Zwei Deutsche gegen Chinas Fuselkultur:Denn Wein ist keine Schnapsidee

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Literweise Herzblut, unbeschnittene Neugier - wie ein Sachse und ein Bayer den Bauern in der Wüstenprovinz Gansu den Rebensaft nahe bringen.

Von Kai Strittmatter

Zhoujiacun - Durstiges Land ist das hier. Aus dem Löss gegraben: fruchtbar, aber regenarm. Auf einem Feld oberhalb des Dorfes kniet der Deutsche mit dem weißen Bart und der Mission, deutet auf die in erdiges Ocker gekleidete Landschaft. "Franken!", murmelt er: "Provence!"

"Eure junge Generation, die schmeckt schon den Unterschied" - der Winzer Hans-Joachim Holler mit Dorfvorsteher Zhou Louge, der die Stöcke bewacht. (Foto: Foto: Kai Strittmatter)

Wartet nur ab, sagt sein Blick. Noch ist das hinterstes China, das Stück Erde, auf dem Hans-Joachim Holler jetzt kniet. Er lässt seinen Blick schweifen über die Winterbrache, nimmt prüfend einen der meterlangen Triebe zwischen die Finger. "Syrah-Stöcke", sagt er, und dann: "Irre." Könnten Mordsfrüchte tragen diesen Herbst.

Zhoujiacun heißt das Dorf. Es liegt in einem Flusstal am Rande der Wüstenprovinz Gansu, die zum letzten Male von Bedeutung war, als hier die Seidenstraße durchzog, vor etwa eineinhalb Jahrtausenden also.

An einem Flecken, dessen Menschen sich ihre Tatkraft stets sparten für die tägliche Plackerei, so dass für die Poesie nicht mehr viel übrig blieb. Also nannten sie ihren Weiler schlicht "Dorf des Zhou-Clans", weil, logisch, hier die Zhous wohnen. Das Dorf gehört zur Gemeinde "Kleine Quelle", die im Kreis "Klares Wasser", Qingshui, liegt: durstiges Land.

Das Dorf der Zhous thront auf einem meterhohen Löss-Sockel und ragt wie ausgestanzt aus der Talsohle heraus. Das Einzige, was hier bislang floss, war der Ochsenkopffluss, ein träges Gewässer. Und der Schnaps. Es mag in China noch immer Dörfer geben, die das ganze Jahr kein Stückchen Fleisch zu Gesicht bekommen-ein Dorf ohne Schnaps wird man nicht finden.

Behördliches Kampftrinken

"Da können Sie drin baden", sagen der Herr Holler und der Herr Seebauer. Sie tragen beide weiße Bärte, stammen beide aus Deutschland, und es eint sie noch mehr: Sie sind gekommen, dem Schnaps in China so viele Trinker wie möglich abspenstig zu machen.

Ob das einfach wird? Die Allgegenwart des Rivalen verrät sich in manchen Gesichtern, demjenigen des dicken Forstbeamten Wang Tianxing zum Beispiel, der es sich schnaufend auf dem Kang, dem beheizbaren Ofenbett eines Bauernhauses, bequem macht, während draußen die Bäuerin für den hohen Besuch eifrig Hundun kocht, gefüllte Teigtäschlein: Über die Wangen des Beamten zieht sich der gleiche rosafarbene Schimmer, in den die Winternachmittagssonne auch die aus Lehm gestampften Wände eintaucht.

Der aus Reis oder Hirse gebrannte, meist 40- bis 60-prozentige "baijiu", der "weiße Alkohol", ist oft ein teuflischer Fusel, aber traditionell das populärste Rauschmittel in China. Vor allem Kader der unteren und mittleren Ebene sehen in ihm noch immer ein Grundnahrungsmittel, zum Schrecken ausländischer Besucher, die nur selten sich dem strengen Brauch des "quanjiu", des "Zum-Saufen-Überredens" zu entziehen vermögen, der hier schon die Mittagessen dominiert.

Hat offenbar ein Faible für Rotwein: Ex-Premier Li Peng (Foto: Foto: AP)

Die Regierung in Peking findet solch behördliches Kampftrinken schon länger nicht mehr gut, vielleicht beteuern die örtlichen Honoratioren deshalb einer nach dem andern, sie tränken wirklich "kaum noch" Schnaps. Der schnaufende Forstbeamte Wang ruft gar aus, bei seiner Seele, er habe ihn völlig gestrichen, den Schnaps, der nämlich und kein anderer habe ihn krank gemacht, was man ihm sofort glaubt.

