Süddeutsche Zeitung

Österreichs Kaiser Franz Joseph I.:Falsche Schlüsse, schwerwiegende Täuschungen

Schon als junger Kaiser verliert Franz Joseph I. mehrmals auf dem Schlachtfeld. Unfähig zu Reformen steuert er Österreich-Ungarn in den Untergang. Seine Kriegserklärung an Serbien löst den Ersten Weltkrieg aus - dabei wurde er noch kurz zuvor für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Von Martin Anetzberger

Mit Erzherzog Franz Ferdinand starb am 28. Juni 1914 nicht nur der Thronfolger Österreich-Ungarns. Es starb der vehementeste Gegner eines Krieges gegen Serbien innerhalb der österreichischen Führung. Franz Ferdinand sah die Slawen zwar als minderwertig an, doch er befürchtete, dass ein Krieg gegen das kleine Königreich einen viel größeren entfachen könnte - zurecht, wie sich zeigen sollte.

Nach seiner Thronbesteigung wollte er das zerfallende Habsburger-Reich zukunftsfest machen. Den österreichisch-ungarischen Dualismus wollte er durch einen dritten, südslawischen Reichsteil erweitern und den Föderalismus stärken.

Doch die Chance dazu bekam er nicht. Die Kugel eines Bosniers serbischer Abstammung - Gavrilo Princip - zerschlug in Sarajewo die Halsschlagader Franz Ferdinands. Einen Monat später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. So führte ausgerechnet der Tod Franz Ferdinands zu dem Krieg, den er hatte vermeiden wollen.

Das Attentat rückte zum letzten Mal den greisen Herrscher der k.u.k. Doppelmonarchie in den Mittelpunkt, der die Zukunft in der Vergangenheit suchte: Franz Joseph I. "versuchte es nochmals mit einer neoabsolutistischen Rückwende", schreibt der österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner. Den neuen Thronfolger, Erzherzog Karl Franz Joseph, band er so wenig wie möglich ein. Von Franz Ferdinands geplanter Reichsreform war nicht mehr die Rede, genauso wenig wie von der baldigen Ablösung des Generalstabschefs Franz Conrad von Hötzendorf - seit jeher ein starker Befürworter eines Kriegs gegen Serbien.

Auch Franz Joseph I. wollte den Krieg, aber "wohl nicht um jeden Preis", wie Rauchensteiner schreibt. Bedrängt von Generalstabschef Conrad - dieser bezeichnete das Attentat als "Kriegserklärung Serbiens an Österreich-Ungarn" - und Außenminister Leopold Berchtold nahm er den Mord aber schließlich zum Anlass. Sein Verhalten in den Tagen bis zum Kriegsausbruch sagt viel über jenen Mann aus, der so lange wie kein anderer Habsburger - von 1848 bis 1916 - auf dem österreichischen Thron saß.

"Ein bisschen Krieg"

Der Blick Franz Josephs I. und seiner Minister war auf einen Krieg gegen Serbien konzentriert. Dabei hätte dem Ministerrat nach einem Vortrag des Generalstabschefs Conrad schon am 7. Juli klar sein müssen, dass es zu einem europäischen Krieg kommen könnte. Rauchensteiner attestiert Wien allerdings "Wunschdenken" und die Vorstellung, "man würde ein bisschen Krieg führen können". In seiner Mitteilung zum Kriegseintritt nannte der österreichische Kaiser als beteiligte Parteien dann tatsächlich nur Serbien und Österreich-Ungarn. Sollte sich Russland als Verbündeter Belgrads in den Konflikt einschalten, setzte die Führung in Wien auf den Schutz des Deutschen Reiches. Dessen Monarch Wilhelm II. hatte seinem Verbündeten Österreich den berüchtigten Blankoscheck ausgestellt.

Franz Joseph I. sah den Konflikt außerdem wohl als letzte Chance, die Macht der Habsburger wieder zu festigen. Der Vielvölkerstaat wankte, ein großer militärischer Sieg sollte die Kräfte bändigen, die das Reich auseinanderzureißen drohten. Rauchensteiner schreibt, "der Umstand der faktischen Unregierbarkeit" des Vielvölkerstaats und "die Hoffnung, dem allen ein Ende setzen zu können", hätten den Entschluss zum Krieg nach sich gezogen. Doch diese Hoffnung erwies sich als Fehleinschätzung des Kaisers - nicht die erste während seiner Regentschaft, aber die schwerwiegendste.

