100 Tage im Amt:Rätsel Obama

Die Aura von Barack Obama überstrahlt bisher, wie wenig sich Washington eigentlich verändert hat. Aber irgendwann wird der US-Präsident kein Kult mehr sein.

C. Wernicke

Es wird der Tag kommen, da dieser Mann wieder Mensch ist - nicht länger jener Halbgott, der urbi et orbi (in Washington wie überall auf Erden) als Magier des gesprochenen Wortes Millionen verzaubert. Dann wird er nicht länger der eine sein, der über alle Wasser geht - sondern nur noch ein Politiker, der wie andere auch mit Wasser kocht.

Obama, AP

Seine Politik ist öder Pragmatismus. Erst die Person Barack Obama erfüllt die Sehnsucht nach Visionen.

(Foto: Foto: AP)

An jenem Tag würde nicht sofort aller Glanz von ihm abfallen. Die so globale wie totale Vermarktung, auch seiner Frau und Töchter, ja nun sogar des schwarzen Weiße-Haus-Hundes Bo, hinterlässt schließlich ihre Spuren. Aber irgendwann wird Obama kein Kult mehr sein, vielleicht nur noch eine Marke mit dem Vornamen Barack.

Der Tag der Ernüchterung wird unweigerlich kommen. Nur redet davon niemand in dieser Woche, da Amerikas Idol seinen 100. Tag im Oval Office zelebriert. Obama feiert nicht, doch das Weiße Haus lässt ihn feiern. Im Internet, im Fernsehen, auf den Titelseiten von Polit-Magazinen, Mode-Zeitschriften, der Postillen für Hundehalter, Vegetarier oder Angler - alles Obama!

All die Hysterie verstärkt nur Obamas Aura

Selbst jenes Drittel Amerikas, das sich partout nicht anfreunden will mit diesem Präsidenten, steht im Banne Obamas. Mit Geifer und Hass wettert die Rechte gegen den Demokraten, der sich - mal Sozialist, mal Faschist - angeblich anschickt, eine Staats-Tyrannis zu errichten. So schrill die Opposition da schreit, so rat- und sprachlos wirkt sie auch.

All die Hysterie verstärkt nur Obamas Aura. Er lächelt gelassen und bleibt cool. Dieser Präsident hat in gut drei Monaten mehr bewegt als sämtliche seiner Amtsvorgänger seit Franklin D. Roosevelt. Und doch scheitert bisher jeder Versuch, ihm einen Stempel aufzudrücken, ihm eine Ideologie anzudichten. Die Obama-Mania tobt sich aus, doch derweil weiß niemand so recht, was genau Obamanismus ist.

Nur so viel: Es ist der Stil, nicht irgendeine stramme Linie, die da fasziniert. Ob bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise oder bei der Entscheidung, mehr US-Soldaten denn je in den Krieg nach Afghanistan zu schicken: Obama gelingt es stets, seine Politik als das schier Notwendige zu verkaufen - als schlichtes Ergebnis der reinen Vernunft, als logisch zwingenden Schritt, der keiner Ideologie gehorcht.

"Zusammen können wir unsere Nation heilen und die Welt retten"

Nur: Wenn alles öder Pragmatismus ist, warum dann diese Hysterie um den Mann? Hier liegt der Schlüssel zum Rätsel Obama. Erst die Person erfüllt die Sehnsucht nach Visionen. Es ist eine Ein-Mann-Show: Allein Obama (nicht ein Einziger seiner Minister) kann all die erbaulichen Emotionen schüren und jenes Wir-Gefühl erwecken, das selbst größte Anmaßungen nicht hohl klingen lässt: "Zusammen können wir unsere Nation heilen und die Welt retten."

Dieser Gesegnete ist auch nur ein Mensch

Und so blickt plötzlich alle Welt mit Wohlgefallen auf Amerika - obwohl dieser Präsident, mal abgesehen von allerlei Ankündigungen, bisher kaum mehr vollbracht hat als eben nicht George W. Bush zu sein. Derweil fühlt sich die US-Nation so wohl wie seit fünf Jahren nicht mehr - trotz Wirtschaftseinbruchs und rasant steigender Arbeitslosigkeit. Wie einst Ronald Reagan vermag Obama seinem Volk den Glauben an sich selbst zu geben. Obama ist eine Art Anti-Reagan. Er richtet jenen Staat wieder auf, den Reagans Revolution einst geschleift hatte.

Die alte Ordnung, so hat Obama neulich in einer zu wenig beachteten Grundsatzrede an der Georgetown-Universität gesagt, sei "auf Sand gebaut". Amerika müsse ein neues Haus errichten, auf festem Fels: Das wäre nicht weniger als ein neuer Kapitalismus - sozialer, grüner und zivilisierter als die Raubtier-Wirtschaft, die zuletzt auch ihre Dompteure an der Wall Street gefressen hat. Nebenbei beweist Obamas kühner Griff zur Metapher aus der Bergpredigt, dass die ersten Wochen im Weißen Haus diesen Mann nicht haben bescheidener werden lassen.

Erbitterter Streit um die alten Folter-Dossiers

Ob als Erlösung gelingt, was er als Erlöser prophezeit, weiß auch Obama selbst nicht. Er hat, nimmermüde und mit maximalem Aufwand, bisher nur die Saat ausbringen können. Sein politisches Schicksal hängt nun davon ab, ob der knapp 800 Milliarden Dollar teure Stimulus funktioniert und die US-Wirtschaft neu erblüht. Ob und wie schnell das jedoch gelingt, weiß niemand.

Genauso wenig lässt sich absehen, ob Obamas internationale Avancen zum Dialog mit Freund und Feind fruchten. Die Alliierten in Europa scharen sich um ihn - und verweigern sich gleichwohl konkreter Taten (etwa mehr eigene Truppen nach Afghanistan zu entsenden). Und Amerikas Gegner - ob in Iran oder in Nordkorea - schicken vorerst wenig ermutigende Antworten in Form neuer Raketen oder immer mehr Uran-Zentrifugen.

Der erbitterte Streit um die alten Folter-Dossiers der CIA hat Obama gelehrt, wie schnell ihn das Erbe George W. Bushs immer wieder einholen kann. Die Aura Obamas überstrahlt bisher, wie wenig sich Washington eigentlich verändert hat. Die tiefe Spaltung in ein rechtes und ein linkes Amerika zu überwinden, das braucht mehr als hundert Tage. Obama ist ein grandioser Anfang geglückt, und die Welt muss hoffen, das ihm mehr gelingt. Nur: Dieser Gesegnete ist auch nur ein Mensch.

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