Zwischen zwei Flügen:Das "Wetten, dass . . . ?"-Tagebuch der Alicia Keys

Schnee in Klagenfurt, Hektik im Idefix-Weg und Musik im deutschen Fernsehen: Wie die 23-jährige Sängerin den Samstagabend erlebte.

Von Christoph Koch

Eigentlich mag Alicia Keys den Schnee. Als sie am Samstag um 13:30 Uhr den Privatjet verlässt, der sie von Stockholm ins österreichische Klagenfurt gebracht hat, liegt eine Menge davon auf dem Rollfeld. Sie geht auf die vier Vans zu, die auf sie und ihre Entourage warten, hebt eine Handvoll auf und wirft den Schneeball auf ihren Tourmanager Carter, der aussieht wie Mr. T vom A-Team - nur noch größer und kräftiger. Carter lacht und klopft sich den Schnee von der Daunenjacke.

Gottschalk und Keys

Da lümmeln sie sich gemeinsam, der Thomas und die Alicia, und haben viel Spaß. Und weil Thomas brav war, darf er auch mal den Hut von Alicia aufsetzen.

(Foto: Foto: AP)

Am Abend wird Alicia mit ihrer Single "You Don't Know My Name" bei "Wetten, dass . . . ?" auftreten, ihr zweites Album "The Diary Of Alicia Keys" ist vor kurzem erschienen. Für ihr Debüt "Songs in A Minor" bekam sie vor drei Jahren Grammys und andere Musikpreise meist armladungsweise überreicht; die Mischung aus klassischem Pianosound, Soul und modernem R&B verkaufte sich weltweit über zehn Millionen Mal. Die New Yorkerin, die im Alter von fünf Jahren eine klassische Klavierausbildung begann, hatte das Glück, von der Managerlegende Clive Davis gefördert zu werden. Der 69-Jährige, der nicht nur Janis Joplin und Bruce Springsteen, sondern auch Whitney Houston und Sean "Puffy" Combs entdeckt hat, gab Alicia sowohl Zeit zur Entwicklung als auch völlige künstlerische Kontrolle über ihre Songs.

Erschlagen in Klagenfurt

Das Klagenfurter Luxushotel "Palais Porcia" erschlägt das Mädchen aus dem übel beleumundeten New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen beinahe: Tiefroter Samt, schwere Schnitzereitüren und Bilder in massiven Goldrahmen. Während es draußen jetzt immer heftiger schneit, gibt Alicia Keys Interviews. "Ich schreibe Tagebuch, seit ich denken kann", erzählt sie auf die Frage nach ihrem Albumtitel. "Es ist mir extrem wichtig. Ich habe nur sehr wenig Zeit für mich allein, und das Schreiben hilft mir, über mich selbst nachzudenken."

Die Journalisten fragen, ob sie manchmal auch in ihren alten Tagebüchern liest. "Natürlich - und meist ist es mir furchtbar peinlich, was dort steht. Als ich 13 war, habe ich seitenlang aufgeschrieben, was mir eine Freundin über Jungs erzählt hat. Dass man wie beim Baseball von erster Base und zweiter Base spricht, wenn man erklären will, wie weit man mit einem Jungen gegangen ist. Total albern, aber damals gab es nichts Wichtigeres für mich."

Priorität Klavierspielen

Eine Sache war jedoch stets wichtiger als Jungs: das Klavierspielen. "Ich hatte als Kind sehr viele Hobbys, Klavier war nur eines davon. Ich war im Schwimmverein, habe gemalt und so weiter. Irgendwann wurde mir das zu viel. Meine Mutter sagte damals zu mir, ich dürfe alles aufgeben und rumhängen, solange ich nur weiter Klavier spielen würde." Mutter Keys ist auch auf der zweiwöchigen Promotour durch Europa dabei, deren letzte Station der Auftritt bei "Wetten, dass . . . ?" ist. Sie mahnt zum Aufbruch: "Um 17 Uhr müssen wir da sein, laut Plan brauchen wir 13 Minuten."

In der Messehalle von Klagenfurt hat Europas größte Fernsehshow Quartier bezogen. Hinter der Bühne, die viel kleiner ist, als man es vom Fernsehen vermutet, ist ein Containerdorf aufgebaut. Jeder Künstler hat ein eigenes kleines Haus. Die Wege dazwischen tragen Namen wie "Pit-Fischer-Allee" oder "Road To Infinity". Alicia und ihre Band wohnen im Idefix-Weg 4-6. Eine Straße weiter klagt Fred Durst von Limp Bizkit, der am Abend auch auftreten wird, einem österreichischen Journalisten sein Leid. Er habe sich nicht rechtzeitig eine Frau gesucht, jetzt sei er zu alt und niemand wolle ihn mehr.Jemand aus Dursts Reisegruppe schimpft unterdessen sehr ausdauernd in ein Mobiltelefon. Claudia Schiffer wird von einer Begleiterin an ihren wirklich sehr dünnen Armen den Idefix-Weg entlang geschoben, auch neben ihr reden Menschen hektisch in Telefone. Die Schneefälle über Klagenfurt werden immer stärker. Es ist nicht klar, ob die Straßen nach der Sendung befahrbar sind. Jeder versucht, seine Abreise zu organisieren.

