die Zeit lief damit aus für Kirdasa. Einigen von denen, welchen der Schlag des Staates eigentlich gelten sollte, hat sie dennoch gereicht zur Flucht.

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