100 Tage Trump:100 Tage Wahnsinn

President Trump reacts to the AHCA health care bill being pulled as he appears with HHS Secretary Price and Vice President Pence in the Oval Office

Donald Trump hat beispiellose hundert erste Tage im Amt des US-Präsidenten hinter sich.

(Foto: REUTERS)

So einen US-Präsidenten hat die Welt noch nicht gesehen. Es könnte alles ganz lustig sein. Wäre Donald Trump nicht der mächtigste Mann der Welt.

Von Thorsten Denkler, New York

Langweilig ist es mit US-Präsident Donald Trump bisher nicht. 100 Tage im Amt - und keinen Tag Ruhe. Auf einer Skala von eins für öde bis zehn für echt verrückt hat sich Trump eine Zwölf verdient. Nicht etwa, weil er seine Wahlversprechen alle gehalten hätte. Von den wichtigsten, die er für die ersten 100 Tage angekündigt hat, sind nur wenige erfüllt.

Die Zwölf hat er sich mit dem verdient, was er gesagt hat. Und wie er es gesagt hat. Oder wie er es nicht gesagt hat. Oder sich widersprochen hat. Manchmal innerhalb weniger Minuten.

Wo anfangen? 100 Tage können kurz sein. Im Fall von Trump sind es gefühlt schon Hunderte Tage. Die US-Zeitungen sind tagtäglich voll mit Berichten über seine falschen Behauptungen, Seltsamkeiten, Missverständnisse und 180-Grad-Wenden.

Beginnen wir am Tag seiner Inauguration. Der gewählte Präsident wird vereidigt. Dann hält er eine Rede. Und was für eine. Da steht so manchem der Mund offen, wie er die komplette politische Klasse beschimpft, die sich vor dem Kapitol zu, nun ja, seinen Ehren versammelt hat.

Womit Trump ein echtes Problem hat: Sein Wahlsieg wird eher nicht als der allergrößte in die Geschichte eingehen, den je ein Präsidentschaftsbewerber errungen hat. Konkurrentin Hillary Clinton hatte etwa drei Millionen Wählerstimmen mehr erhalten. Weshalb Trump nun immer wieder behauptet, er habe sich lediglich darauf konzentriert, die Stimmen der Wahlmänner zu sammeln. Was natürlich die viel, viel größere Herausforderung sei. Interessant: 2012 hatte er noch getwittert, das Electoral College sei ein "Desaster für die Demokratie".

Alles was an seinem Ego kratzt, macht Trump fuchsig. Zu seiner Vereidigung sind weit weniger Menschen gekommen, als er erwartet hat. Er hat viele erwartet. Aber es gibt Beweisfotos. Auf einem tummeln sich richtig viele Menschen - das war die Inauguration von Obama. Auf einem anderen stehen auch viele, aber doch deutlich weniger, mit viel Luft in den Reihen - das war die Inauguration von Trump.

Am nächsten Tag - ein Samstag - schickt Trump seinen Pressesprecher Sean Spicer zu dessen erster Pressekonferenz vor. Der Satz des Tages: "Das war das größte Publikum, das jemals zu einer Inauguration gekommen ist. Punkt." Fragen lässt er nicht zu. Eindeutig Fake News, die Spicer da verkündet. Oder besser "alternative Fakten", wie Trump-Beraterin Kellyanne Conway später erklärt.

Trump erklärt Tote für lebendig

Aber was soll's. Trump spricht wenige Tage danach über den schwarzen Bürgerrechtler Frederick Douglass, als habe er ihm gerade eben noch die Hand geschüttelt. Douglass starb 1895.

Die ersten Amtswochen haben es in sich. Viele Telefonate mit Staatschefs aus aller Welt. Jedes ein potenzieller Fettnapf. Ein Telefonat mit dem australischen Regierungschef Malcolm Turnbull endet abrupt, weil dieser Trump an ein Abkommen zu erinnern wagt, wonach die USA seinem Land 1250 Flüchtlinge abnehmen. Erst soll Trump seinen Kollegen deshalb wüst beschimpft - und dann aufgelegt haben.