Franz Joseph Karl von Habsburg kam am 18. August 1830 - heute vor 184 Jahren - auf Schloss Schönbrunn zur Welt, als Sohn von Erzherzog Franz Karl und Prinzessin Sophie von Bayern. Die Mutter erzog "Franzi" streng katholisch und von Beginn an "bewusst und planvoll zum Thronfolger", schreibt Joseph Redlich in seiner Biografie von 1929. Er besaß ein "angeborenes Sprachentalent". Spielend lernte er Tschechisch, Ungarisch, Italienisch und Französisch. Großen Wert wurde auch auf die militärische Ausbildung des künftigen Kaisers gelegt, obwohl Redlich ihm eine "Begabung zum Heerführer" absprach. Er sei überhaupt "ohne ganz besonders auffallende höhere Begabung" gewesen. Trotzdem habe Franz Joseph I. sich "vor allem als obersten Kriegsherrn" begriffen.

Nach seiner Krönung am 2. Dezember 1848 inmitten der Wirren der bürgerlichen Revolution stützte sich der junge Kaiser vor allem auf die katholische Kirche und das Militär, um weitere revolutionäre Vorstöße zu verhindern und die ins Wanken geratene Macht der Habsburger wiederherzustellen.

Im Kampf mit den äußeren Feinden waren ihm keine großen Erfolge beschert. Ausgerechnet das Militär bereitete ihm - auch schon vor dem Ersten Weltkrieg - die größten Enttäuschungen. Schon beim ersten Waffengang unter seinem Oberbefehl musste Franz Joseph I. im Jahr 1859 eine schlimme Niederlage hinnehmen. Gegen Frankreich und das Königreich Sardinien hatte sein Heer keine Chance. Er verlor die Lombardei an den sich formierenden Nationalstaat Italien.

1862 kam in Preußen ein Mann an die Macht, der dem österreichischen Kaiser an Weitsicht und Intelligenz überlegen war - und ihm weitere Tiefschläge beibrachte: Otto von Bismarck. Der damalige Ministerpräsident Preußens und spätere deutsche Reichskanzler täuschte ihn über seine Absichten im deutsch-dänischen Krieg 1864, als Preußen und Österreich gemeinsam kämpften. Nach dem Sieg fiel Schleswig unter preußische, Holstein unter österreichische Verwaltung. Doch Bismarck wollte auch die Kontrolle über Holstein und, viel wichtiger: die Führungsposition in Deutschland. So provozierte er letztlich den deutschen Krieg von 1866. Durch einen vernichtenden Sieg gegen Österreich stieg Preußen zur führenden Macht des in Kleinstaaten zersplitterten Deutschlands auf.

Bismarck erkannte die Macht der aufstrebenden Nationalbewegung und machte sie sich im deutsch-französischen Krieg zunutze: Nach dem Sieg 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet und stieg schnell zur führenden Macht in Europa auf. Von da an band das Deutsche Reich Österreich-Ungarn als Juniorpartner eines Bündnisses an sich, das später gemeinsam in den Ersten Weltkrieg ziehen sollte.

An der Entfesselung dieses Krieges war Kaiser Franz Joseph I. maßgeblich beteiligt. Die Nachricht vom Tod seines Thronfolgers und dessen Frau, Sophie von Hohenberg, erreichte Franz Joseph I. in seiner Sommerresidenz in Bad Ischl. Er soll dabei wenig Trauer gezeigt haben. Der Kaiser hatte die Ehe Franz Ferdinands aufgrund der vergleichsweise niederen Abstammung Sophies stets missbilligt. Sophie wurde von der kaiserlichen Familie ausgegrenzt, ihre Kinder frühzeitig von der Thronfolge ausgeschlossen.

Selbst als Franz Ferdinand und Sophie tot waren, verbarg der Monarch nicht seine Verachtung. Die Historikerin Annika Mombauer beschreibt die Trauerfeier als eine demütigende Zeremonie von nur 15 Minuten. Der Kaiser erschien nicht einmal.

Hier bewies Franz Joseph I., wie wenig er zur Veränderung bereit war. Seinen Sohn Rudolf hatte er 1881 in eine Ehe mit Prinzessin Stephanie gezwungen - Rudolf nahm sich 1889 das Leben. Zu diesem Zeitpunkt war seine eigene Ehe mit der legendären "Sisi", die er 1854 geheiratet hatte, längst zerrüttet. Sie wurde später von einem italienischen Anarchisten in Genf erstochen.