Der Schnee hat aber auch etwas Gutes: Die als Wettpatin eingeplante russische Opernsängerin Anna Netrebko sitzt in Italien fest, und Alicia, die ursprünglich nur als Musikgast eingeladen war, soll einspringen und sich zu Thomas Gottschalk aufs Sofa setzen. Sie ist aufgeregt: "Das finde ich lustig. Ich habe nicht genau verstanden, um was es geht. Ich glaube, um die deutschen Charts."

Vor einer Woche war sie bei Stefan Raab. Daran hat sie gute Erinnerungen: "Ich dachte zuerst, das wäre eine ganz normale Late Night Show, wie ich sie aus den USA von Jay Leno kenne. Aber als mich dieser Typ dann mit so einer kleinen Bühne ins Studio gefahren und mit mir zusammen gesungen hat, wusste ich: Das ist eine etwas schrägere Show." Man merkt, dass es eine Menge braucht, bis Alicia etwas Schlechtes über eine Person sagt. Und dass gar nicht so viele Schnee fallen und so viele Planänderungen passieren können, dass sie ihre gute Laune verliert. "Es gibt nur eine Sache, die mich wütend macht: Wenn mir Fotografen Bilder schicken, auf denen sie mich mit Computerprogrammen schlanker und modelähnlicher gemacht haben, kriege ich zu viel. Ich will nicht, dass an mir herumgeschnibbelt wird, ich bin zufrieden mit mir, so wie ich bin."

Bei der Probe lässt der Schlagzeuger einen Beckenständer nach dem anderen abbauen: "Sonst sieht mich ja keiner", sagt er. "Das ist auch gut so, denn du bist ja nicht mein echter Drummer", ruft Alicia zurück. Sie hat recht, denn der echte Schlagzeuger spielt Bass, der Bassist spielt Keyboards, der Gitarrist ist gar nicht erst dabei. Egal, denn die Musik kommt vom Band. Nur Alicias Stimme ist in der Sendung live zu hören.

Nach der Probe geht es zurück in den Idefix-Weg: Haare richten und Make-up auftragen. Dazwischen beantwortet Alicia noch einmal Interview-Fragen. Zum Beispiel, ob sie auf dem neuen Album andere Themen behandele, als auf ihrem Debüt: "Eigentlich nicht", sagt sie und ist damit vielleicht die erste Künstlerin, die nicht den Refrain vom ständig Neuen anstimmt. "Natürlich hat sich mein Leben in den letzten drei Jahren radikal verändert. Aber selbst mit fünf Grammys und einem guten Kontostand fühlt es sich nicht schön an, von jemandem enttäuscht zu werden. Und wenn man frisch verliebt ist, ist man immer unendlich glücklich - ob man jetzt in Fernsehshows auftritt oder nicht. Meine Themen haben sich also nicht groß geändert."

Dass die Sendung begonnen hat, bemerkt Alicia gar nicht richtig, denn im Containerdorf gibt es Abendessen. Danach will sie alleine sein. Ihr Tourmanager Carter baut sich vor der Tür auf. Sie setzt sie sich an das eigens für sie installierte Keyboard. Nur vereinzelt dringen Geklimper und Gesangsfetzen nach draußen, wo die Band belustigt den Auftritt von Fred Durst beobachtet. Einer lacht über dessen Mode-Irokesenschnitt: "Das ist bestimmt ein deutscher Imitator."

Um kurz vor zehn Uhr ist es soweit: Alicias Auftritt. Danach bittet Thomas Gottschalk sie auf die Couch. Da sie bis zur letzten Minute vor dem Auftritt Klavier gespielt hat, ist Alicia den Weg vom Container zur Bühne gerannt und glänzt jetzt verschwitzt im Scheinwerferlicht. Ihre Visagistin ist extrem aufgeregt - muss aber hinter der Bühne warten, bis Gottschalk die Couch verlässt. Erst dann kann sie Alicia von den Kameras unbemerkt nachschminken. Bei der Wette, für die Alicia Pate steht, geht es tatsächlich um die deutschen Charts: Ein Bürokaufmann behauptet, alle deutschen Nummer-Eins-Hits seit 1960 benennen und ihnen das genaue Datum zuordnen zu können. Alicia traut ihm das zu. Gottschalk weist darauf hin, dass sie selbst noch keine Nummer Eins in Deutschland hatte. Dann geht's los: Von "Es Ist Geil, Ein Arschloch Zu Sein" bis "Ich Wünsch' Mir Eine Kleine Miezekatze" werden alle Niederungen des deutschen Liedguts erkannt.

"Kein Wunder, dass ich bei euch keinen Nummer-Eins-Hit hatte: Ihr habt echt crazy shit in euren Charts", sagt Alicia lachend nach der Sendung. Hinter der Bühne erbittet beinahe jeder - vom Feuerwehrmann aus Klagenfurt bis zu Jessica Schwarz - ein Autogramm von ihr. Das Auto zum Klagenfurter Flughafen wartet schon. Zum Glück hat Thomas Gottschalk diesmal nicht überzogen, denn der Jet darf nur bis 23:30 Uhr starten. Und übermorgen beginnen in New York bereits die Proben für die zweimonatige Tour, die Alicia mit Missy Elliot und Beyoncé Knowles absolvieren wird. Der Wetterbericht meint es gut: In New York liegt kein Schnee.

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