Kurze Zeit später telefoniert Trump mit seinem mexikanischen Kollegen Enrique Peña Nieto. Zum Glück scheint der Mann Humor zu haben. Denn was Trump ihm sagt, hätte er problemlos als Kriegserklärung auffassen können. "Ihr habt eine Menge übler Hombres da unten", sagt Trump. "Ihr macht nicht genug, um sie zu stoppen. Ich glaube, euer Militär hat Angst. Unser Militär hat keine Angst. Ich könnte es runterschicken, dann kümmern die sich um die Sache."

Von mexikanischer Seite heißt es später, das sei als "freundliches Angebot" aufgefasst worden. Glück gehabt.

Geht es um ihn und seine Leute, ist Trump weniger geneigt, präsidiale Gelassenheit an den Tag zu legen. Legendär sind seine Tweets, in denen er sich über die US-Comedy-Sendung Saturday Night Live ereifert, in der er von Alec Baldwin parodiert wird. Richtig berührt aber soll er sein, als es seinen Pressesprecher Sean Spicer trifft.

Der kann ja Unsinn erzählen, so viel er will, wenn die Reichweite stimmt. "Ich werde Sean Spicer nicht feuern. Der Kerl hat großartige Einschaltquoten", soll Trump kürzlich über ihn gesagt haben.

Aber mit Melissa McCarthy wird Spicer von einer Frau parodiert. Von einer Frau! Das lässt Spicer in Trumps Augen besonders schwächlich aussehen. Und "Trump mag es nicht, wenn seine Leute schwach erscheinen", sagt danach ein Trump-Freund. Der Präsident soll getobt haben.

"Ich habe schnell begriffen, okay?"

Auch Präsidenten müssen dazulernen. Anfangs unterstützt Trump die Geschäfte seiner Tochter Ivanka vehement. Nicht nur darf seine Beraterin Kellyanne Conway öffentlich für die Modemarke "Ivanka Trump" werben, ohne umgehend gefeuert zu werden. Trump selbst regt sich - natürlich auf Twitter - über die Kaufhauskette Nordstrom auf, die die Klamotten seiner Tochter aus dem Programm genommen hat. Das sei "unfair", schreibt der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Anfang Februar teilt Trump der Menschheit - in aller Bescheidenheit - seine Selbsteinschätzung mit. Er sei ein guter Student gewesen. Er habe die Dinge verstanden. "Ich habe schnell begriffen, okay? Ich glaube, besser als irgendwer sonst."

Den Satz sagt er in einer Phase, in der im Weißen Haus entnervte Mitarbeiter pikante Details ihres präsidialen Alltags mit Trump an die Presse durchstechen. Diese zeichnen ein völlig anderes Bild von Trump. Es ist ein Trump, der seine Hausaufgaben nicht macht, seine Vorlagen nicht liest. Und große Schwierigkeiten hat, grundlegende politische Zusammenhänge zu begreifen, wie das New York Magazine schreibt.

Aber das sind vielleicht auch Fake News, wie Trump gerne behauptet. So wie die New York Times. Oder CNN. Und eigentlich alles außer dem konservativen Sender Fox News.

Ein Beispiel für Trumps Beratungsresistenz: In seinem ersten Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bringt dieser das Abrüstungsabkommen START auf. START ist einer der wichtigsten Verträge zu nuklearer Abrüstung überhaupt. Nur weiß Trump nicht, wovon Putin da redet. Er hat sich vorher offenbar nicht unterrichten lassen. Dafür hätte er lesen müssen. Das macht er nicht gerne. Höchstens drei Seiten, hat er mal gesagt. Das reicht. Danach hat er alles kapiert.

Die russisch-amerikanischen Beziehungen auf drei Seiten. Das ist recht ambitioniert.

Aber er darf das. Er ist der Präsident. Er darf auch das Trump-Golfhotel Mar-a-Lago in Florida zum Winter White House erklären. Was die Steuerzahler Millionen kostet. Dort empfängt er gerne Staatsgäste wie Mitte Februar den japanischen Premier Shinzo Abe. Japan ist einer wichtigsten Verbündeten der USA.

An jenem Abend also sitzen Trump und Abe beisammen im Club-Restaurant, umgeben von anderen Gästen und einem Piano-Spieler. Es platzt die Nachricht herein, dass Nordkorea mal wieder einen Raketentest unternommen hat.

Das Restaurant wird plötzlich zum Lagezentrum, Trump und Abe besprechen heikle Sicherheitsfragen. Inmitten der Hotel-Gäste. "Unüblich" ist da eine Zuschreibung, die der Situation nicht annähernd gerecht wird.