Auf das Attentat von Sarajewo folgte die Julikrise. Vom Deutschen Reich ermutigt bereitete Österreich-Ungarn einen Krieg gegen Serbien vor. Hier zeigte sich Franz Josephs I. absolutistisches Herrscherverständnis. Rauchensteiner zufolge fiel wenige Tage nach dem Attentat das "als Votum des Kaisers" verstandene Wort "Krieg", wohl während einer Audienz des Außenministers Berchtold. Damit hatte er eine klare Linie vorgegeben, und er vertraute seinem Umfeld, allen voran seinem Generalstabschef Conrad. Mit den Einzelheiten beschäftigte sich der Kaiser gar nicht. Im Gegenteil habe sich der Kaiser schon lange damit begnügt, "nur mehr informiert zu werden".

Falschmeldung über ein Gefecht bei Temes Kubin

Am 6. Juli kehrte Franz Joseph I. wieder in seine Sommerresidenz zurück. Einen Tag später war der Krieg gegen Serbien auch im Ministerrat in Wien beschlossene Sache. Rauchensteiner zufolge nahm der greise Monarch auch nicht maßgeblich Anteil "an dem Entschluss über die tatsächliche Absendung" des unannehmbaren Ultimatums an Serbien und auch nicht an der Finalisierung der Kriegserklärung. Am 27. Juli wurde ihm vom Außenminister Berchtold eine Meldung vorgelegt, wonach serbische Soldaten bei Temes Kubin an der Grenze zu Ungarn von einem Donaudampfer auf österreichische Truppen geschossen hätten. Dieses Gefecht hat so nie stattgefunden, doch die kolportierte Nachricht bestärkte Franz Joseph I. darin, die Kriegserklärung zu unterschreiben.

Doch er wurde nicht nur von den eigenen Leuten getäuscht, auch der deutsche Bündnispartner ließ ihn auflaufen. Kaiser Wilhelm II. interessierte sich nämlich keineswegs für Österreichs Wunsch nach einer Niederwerfung Serbiens. Das Deutsche Reich strebte einen wesentlich größeren Krieg an - gegen Frankreich und Russland. Es folgte dabei dem sogenannten Schlieffenplan, wonach es zuerst Frankreich rasch besiegen wollte. In der Zwischenzeit sollte Österreich-Ungarn Russland in Schach halten.

"Serbien spielt in dem Riesenkampfe, in den wir Schulter an Schulter eintreten, eine ganz nebensächliche Rolle", ließ Wilhelm II. seinen düpierten Bündnispartner wissen. Historikerin Mombauer schreibt, schon nach kurzer Zeit "war man also an einen Punkt gelangt, wo der vorgebliche Kriegsgrund - Serbiens Provokation Österreich-Ungarns - kaum noch eine Rolle spielte". Mit seiner Hoffnung, sich vorwiegend auf einen Krieg gegen Serbien beschränken zu können, hatte sich der alte Kaiser erneut getäuscht. Er verursachte damit einen weltumspannenden Krieg mit.

Angesichts dessen wirkt es vollkommen grotesk, dass der ungarische Friedensaktivist Ferenc Kemény den Kaiser noch im Februar 1914 zum zweiten Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen hatte. Er habe im Herbst 1912 einen "Weltmassenmord" verhindert. Damals hatte Serbien Gebiete an der Adriaküste besetzt, worauf Russland und Österreich-Ungarn mobilmachten. Den Vorschlag bezeichnet die Franz-Ferdinand-Biografin Alma Hannig als "Treppenwitz der Geschichte".

Franz Joseph I. starb mitten im Krieg - am 21. November 1916 - auf Schloss Schönbrunn. Die Niederlage und den Zusammenbruch des Reiches erlebte er nicht mehr. Wer der Kaiser war, als Mensch, lässt sich schwer sagen. Redlich nennt ihn eine Persönlichkeit "dessen menschliche Individualität so vollständig mit seinem herrscherlichen Wirken zusammenfällt, wie das von keinem anderen der europäischen Monarchen des verflossenen Jahrhunderts gesagt werden kann".

Sicher ist, dass der langjährige Herrscher vielen als Sinnbild für das Bestehen der Donau-Monarchie galt. Noch zu seinen Lebzeiten hieß es unter seinen Untertanen dem österreichischen Historiker Ernst Hanisch zufolge: "Wenn der alte Kaiser stirbt, geht das Leutumbringen an!" Auch sie hatten sich getäuscht. Zu diesem Zeitpunkt war das große Töten längst in vollem Gang.

Linktipps:

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2086599
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/odg/gal/ebri
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.