1000. Sitzung des Bundesrats:Das Haus der leisen Töne

Erste Bundesratssitzung in Bonn 1949

Am 7. September 1949 trat der Bundesrat, damals noch in Bonn, zu seiner ersten Sitzung zusammen - vor dem Bundestag.

(Foto: dpa/dpa)

Der Bundesrat ist eine weltweit einmalige Gesetzesmanufaktur, in der weder geklatscht noch gepöbelt wird. Aber wenn es mal knallt, dann richtig. Eine Würdigung zur 1000. Sitzung

Von Viktoria Spinrad, Berlin

Einmal wurde es laut im sonst so vornehmen Herrenhaus. An einem wechselhaften Märztag im Jahr 2002 donnerte der damalige Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch (CDU) mit der Faust auf sein Pult. "Glatter Rechtsbruch" rief er, "unglaublich" sei das Ganze. Der damalige Berliner Bürgermeister und Präsident des Hauses, Klaus Wowereit, versuchte zu beschwichtigen, doch Koch schäumte weiter. "Nein, ich mäßige mich nicht!", polterte er. Kurz darauf verließ die gesammelte CDU-Vertreterschaft den Saal.

Was war geschehen? Mit dem Zuwanderungsgesetz wollte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD seine Wiederwahl sichern. Fehlte nur noch die Zustimmung im Bundesrat. Dort waren alle Augen auf Brandenburg gerichtet, wo allerdings eine große Koalition regierte. Die SPD dafür, die CDU dagegen, ein Dilemma. Als Brandenburg bei der Abfrage dran war, begann ein Theater, wie es so nie wieder stattfinden würde.

Der Ministerpräsident rief Ja, der Innenminister Nein. Wowereit, als Sozialdemokrat selber für die Reform, wertete das Votum dennoch als Ja. Dann brach der Tumult los. "Völlig unmöglich", "Sie kennen die Verfassung nicht", riefen die Männer. Neun Monate später scheiterte das Gesetz vor dem Verfassungsgericht. Erst im Vermittlungsverfahren, einer Art Hinterzimmer-Schlichtungsinstanz, fand sich ein Kompromiss.

Der Konsens, nicht die Kontroverse regiert in der Länderkammer

Der inszenierte Eklat ging in die Geschichte ein. Denn es ist der Konsens, der in der Länderkammer regiert, nicht die Kontroverse. Damit ist sie das Gegenmodell zum Bundestag. Entsprechend unaufgeregt ist in der Kammer an Sitzungstagen die Stimmung. Hier wird weder geklatscht noch gepöbelt - in dem alten wilhelminischen Protzbau aus dem Jahr 1904 herrscht der Kammerton.

Der Bundesrat, der am Freitag seine 1000. Sitzung hatte, ist weltweit einzigartig. Zwar haben viele Länder eine zweite Kammer. Dort sitzen aber zumeist extra gewählte oder ernannte Mitglieder. In Großbritannien sind es die Altehrwürdigen im House of Lords, in den USA die Senatoren. In der Leipziger Straße winken dagegen die Vertreter der Länder Gesetze durch, die ihren Beritt betreffen. Exekutive und Legislative kommen zusammen.

Und so werden Tagesordnungspunkte im Sekunden- bis Minutentakt abgearbeitet. Dabei sitzen die Vertreter der Länder in kleinen Blöcken, blättern in Papieren und heben im Takt der Abstimmung die Hand - oder eben auch nicht. Als einen "verfassungspraktischen Alleskönner" und ein "Bollwerk der arbeitenden Demokratie" lobt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundesrat zur Jubiläumssitzung am Freitag. Von außen betrachtet wirkt das Ganze derweil wie eine eher undurchsichtige Gesetzesmanufaktur.

Früher war das Gremium übersichtlich, aber das ist vorbei

Was man nicht sieht: Die Vorarbeit ist da längst gemacht. In den nicht öffentlichen Ausschüssen, wo um Formulierungen gerungen wird. In den Landeskabinetten, die dienstags tagen. Beim Abendessen mit der Kanzlerin, bei dem sich die Ministerpräsidenten der Union am Vorabend treffen.

Früher war der Weg dahin noch übersichtlich. Es gab die SPD-geführten A-Länder und die unionsgeführten B-Länder. Wer die Mehrheit hatte, hatte die Macht. Heute gibt es insgesamt neun verschiedene Farbkombinationen, ein buntes Potpourri aus Überzeugungen. Mehrheiten zu organisieren wird schwieriger. "Realismus pur", nannte der Ministerpräsident Thüringens Bodo Ramelow (Linke) das einmal.

Dieser Realismus kann aber auch befruchtend sein: Mit Pläuschchen auf dem Gang zwischen Ministerpräsidenten wie Horst Seehofer und Winfried Kretschmann bahnten sich hier erste schwarz-grüne Sympathien an. Letzterer wollte, als er den Vorsitz innehatte, eine Abstimmungsmaschine installieren - und scheiterte. Zum Leidwesen der Mitarbeiter, die die Stimmen weiterhin innerhalb weniger Sekunden zählen müssen.

72 Jahre ist es her, dass der Alterspräsident Johannes Büll die erste Sitzung mit einem Schiller-Zitat einleitete. "Das vollkommenste Kunstwerk ist der Bau der politischen Freiheit", sagte er. Vertreter der alliierten Siegermächte waren da, genau wie Repräsentanten der damaligen Länder "Württemberg-Baden", "Württemberg-Hohenzollern" und Baden. Nach 41 Minuten war Schluss.

Reichskanzler Otto von Bismarck war es, der das Konzept dieser ungewöhnlichen zweiten Kammer ersonnen hatte. Während eines Aufenthalts unter der klaren Luft Rügens schickte er diverse Briefe mit Ideen gen Heimat. Es ging darum, die verbliebenen Fürsten an den neuen Nationalstaat zu binden und ihre Souveränität zu sichern.

150 Jahre später ist der Bundesrat immer noch Inbegriff des Föderalismus. So mancher schimpft ihn als Ort des Kuhhandels und des Blockierens. Eine Macht, die die Grünen dank ihrer vielen Regierungsbeteiligungen in den Ländern zunehmend haben. Zumindest soweit, wie sie ihre Koalitionspartner mit im Boot haben.

Dass nun bereits die 1000. Sitzung stattfand, hat mit der "immerwährenden" Natur der Kammer zu tun. Legislaturperioden gibt es nicht. Während sich die Gesichter auf den Bänken mit den Landtagswahlen stets ändern, bleibt der Bundesrat stets: der Bundesrat.

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