Zum Tod von Christian Führer:Friedlicher Revolutionär

Lesezeit: 2 Min.

Der einstige Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, steht am 09.10.2013 vor der Kirche in Leipzig. (Foto: dpa)

Er öffnete die Nikolaikirche in Leipzig für Friedensgebete, wurde Anlaufstelle für Gegner des SED-Systems und hieß alle willkommen - selbst Stasi-Mitarbeiter: Der Pfarrer Christian Führer ist nach schwerer Krankheit im Alter von 71 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Von Jens Schneider

Er selbst war es, und seine Kirche im Herzen von Leipzig war es: offen für alle Menschen, die Beistand und Unterstützung suchten. Pfarrer Christian Führer fragte nicht, ob einer ein frommer Protestant war oder vielleicht gar nicht an Gott glaubte. Wer an seinen Friedensgebeten und Gesprächsabenden teilnehmen wollte, war ihm willkommen.

In die Nikolaikirche kamen damals Menschen, die es in der DDR nicht mehr aushielten und ausreisen wollten; und andere, die gegen das bleierne SED-System endlich ihre Stimme erheben, bleiben und das Land verändern wollten.

So wurde Führer zu einem der wichtigsten Protagonisten der friedlichen Revolution in der DDR, die Nikolaikirche zu einer Insel der Widerständigen. Er ist am Montag, nach schwerer Krankheit, im Alter von 71 Jahren in seiner Heimatstadt gestorben.

Aus der Nikolaikirche heraus entwickelten sich die Montagsdemonstrationen mit ihrem Motto "Keine Gewalt!", die so viel dazu beitrugen, dass der bröckelnde Staat zusammenbrach. Führer war 1980 an die Kirche gekommen, seit dem September 1982 lud er zu ersten Friedensgebeten.

Die Stasi setzte mehr als ein Dutzend Spitzel auf ihn an. Sie bedrängte die Gemeinde, die Friedensgebete abzusetzen oder an den Stadtrand zu verlegen. Er hatte Angst, das verhehlte Führer später nicht. Aber der Pfarrer, stets in einer markanten Jeansweste gekleidet, blieb beharrlich, ohne sich wie ein Anführer zu gebärden.

Am Anfang waren es wenige Mutige, die aus der Kirche heraus demonstrierten. Die Staatsmacht verhaftete die kleinen Gruppen. Aber die Zahl der Teilnehmer wuchs.

Seine Kirche war "offen für alle" - selbst für Stasi-Mitarbeiter

Am 9. Oktober 1989 kamen zum Friedensgebet Hunderte SED-Genossen und Stasi-Mitarbeiter, um bedrohlich ihre Macht zu demonstrieren. Führer hieß sie willkommen in der Kirche. Später sagte er: "Ich habe es immer positiv gesehen, dass die zahlreichen Stasileute Montag für Montag die Seligpreisungen der Bergpredigt hörten." Auch da glaubte er an die Wirkung des Evangeliums.

Als die Menschen aus der Kirche kamen, warteten draußen Zehntausende. Sie hatten Kerzen in den Händen. Friedlich zogen sie um den Leipziger Innenstadtring. Viele befürchteten eine blutige Staatsaktion, doch die SED kapitulierte an diesem Abend vor der Masse der Friedfertigen.

Nach dem Ende der DDR wurde Führer oft gewürdigt, erhielt Auszeichnungen. Das ehrte ihn, aber zufrieden zur Ruhe setzen mochte er sich deshalb nicht. Er sah sich weiter zuständig für Menschen, die Hilfe brauchten. Weiter stand am Eingang der Nikolaikirche auf einem Schild "Offen für alle".

Führer, der 2008 in den Ruhestand ging, kümmerte sich in den wirtschaftlich schwierigen Jahren um Arbeitslose, er stellte sich entschieden gegen den Rechtsextremismus. So blieb der Mann, der half, die DDR aus den Angeln zu heben, ein engagierter Gemeindepfarrer, der weit über seine Gemeinde hinaus wirkte.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: