1. Mai: Arbeitsmarkt offen für Osteuropäer:"Reservoir für Ausbeutung"

Der Arbeitsmarkt ist ab sofort offen für Osteuropäer, die Gewerkschaften warnen am Tag der Arbeit vor Lohndumping. DGB-Chef Sommer fordert einen flächendeckenden Mindestlohn - und sucht seit langem wieder die Nähe zur SPD.

Thomas Öchsner, Berlin

DGB-Chef Michael Sommer hat davor gewarnt, dass der seit 1. Mai vollständig geöffnete Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus Osteuropa zu einem "Reservoir für Ausbeutung" wird. Auf der zentralen Kundgebung zum "Tag der Arbeit" sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Kassel: Die Menschen aus den acht EU-Beitrittsländern "sind uns willkommen". Nicht willkommen seien Arbeitgeber, die arbeitswillige Zuwanderer "zum Lohndumping missbrauchen wollen". Bei der Veranstaltung vor etwa 4000 Teilnehmern verlangte Sommer einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde in Deutschland, eine Meldepflicht für alle Arbeitsverhältnisse und verschärfte Kontrollen. Dies soll dazu beitragen, die Gefahren der vollen EU-Freizügigkeit einzudämmen.

DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Berlin

Die Freizügigkeit birgt die Gefahr des Lohndumpings, warnt der DGB; hier ein Teilnehmer der Kundgebung.

(Foto: dapd)

Seit Sonntag können Arbeitnehmer aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn ohne Arbeitserlaubnis einen Job annehmen. Auch der Chef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Klaus Wiesehügel, sieht dies mit Sorge: Er befürchtet, dass Unternehmen die Zuwanderer mit Niedriglöhnen von unter fünf Euro abspeisen. Ähnlich äußerte sich IG-Metall-Chef Berthold Huber in Nürnberg: Er wandte sich gegen eine "Verrohung des Arbeitsmarktes". Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, Dauerpraktika und Minijobs seien längst keine Randerscheinungen mehr, sondern vor allem für junge Menschen zu einer dauerhaften Zumutung geworden. Die stellvertretende DGB-Chefin Ingrid Sehrbrock vertrat die Auffassung, der Fachkräftemangel sei weitgehend hausgemacht. "Die Wirtschaft erwartet, dass die jungen Fachkräfte vom Himmel fallen und nimmt ihre Pflicht für die Ausbildung nicht richtig wahr", sagte sie.

DGB-Chef Sommer und SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierten in einer gemeinsamen Erklärung die Entwicklung im Niedriglohnbereich. "Im Namen von Flexibilisierung und Deregulierung wurden Schutzmauern eingerissen, die gerade für Menschen mit geringerer Qualifikation unverzichtbar sind." Es war das erste gemeinsame Papier zur Arbeitsmarktpolitik seit Jahren. An den Mai-Kundgebungen unter dem Motto "Faire Löhne, gute Arbeit, soziale Sicherheit - das ist das Mindeste" nahmen bundesweit mehr als 400000 Menschen teil, und damit etwas weniger als vor einem Jahr.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kündigte am Wochenende mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit und Lohndumping an. Dies gelte vor allem für den Bau, die Gebäudereinigung, die Pflegebranche und die Gastronomie. Zuständig dafür sind die Bundesagentur für Arbeit, die Sozialversicherung und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in der Zollverwaltung. Dafür wurde bereits das Personal verstärkt. In diesem Jahr erhält die FKS 150 zusätzliche Stellen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will nach eigenen Angaben 2012 und 2013 jeweils weitere 100 feste Planstellen einrichten. Bei der Bundesagentur sei das Personal für die Kontrolle der Leiharbeit um 30 Prozent auf 100 Kontrolleure erweitert worden, sagte Schäuble der Bild am Sonntag.

Die Arbeitgeberverbände und die Industrie sehen die Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts positiv. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Unternehmen stehen zunehmend vor der Herausforderung, dass Fachkräfte rar werden und Arbeitsplätze schwieriger besetzt werden können." Die volle EU-Freizügigkeit sei deshalb eine Chance. Driftmann rechnet jedoch nicht mit einer großen Zuwanderungswelle. "Viele gute Leute, die sich verändern wollen, sind schon längst in EU-Länder gegangen, die ihre Arbeitsmärkte früher geöffnet haben. Denn selbst wenn Deutschland für viele ein interessanter Arbeitsort ist - auch unsere Nachbarn brauchen gute Leute und werben deshalb um kluge Köpfe", sagte er. Auch die Sprachbarriere sei nicht zu unterschätzen.

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