Zugunglück:Der falsche Knopf

Im Bad-Aibling-Prozess erklären Bahn-Experten das etwas komplizierte Notrufsystem.

Von Annette Ramelsberger, Traunstein

Der Zeuge Oliver T. ist erst 27 Jahre alt, aber er war am Tag des Zugunglücks von Bad Aibling Fahrdienstleiter, im nahen Bruckmühl. Er registrierte, wie kurz vor sieben Uhr morgens der Strom auf der Strecke nach Bad Aibling ausfiel, wie die Weichenheizung nicht mehr funktionierte. Dann kam der Anruf. Michael P. war dran, sein Kollege, der Fahrdienstleiter aus dem Stellwerk Bad Aibling. Und Michael P. rief ins Streckentelefon: "Die Kacke ist jetzt richtig am Dampfen." Er habe zwei Züge aufeinander fahren lassen. Michael P. habe auch etwas von einer Störung erwähnt und dass seine Nothalte-Rufe an die beiden Züge nicht angekommen seien.

Der Zeuge Oliver T. hat am Abend des Zugunglücks von Bad Aibling, am 9. Februar, ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Für seine wichtigste Aussage aber braucht er keine Gedächtnisstütze. Dafür reicht seine tägliche Erfahrung. Es geht um das Telefon, mit dem im Notfall die Zugführer erreicht werden sollen. Jenes Telefon, das der Angeklagte Michael P. zweimal falsch bedient hatte. Statt an die Zugführer, die auf der eingleisigen Strecke aufeinander zurasten, setzte der Fahrdienstleiter den Notruf an die Streckenarbeiter und andere Fahrdienstleiter ab. Der Befehl, sofort anzuhalten, kam nie bei den Zugführern an. Sonst wären die Züge noch zu stoppen gewesen und der Tod von zwölf Menschen zu verhindern, so steht es in der Anklage. "Würden Sie das System für den Notruf als eher kompliziert oder einfach beschreiben?", fragt ein Anwalt der Nebenkläger den Zeugen. Und der antwortet: "Ich finde, es sollte eine einfachere Lösung geben. Es besteht schon Verwechslungsgefahr."

"Es sollte eine einfachere Lösung geben. Es besteht schon Verwechslungsgefahr."

Ingenieure und Funkexperten der Bahn sagen am Montag vor dem Landgericht in Traunstein aus. Alle sprechen von Richtlinien, Regeln - an die sich der Angeklagte nicht gehalten habe. Sie berichten, dass der Notruf erst im September 2015 mit Michael P. geübt worden sei. Das Telefon habe funktioniert, Funklöcher gab es nicht. Aber ein Mitarbeiter der Eisenbahn-Unfall-Untersuchungsstelle des Bundes sagt auch: "Das Regelwerk der Bahn ist für den Nutzer nicht immer so einfach. Wenn Sie als Mensch einmal auf die falsche Schiene kommen, kann es passieren, dass Sie am Regelwerk vorbeidenken." So wie offensichtlich Michael P., der einen Fehler gemacht hat und danach weitere Fehler, um den ersten auszuwetzen. Der Bahnexperte sagt: "Mir stellt sich die Frage: Warum brauchen wir zwei Notruf-Systeme?" Die EU schreibe das nicht vor, die Bahn hat dafür eine eigene Genehmigung beim Eisenbahnbundesamt beantragt und erhalten. Die Bahn sagt, es gehe darum, dass Streckenarbeiter die Fahrdienstleiter informieren können, wenn Gefahr auf der Strecke drohe, etwa wenn ein Baum im Gleis liegt.

Der Vorgesetzte des Angeklagten nannte Michael P. übrigens "dienstlich vorbildlich, zuverlässig, pflichtbewusst, pünktlich". Nachlässigkeiten seien ihm nicht aufgefallen. Der Angeklagte hat allerdings zugegeben, an dem Tag über Stunden ein Spiel auf seinem Smartphone gespielt zu haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: