Süddeutsche Zeitung

Studentenrevolte:Was von 1968 bleibt

Gretchen Dutschke, die Frau des legendären Studentenführers Rudi, hat ein erhellendes Buch geschrieben. Es ist eine Mischung aus ihrer eigenen Biografie und dem Versuch, zu erklären, auf was die 68er "stolz sein dürfen".

Rezension von Lars Langenau

Der ursprünglich vom Verlag geplante Untertitel löste bei Gretchen Dutschke-Klotz Kopfschütteln aus: "Die wunderbar schrecklichen 68er" sollte ihr Werk heißen, aber da war es auch noch als Gesprächsbuch geplant.

Schließlich wurde das Manuskript, wie sie sagt, um "dreiviertel gekürzt", - und die jetzt 76-Jährige setzte sich auch mit einem neuen Titel durch: "1968. Worauf wir stolz sein dürfen" prangt nun auf dem Buch.

Allerdings in einem schwarz-rot-goldenem Einband, was für stramm internationalistische Linke irritierend wirken mag. Doch die Witwe des 1979 verstorbenen Wortführers der Studentenrebellion provoziert bewusst mit dem Wort "stolz" als auch mit der Farbgebung: 50 Jahre nach der Studentenrevolte interpretiert die gebürtige Amerikanerin 1968 als "Vollendung jener Demokratisierung in allen Lebensbereichen, die mit der bürgerlichen Revolution von 1848 begonnen hatte, dann aber allzu rasch an den Machtverhältnissen scheiterte".

Eine wirkliche Revolution blieb auch 120 Jahre später aus, doch heute deutet sie den kurzen Kampf ihrer Generation als "antiautoritäre Kulturrevolution", die letztendlich die bundesdeutsche Gesellschaft weltoffener, toleranter und demokratischer gemacht habe.

"Stolz" sei sie auch deshalb auf dieses Deutschland, weil es sich radikal seiner Nazivergangenheit gestellt und Lehren gezogen habe. Dies führte zu einer liberalen "Erfolgsgeschichte", "die ihresgleichen sucht".

Ein wunderbares, manchmal schrecklich offenes Buch

Gretchen Dutschke hat ein wunderbares, manchmal schrecklich offenes Buch aus der Perspektive der Frau des prominentesten Studentenführers geschrieben. Im Gegensatz zu ihrem 522-Seiten-Wälzer "Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben" (Kiepenheuer und Witsch) aus dem Jahr 1996 geht es hier mehr um die Bewegung - die sich freilich nicht von ihrer Autobiografie trennen lässt - statt nur um Rudi. Es ist eine Mischung aus ihrer eigenen Biografie und dem Versuch zu erklären, was bleibt.

Dieser letzte Punkt ist leider etwas dünn geblieben, aber auch schon die 68er blieben in dem, was sie wollten ("Seid realistisch - verlangt das Unmögliche") schwammig und vage.

Selbst Rudi Dutschke und der mit ihm eng befreundete Frankfurter SDS-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl entwickelten nie eine konkrete Alternative zum kapitalistischen System und dem Staatssozialismus des inzwischen untergegangenen Ostblocks.

Allerdings sucht man ja auch keine staatstheoretischen Abhandlungen bei der Frau, die seit ein paar Jahren wieder in Berlin lebt, der Stadt, in der ihre "persönliche Geschichte mit der deutschen aufs engste verbunden" ist.

Tatsächlich haben der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und die Schüsse auf ihren Mann am 11. April 1968 "eine ganze Generation politisiert" und auch viele radikalisiert, bis zur RAF.

Doch manches, wie etwa die damalige Kritik an einer "Fachidiotenausbildung" für Lehrer "ohne Raum für gesellschaftkritische Kritik", liest sich angesichts eines heute völlig verschulten Studiums seltsam aktuell. Oder die damalige Kritik an der "Systempresse" (gemeint waren Springer-Publikationen) angesichts von Fake News und "Lügenpresse".

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag auf seiner Internetseite zur Verfügung.

Oder die billigen Kopien des APO-Erfolgskonzepts durch Pegida und die rechten "Identitären" - "kleine Anlässe, große Wirkung": "Provokation ist Teil der Alltags- und Popkultur geworden, mit der man, siehe Lady Gaga, sogar viel Geld verdienen kann."

Gar nicht so gewagt hingegen ist ihre These, dass die Kommunarden Fritz Teufel und Rainer Langhans heute wohl "YouTube-Stars" wären. Herrlich auch ihre Erinnerungen an den durchgeknallten Pascha Dieter Kunzelmann ("Was geht mich Vietnam an, ich habe Orgasmusschwierigkeiten".)

Was also bleibt? "Der Bruch mit der Kultur des Gehorsams", die deutsche Frauenbewegung, die Kinderläden und ein breites links-alternatives Milieu, aus dem freilich auch ein linkes Biedermeiertum erwachsen ist, meint Gretchen Dutschke. Ihr Buch ist auch als Plädoyer gegen all die Dobrindts zu lesen, die von einer "linke Meinungsvorherrschaft" menetekeln und eine "konservative Revolution" beschwören.

Abschied vom Ziel Sozialismus

Oder gegen die Meuthens, die über ein angeblich "links-rot-grün verseuchtes 68er-Deutschland" ätzen - und dabei geflissentlich übersehen, dass für den von ihnen zitierten Sittenverfall und Werteverlust letztendlich die Nazis mit ihren monströsen Verbrechen verantwortlich sind. Aber doch nicht die, die sich, trotz Irrungen und Wirrungen, 20 Jahre nach Kriegsende an einer wirklich demokratisch verfassten Gesellschaft versuchten und verankerten.

Die "APO-Omas und Opas", schreibt Dutschke, haben auf "ihre gewiss sehr exzentrische und zuweilen exzessive Art" Courage und Mut bewiesen sowie sich des eigenen Verstandes bedient - um aufzubegehren. "Die Kritik der 68er an dem globalen Wirtschaftssystem bleibt gültig, auch wenn das Ziel nach all den historischen Erfahrungen nicht mehr Sozialismus heißen muss."

Gretchen Dutschke, inzwischen mehrfache Großmutter, schließt mit einem Appell: "Jetzt sind die Jungen dran!"

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Quelle:
SZ vom 05.03.2018/lala/odg
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