Aber was geht Trump das an? Irgendwann unterbricht er das Gespräch. Er geht mit Abe auf die Hochzeitsfeier, die ein langjähriges Mitglied im Mar-a-Lago-Club im Trump-Hotel feiert. Und ja: Trump hält eine kleine Rede. Davon gibt es ein Beweisvideo. Interessant wäre zu erfahren, was Abe wirklich nach diesem Abend gedacht hat.

Aber auch ein Donald Trump ist lernfähig. Womöglich. Zunächst vergeigt er dann die Sache mit der Gesundheitsreform. Er wollte die Krankenversicherungsreform seines Vorgängers Barack Obama abschaffen und ersetzen. Ein großes Wahlversprechen. Das wichtigste vielleicht.

Die Verhandlungen sind schwierig. Und Ende Februar sagt Trump nach einer Runde mit Gouverneuren in die Kameras: "Ich muss Ihnen sagen, das ist ein unglaublich kompliziertes Thema." Und: "Keiner wusste, dass Krankenversicherung so kompliziert sein kann."

Nun, doch. Das weiß eigentlich jeder, der sich mal den Wikipedia-Eintrag zu Obamacare angesehen hat. Hat Trump aber offenbar nicht. Details interessieren Trump nicht. Ihn interessiert das "Big Picture", das große Bild. Das, auf dem er derjenige ist, der Obamacare abgeschafft und ersetzt hat.

Die republikanischen Abgeordneten aber interessieren sich für Details. Aus unterschiedlichen Gründen. Den einen geht Trumps Gesetz nicht weit genug, den anderen viel zu weit.

Trump aber hat nichts anzubieten, er kann auch Wochen später keine Vorschläge machen. Weil er die Details nicht kennt. Oder nicht versteht, wie Teilnehmer berichten. Trump setzt auf Ultimaten. Stimmt zu, oder das war's. Dann bleibt Obamacare eben. Mir doch egal. Auch das hilft nicht. Es kommt Ende März gar nicht erst zur Abstimmung.

Seine Drohung macht Trump dann auch nicht wahr. Das Gesetz soll jetzt wieder auf die Tagesordnung. Sein Ruf als größter Verhandler aller Zeiten hat erste Kratzer.

Nie bewiesene Behauptungen

Es gibt noch so viel mehr: Seine nie bewiesene Behauptung, Obama habe ihn in seinem New Yorker Trump-Tower abhören lassen. Oder wie er - ganz die alte Schule - mit Händedrücken seine Staatsgäste irritiert. Ausgerechnet am vergleichsweise schmächtigen, aber wohl trainierten kanadischen Premier Justin Trudeau scheitert Trump, weil der mit einer karatesken Gegenbewegung Trumps Handdrücktaktik ins Leere laufen lässt. Der deutschen Kanzlerin Merkel gibt Trump beim Foto-Termin gar nicht erst die Hand .

Oder wie er 59 Raketen auf Syrien abfeuern lässt. Im Moment des Angriffsbefehls will Trump nicht von seinem Nachtisch lassen, das "schönste Stück Schokokuchen, dass Sie jemals gesehen haben".

Ganz wunderbar auch das Interview, das er der Nachrichtenagentur Associated Press gibt. Es ist eine Fundgrube für Trump'sche Unglaublichkeiten aller Art. Da behauptet er, er habe längst aufgehört CNN zu sehen. Die Reporterin sagt, er habe doch gerade gesagt, er schaue CNN noch. Trump: "Wo? Wo?" - "Vor zwei Minuten."

In seinem Satz sagt er, dass er mit europäischen Staats- und Regierungschefs nicht über das Atom-Abkommen mit Iran gesprochen habe. Im nächsten Satz sagt er, dass er das natürlich thematisiert habe.

In einem Moment großer Offenheit erklärt Trump, warum er die Nato einst als obsolet bezeichnet hat, dies aber nicht mehr tue: weil er "nicht viel über die Nato gewusst habe".

Vor einem Jahr klang das noch anders: "Ich verstehe das Zeug. Ich meine, ich verstehe das Zeug wirklich", sagte Trump da in einer öffentlichen Diskussion. "Die Nato ist obsolet."

Aber die Nato wird Trump wohl überleben. Und der Rest der Welt vielleicht auch.

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