Und als Wang anfügt, er sei nun auf Rotwein umgestiegen, der sei schließlich gesund, da freut man sich für ihn und für das Projekt, zu dessen Besichtigung man angereist ist. Nur am Schluss ist man ein wenig irritiert, als man nach der Industrie in der Gemeinde fragt. Leider gäbe es nur einen einzigen Betrieb in der Umgebung, berichten die Herren. Was für ein Unternehmen das denn sei? Nun, entgegnen sie nicht ohne Stolz: eine Schnapsdestillerie.

Pittoreske Rückständigkeit

Bauernland also, so arm, dass das magere Einkommen bislang nicht einmal für die weißen Kachelbauten gereicht hat, gegen die die Bauern anderswo in China ihre traditionellen Häuser eingetauscht haben und die ganze Landstriche aussehen lassen wie eine einzige nach außen gekehrte öffentliche Toilette. Nicht hier. Ziegelgedeckte Lehmhäuser unter verwachsenen Kakibäumen. Manche Bäume tragen am Stamm gelbe Schürzen aus getrockneten Maiskolben, darüber schwere Gehänge aus frisch geernteten Kakis in leuchtendem Orange.

An manchen Türrahmen ein überraschendes Feuer werk: rote Büschel trockener Chilischoten. Pittoreske Rückständigkeit, auf die nun dieser Deutsche mit dem weißen Bart und dem Filzhut deutet und einmal mehr sagt: "Ein fränkisches oder provencalisches Weindorf hier. Stellen Sie sich vor!"

Bevor man Hans-Joachim Holler einen Verrückten schilt, sollte man wissen, dass Holler Winzer ist. Mit Weinbergen in Franken und in der Provence. Dass der gebürtige Sachse zudem die Welt befahren hat und über die Kartoffel ebenso Bescheid weiß wie über die Weintraube, da er seit Jahrzehnten in der Entwicklungshilfe arbeitet.

Wo er 1989 den Bayern und Forstexperten Manfred Seebauer kennen lernte; gemeinsam verhalfen sie damals indischen Bauern im Bundesstaat Maharaschtra zu Kleinkrediten. Heute, 16 Jahre später, wollen die beiden den Wein in Chinas Hinterland bringen. Und sie haben keinen schlechten Zeitpunkt gewählt: China ist gerade dabei, Geschmack zu finden an dem fremden Getränk.

Der Premier ließ Rotwein bei Staatsbanketten auffahren

Es ist nicht so, als ob man die Weinrebe und ihren Saft nie gekannt hätte in diesem Land. Gerade entlang der Seidenstraße genossen Chinesen schon zu Zeiten der kosmopolitischen Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.) Traubenwein aus Zentralasien. Bald jedoch geriet er wieder in Vergessenheit, und es ertränkten Chinas Bauern, Kameltreiber, Taxifahrer und Poeten Kummer und Freude lieber im schnell wirkenden Reisschnaps.

Dass China den Wein wieder entdeckte, schreibt die Legende dem ehemaligen Premier Li Peng zu, der Mitte der Neunziger erstmals Rotwein bei Staatsbanketten auffahren ließ und keine Gelegenheit ausließ, die gesundheitsfördernde Wirkung des Stoffes zu preisen, was Eindruck machte bei dem Volk, das seit alters her alle Nahrung auf ihre medizinische Tauglichkeit abklopft.

Li Peng soll auch der Erste gewesen sein, der sich Essig in den Wein goss, was diesen angeblich noch gesünder machte und im ganzen Land nachgeahmt wurde, außer von jenen, denen Rotwein an sich schon eine zu saure Angelegenheit war: Diese Leute gewöhnten sich an, ihr Fläschlein Bordeaux mit Sprite und Zitronenscheiben zu veredeln, was den weiteren Vorteil hat, dass man doppelt so vielen Gästen einschenken kann.

Heute gilt Weintrinken nicht nur als gesund, sondern bei der städtischen Mittelschicht auch als schick, und allein im Jahr 2003 stiegen die Weinverkäufe um 25 Prozent auf 61 Milliarden Yuan (sechs Milliarden Euro).

In China selbst wird schon seit Jahren angebaut, auch mit französischer Hilfe. Den Markt teilen sich Marken wie "Great Wall", "Dynasty" oder "Changyu", die zwei Dinge gemeinsam haben: Erstens produzieren sie Wein, der mittlerweile zwar trinkbar ist, mit dem aber noch immer kaum ein Europäer zum Geburtstag anstoßen würde.

Und zweitens sind es fast alles riesige Staatsfarmen. "Die wollen wir schlagen", sagt Holler. "Wir wollen besser sein als das, was sie hier im Flugzeug servieren." Raum für wachsende Nachfrage ist da: bei nur 0, 22 Liter pro Kopf und Jahr liegt der Weinkonsum in China - die Deutschen trinken fast 100 Mal so viel, und selbst die Japaner kommen noch auf drei Liter pro Kopf.

Arm im Reich des Booms

Holler und Seebauer wollen hier nicht nur guten Wein anbauen, der sich von der Massenware der Staatsfarmen absetzt, sie wollen gleichzeitig den Bauern helfen. Und deshalb etwas für China Ungewöhnliches ausprobieren. Ihre Vision: In einigen Jahren soll im Kreis Qingshui eine Weinbauregion nach europäischem Muster entstehen, mit selbstständigen Weinbauern, kleinen, konkurrierenden Weinbergen, Tourismus und Gastronomie.

Ihr eigener Weinberg soll den Anfang machen und Modell für die Dorfbauern zugleich sein. Gleichzeitig sollen die kahl geschlagenen Hänge wieder aufgeforstet werden, sollen Schutzwälder entstehen, Sanddorn, Walnussbäume und Eichen nutzbar gemacht werden.

Seebauers Agentur GWB (Gesellschaft für Walderhaltung und Waldbewirtschaftung) legte das Konzept der deutschen Entwicklungshilfebank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) vor. Die KfW lehnte ab. Da standen sie dann, der 57-jährige Forstexperte und der 63-jährige Winzer, kurz vorm Ruhestand, und sagten sich: Trotzdem. Beschlossen, das Ding einfach selbst durchzuziehen.

Manfred Seebauer ist seit mehr als zehn Jahren als Entwicklungshelfer in Chinas Armutsgebieten tätig, als Berater bei Aufforstungsprojekten. Seebauer und Holler halten beide mit ihrem Frust über die staatliche Entwicklungshilfe nicht hinterm Berg, Frust, der sich aus den Erfahrungen ihrer Arbeit speist, aber auch aus der Ablehnung ihres "Wein-und-Wald"-Projektes.

Man spürt den Trotz, aber auch das Herzblut in den Worten, wenn sie erzählen, wie sie nach der Absage der KfW beschlossen, das Projekt selbst anzupacken. Ein Geschäft soll es nun werden und eine Region verändern dazu.

"Viel, viel, viel und groß, groß, groß"

Chinas Bauern fällt eine Schlüsselstellung zu bei der Modernisierung des Landes. Eine Heidenangst hätte er, wenn er hier Politiker wäre, sagt Holler: Vielen Bauern geht es schlecht im Reich des Booms. Die meisten leben von der Hand in den Mund. Jahrelang hat die Regierung ihnen den Obstanbau ans Herz gelegt, um ihr Einkommen zu verbessern.

Nun ertrinkt der Markt in Äpfeln und Pfirsichen, und die Preise sind im Keller. "Beim Weinanbau gibt es eine höhere Wertschöpfung für die Bauern", sagt Seebauer: "Außerdem hängt da eine ganze Industrie dran." Das Schöne am Wein sei, meint Winzer Holler, dass sein Anbau keine große Kunst sei und er gerade auf kargen Böden gut wachse. "Und alle Maschinen gibt es auch in klein. Ohne dass der Wein schlechter würde."

Wenn in ein paar Jahren 50 Hektar zusammenkämen, das fände Holler schön. Mehr als 5.000 Liter Wein pro Hektar und Jahr sollen es nicht werden, damit die Qualität stimmt. Der behutsame Ansatz der beiden Deutschen löst auch bei den noch in der Planwirtschaft geschulten örtlichen Kadern manchmal Verwunderung aus. "Die haben hier am liebsten 'viel, viel, viel!' und 'groß, groß, groß!'", sagt Holler. Schnell, schnell, schnell soll es zudem gehen, die Ungeduld hat Heimat gefunden im neuen China. "

Aber einen Weinberg anzulegen ist etwas anderes, als eine Fabrik zu bauen", sagt Holler. Manchen Stolperstein galt es zu umgehen. Als sie 2002 ihre 4600 Rebstöcke aus Frankreich einführten, da hatten sie sich für die Einfuhr alle Stempel des Pekinger Forstministeriums besorgt - und dennoch wurde die kostbare Fracht an der Grenze gestoppt: Sie hatten vergessen, das Landwirtschaftsministerium um Erlaubnis zu fragen.

