Abstimmung über Euro-Rettungsschirm:Merkels wackelige Mehrheiten

An der Entscheidung über Europa hängt die Zukunft der schwarz-gelben Koalition. Am Donnerstag stimmt der Bundestag über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF ab. Die Opposition hat ihre Zustimmung bereits zugesichert. Die Kanzlerin weiß aus Erfahrung, dass ihr das nicht leichter macht, die erwünschte Regierungsmehrheit zu erzielen.

Nico Fried, Berlin

Ende August 2001 ließ die Opposition im Bundestag Hohn und Spott über die Regierung regnen. In 16 Jahren unter Helmut Kohl sei es nie passiert, dass die christlich-liberale Koalition ihre Mehrheit verloren habe, lästerte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos sprach von einem "schwarzen Tag für Schröder".

CDU-Regionalkonferenz Oldenburg

Eine Regierung ohne eigene Mehrheit? Vor einigen Jahren spottete Angela Merkel über die Schröder-Regierung, jetzt muss sie die eigene Koalition zur Geschlossenheit mahnen.

(Foto: dapd)

Und auch CDU-Chefin Angela Merkel äußerte sich klar: "Es ist eine sehr schlimme Erkenntnis, dass wir in Deutschland eine Regierung haben, die nicht in der Lage ist, in einer der wichtigsten politischen Fragen überhaupt ihre Mehrheit zusammenzubekommen." Zehn Jahre später wird das der Satz sein, an dem sich die Kanzlerin Merkel diese Woche messen lassen muss.

2001 hatte es die rot-grüne Koalition von Gerhard Schröder und Joschka Fischer nicht geschafft, so viele Abgeordnete aus den eigenen Reihen von einem Bundeswehr-Einsatz in Mazedonien zu überzeugen, dass sie nicht auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen war.

Insgesamt stimmten 635 Abgeordnete ab, für die einfache Mehrheit waren also 318 Stimmen nötig, SPD und Grüne kamen aber nur auf 305. Allein 19 SPD-Abgeordnete hatten offen gegen die eigene Regierung votiert. Andere hatten sich enthalten oder waren der Abstimmung ferngeblieben. Damit hatte die Koalition die sogenannte eigene Mehrheit verpasst.

Diese eigene Mehrheit hat Merkel mittlerweile zu ihrer Zielmarke für die Abstimmung über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF an diesem Donnerstag erklärt. Der Kanzlerin würde es also genügen, wenn von den insgesamt 330 Abgeordneten der Koalition (Union 237, FDP 93) so viele Parlamentarier mit der Regierung stimmten, dass die anwesenden Oppositionsabgeordneten sowie potentielle Abweichler der schwarz-gelben Koalition zusammen auch theoretisch nicht die Mehrheit bilden könnten. Anders gesagt: Merkel nimmt zwar Stimmen der Opposition gerne mit - sie will aber nicht darauf angewiesen sein. SPD und Grüne haben bereits angekündigt, für die EFSF-Reform zu stimmen.

Merkel weiß aus der Mazedonien-Abstimmung, welche Gefahr in der Zustimmung der Opposition für einen Regierungsentwurf liegt: Die Disziplin in den eigenen Reihen lässt nach, wenn ein Gesetz sowieso die Mehrheit bekommt. Merkel selbst hatte 2001 zusammen mit Merz (und nur mit Mühe und Not) die Unions-Fraktion zu einem Ja zum Mazedonien-Einsatz verdonnert.

Durch diese Zustimmung der Opposition aber, so analysierte sie später, habe sich "die desolate Lage der Bundesregierung erst voll entfaltet", weil sich Abgeordnete aus dem Koalitionslager ermutigt gesehen hätten, "sich nicht an den Fraktionszwang zu halten". Genau das gilt es zehn Jahre später aus schwarz-gelber Sicht zu verhindern.

Darüber, was für den Donnerstag zu erwarten sei, gehen in der Union gleichwohl die Meinungen auseinander. CSU-Chef Horst Seehofer findet, der Anspruch solle die Kanzlermehrheit sein. Die läge angesichts von insgesamt 620 Abgeordneten bei 311 Stimmen aus der Koalition. Umgekehrt hat Finanzminister Wolfgang Schäuble mitgeteilt, dass aus seiner Sicht selbst das Verfehlen einer eigenen Mehrheit nur die Medien interessiere.

Merkel sah das schon 2001 anders: Eine Regierung sei verpflichtet, ein geschlossenes Abstimmungsverhalten hinzubekommen. "Schafft man das nicht, leidet nicht nur die Handlungsfähigkeit, sondern auch das außenpolitische Ansehen Deutschlands."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: