Süddeutsche Zeitung

Zwangsheirat:Im Namen der Ehre

Eine 15-Jährige soll in Berlin zwangsverheiratet, eine 14-Jährige für 15.500 Euro Brautgeld verkauft worden sein. Der Staat reagiert - und will Strafgesetze verschärfen.

Constanze von Bullion, Berlin

Fatima M. soll jetzt also sehr verliebt sein in diesen jungen Mann, von dem sie vor kurzem noch gesagt hat, sie kenne ihn nicht und wolle ihn nicht heiraten. Fatima M. möchte jetzt auch unbedingt zu ihm nach Berlin ziehen, obwohl sie erst 15 Jahre alt ist, in Hamburg bei ihren Eltern gelebt hat und aufs Gymnasium gegangen ist.

Schon möglich, dass alles nur ein Missverständnis war, dass die Schülerin nur auf sich aufmerksam machen wollte, als sie ihrem Klassenlehrer in Hamburg per Internet einen Hilferuf schickte, in dem stand: "Ich komm hier nicht weg, ich werde eingesperrt."

Einen Tag später schickt das Mädchen einem Freund mehrere Notrufe aufs Handy. Man habe sie nach Berlin verschleppt zu einer fremden Familie. Die Polizei wird aktiv, weil es so aussieht, als werde da ein Mädchen von seiner serbischen Familie zwangsverheiratet. Ein Sonderkommando holt Fatima M. in Berlin aus der Wohnung, in der sie mit ihrem Jahre älteren "Bräutigam" Nebosja R. und seinen Eltern wohnen soll. Nach mehreren Gesprächen mit der Polizei und dem Hamburger Jugendamt, zu denen die Mutter das Mädchen bringt, versichert es, weder zwangsverheiratet noch vergewaltigt worden zu sein. Man glaubt ihm, muss ihm glauben, es will zurück nach Berlin. Angeblich hat die Vermählung schon stattgefunden, samt Hochzeitsnacht und Prosit auf das blutige Leintuch.

Schon möglich, dass Fatima M. sich mit ihren Hilferufen nur wichtig machen wollte. Möglich auch, dass sie lieber mit Nebosja R. lebt als gar nicht mehr.

Eine Geschichte ist das, die es einem schwer macht, nicht anzunehmen, dass da ein Mädchen versucht hat, einer Zwangsheirat zu entkommen, aber im letzten Moment nicht die Kraft aufgebracht hat, die eigenen Eltern vor der gesamten Familie zu blamieren und abzutauchen - um dann allein dazustehen.

In Hamburg ermittelt jetzt der Staatsanwalt, und auch in Berlin schlägt der Fall Wellen. Hier wurde kürzlich schon eine Ehe bekannt, bei der ein 14 Jahre altes kurdisches Mädchen von ihren Eltern für 15500 Euro Brautgeld weitergereicht worden war wie ein Möbelstück. Die Behörden haben das weder verhindern noch bestrafen können. Jetzt ist sie schwanger und wieder bei den Eltern. Ihr Mann soll sie verprügelt haben.

Dass die Justiz oft wenig ausrichtet gegen patriarchalische Familien will die Politik ändern. Im Februar hat der Bundesrat einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der das Erzwingen einer Ehe zum eigenen Straftatbestand machen soll. Bisher wird dies als besonders schwere Nötigung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, künftig sollen es bis zu zehn Jahre sein.

Familienministerin Kristina Schröder sagte am Donnerstag der Zeitung B.Z., sie sei zuversichtlich "dass wir nach jahrelanger Diskussion das Strafgesetz entsprechend ändern werden". Die Regelungen seien "noch nicht stark genug". Der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kiliç widersprach. "Wenn die Politik von der eigenen Unzulänglichkeit ablenken möchte, neigt sie in der Regel dazu, an den Strafgesetzen zu schrauben", erklärte er. Sinnvoller sei es, auf Opferverbände zu hören und die Schutzprogramme zu verstärken.

Von den Eltern abgeschoben

Myria Böhmecke leitet bei der Organisation Terre des Femmes Berlin das Referat, das sich mit Gewalt im Namen der Ehre befasst. Zwischen 150 und 200 Mädchen melden sich jedes Jahr hier, weil sie gegen ihren Willen verheiratet oder ins Ausland verschleppt werden sollen. "In den meisten Fällen wurde bereits massive Gewalt angewandt", sagt Böhmecke. "Wir kriegen oft Hilferufe von Minderjährigen und stellen dann fest, dass sie wankelmütig werden. Sie sind abhängig von ihren Eltern, sie lieben sie und wollen ihnen keine Schande antun." Oft reißt der Kontakt plötzlich ab.

In der Mehrheit der Fälle haben die Eltern dann nicht nachgegeben, sondern der Tochter das Handy abgenommen, den Zugang zum Internet versperrt oder sie ins Flugzeug gesteckt, nimmt Myria Böhmecke an. Ist das Mädchen im Ausland, kann die deutsche Justiz nichts mehr ausrichten. Das wäre womöglich anders, wenn die Zwangsehe als eigener Straftatbestand ernster genommen würde und zum Katalog der Strafen gehörte, die international verfolgt werden, meint sie. "Das hätte eine Signalwirkung." Dringlicher noch aber sei es, Schülerinnen aufzuklären, was bevorstehen kann, wenn sie sich am Ende solcher Konflikte fügen. "Vielen ist gar nicht bewusst, dass eine Zwangsverheiratung oft einhergeht mit massiver Gewalt."

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Quelle:
SZ vom 07.05.2010
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