17 verschiedenen Bauern mussten sie ihr Land abschwatzen, bis der eine Hektar zusammenkam, den sie bislang als Versuchsgelände bewirtschaften. Holler läuft durch die mit Betonpfosten und Draht abgeteilten Reihen, bewundert den gedeihenden Syrah, schenkt dem Grenache noir ein paar traurige Blicke ("viele erfroren") und tätschelt die Merlot-Stöcke.

Stets zwei Schritte hinter ihm ein Chinese mit blauer Kappe. Das ist der Vorsteher des Zhou-Clan-Dorfes, er heißt, wie könnte es anders sein, Zhou und bewacht den Weinberg das Jahr über. Zhou Louge hat also den ersten Schritt zum fränkischen Weinbauern schon getan, ein paar andere hat er noch vor sich. "Zhou!", Holler deutet auf den Riesling: "Bitte die hier beim nächsten Mal nicht mehr bis oben hin mit Erde begraben!"

Maisbrei mit Riesling

Diesen Herbst schon soll es die erste Ernte geben. In einen kleinen Wald von Kakibäumen sollen Kelterei und Gaststätte gebaut werden - doch dazu müssen Holler und Seebauer erst weitere Investoren finden. 400.000 Euro fehlen ihnen noch. Die Bauern im Dorf sind auch deshalb zurückhaltend: "Wenn die Fabrik einmal steht", sagt Dorfvorsteher Zhou, "dann haben sie Vertrauen, dann werden alle mitmachen wollen."

Später, beim Teigtaschenessen, erzählt Zhou vom Dorf. 1178 Menschen leben hier offiziell, in Wirklichkeit sind es 400 weniger: Die Jungen sind alle fort, ins eine halbe Tagesreise entfernte Xi'an als Kindermädchen, in den Süden in die Textilfabriken, bis nach Schanghai haben es welche geschafft, um dort auf dem Bau zu arbeiten. Was sollten sie auch hier? Viel mehr als 700 Yuan, rund 70 Euro, erzählen die Zurückgebliebenen, verdiene hier kaum einer.

Im Jahr. Das ist nicht einmal ein Drittel der ohnehin schon kärglichen Summe, die Chinas Statistiken als durchschnittliches Bauerneinkommen angeben. "Unseren Weizen essen wir selbst, unseren Mais machen wir zu Maisbrei", sagt Vorsteher Zhou. "Da bleibt nix übrig."

Immerhin, für eine wackelige Satellitenschüssel hat es bei einigen Familien gereicht: Sie sehen gern die historischen Seifenopern im TV, die von Kaisern und Hofdamen und intriganten Eunuchen erzählen. "Und beim letzten Frühlingsfest", erzählt Jungbauer Zhou Youji stolz, "haben wir bei uns zu Hause sogar ein Schwein geschlachtet. 30 Leute haben davon gegessen!"

Was sie denn dazu getrunken haben? Auch Wein? "Ja!", Zhou Youji strahlt: "Ein Verwandter hat eine Flasche aus der Stadt mitgebracht. Dann haben wir Wein und Bier und Schnaps durcheinander getrunken. Es war sehr lustig."

"Wein macht schön"

Beim Abendessen packt Hans-Joachim Holler eine Flasche "Rottenberger Gräfenstein" aus: Riesling vom eigenen Weinberg in Franken. "Eine feine Säure, der Riesling, den bringen wir hierher, das schmeckt den Chinesen", sagt er. Holler schenkt allen ein, Deutschen und Chinesen am Tisch. Holler spricht vom Kreuzzug gegen die Schnapskultur. "Das erste, was man hier erklären muss, ist, dass man sein Glas Weißwein nicht auf einen Schluck hinunterkippt."

Er wendet sich an seinen Übersetzer Zhang Weibing: "Es gibt guten Alkohol und schlechten Alkohol, auch beim Schnaps", erklärt Holler: "Ich denke, eure junge Generation, die schmeckt schon den Unterschied." Oh ja, pflichtet der Übersetzer eifrig bei, die jungen Leute, die könne man bestimmt auch für guten Wein begeistern. "Wissen Sie", führt er bekräftigend aus, "die mögen auch sehr gerne McDonald's und Pizza Hut."

Man prostet sich zu. Der Fahrer vom Forstamt hebt zögerlich sein Gläslein goldglänzenden "Rottenberger Gräfenstein". Dann stürzt er es hinunter, schnalzt mit der Zunge. "Wein macht schön", sagt er, und er sagt es mit fachmännischem Ernst.

© SZ vom 17.03.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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