RegionalbahnWenn bei voller Fahrt plötzlich die Zugtür wegfliegt

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Eine Regionalbahn vom Typ Talent 2 von Bombardier (heute Alstom). Am Sonntag hat ein solcher Zug zwischen Mannheim und Heidelberg seine Tür verloren. Ernsthaft.
Eine Regionalbahn vom Typ Talent 2 von Bombardier (heute Alstom). Am Sonntag hat ein solcher Zug zwischen Mannheim und Heidelberg seine Tür verloren. Ernsthaft. (Foto: IMAGO/Markus Mainka/IMAGO/Aviation-Stock)

Die Studentin Theresa Smija sitzt gerade im Regionalzug, als der zwischen Mannheim und Heidelberg seine Tür verliert – und so kurz durch die Gegend fährt. Dann wird er evakuiert. Wie konnte das passieren?

Von Vivien Timmler, Berlin

Theresa Smija ist immer noch ein bisschen fassungslos, wenn sie davon erzählt. Eigentlich war sie mit dem Zug auf dem Weg zu einem Handballspiel, hatte sich gerade auf einen Viererplatz gesetzt und ihr Buch herausgeholt, da bemerkte sie ein ungewöhnlich lautes Windgeräusch. Doch noch bevor sie sich so richtig darüber wundern konnte, gab es einen Rumms. Der Zug fuhr da gerade mal ein paar Minuten. „Ich habe in meinem Leben noch nie so einen lauten Knall gehört“, sagt Smija. Kurz seien alle im Abteil in Schockstarre gewesen. Dann wurde Smija klar: Der Zug hat gerade eben ernsthaft seine Tür verloren.

Wie das passieren konnte, ist derzeit noch unklar. Das Bahnunternehmen SWEG Bahn Stuttgart, dessen Zug nun türlos in einer Werkstatt herumsteht, spricht von einem „Vorfall mit einem abgetrennten Türflügel“, der sich am Sonntag zwischen Mannheim und Heidelberg ereignet habe, und verweist ansonsten darauf, man könne aufgrund bundespolizeilicher sowie interner Untersuchungen gerade keine näheren Angaben zum Sachverhalt machen. Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung – natürlich gibt es in Deutschland dafür eine eigene Behörde – teilt mit, sie sei über das Ereignis informiert worden und prüfe nun, ob eine Untersuchung eingeleitet werde. Verletzte gab es keine.

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Die 23-jährige Studentin Smija ist da schon großzügiger mit den Details: Für sie habe es so ausgesehen, als sei die Tür des RE 10b komplett aus den Angeln gehoben worden. Alle im Abteil hätten sich schockiert angeschaut, niemand habe gewusst, wie es nun weitergehen solle. Die Leute seien aber ruhig geblieben, die Stimmung vergleichsweise gelassen gewesen, ganz nach dem Motto: „Herzlich willkommen im Bahnland Deutschland.“

„Wie, da fehlt ’ne Tür?“, soll der Lokführer gefragt haben, als ein Fahrgast vorn anrief

Ein Mitreisender sei dann aufgestanden und habe über das Leitstellentelefon den Lokführer angerufen. Der habe ihm aber kein Wort geglaubt. „Wie, da fehlt ’ne Tür?“, soll er zurückgefragt haben – während der Zug mit voller Geschwindigkeit weiterfuhr.

Nach einer gefühlten Ewigkeit – Smija glaubt, es seien immerhin zwei Minuten gewesen – sei der Zug dann doch zum Stehen gekommen. Tatsächlich haben es die Fahrgäste instinktiv genau richtig gemacht: Hätten sie in dieser Situation die Notbremse gezogen, wäre eine sogenannte Schnellbremsung eingeleitet worden. Es hätte einen großen Ruck gegeben und damit die Gefahr, dass im schlimmsten Fall jemand aus dem Zug hätte herausfallen können. Der Lokführer hingegen veranlasst eine sogenannte Vollbremsung, die nicht ganz so abrupt wirkt und somit weniger gefährlich für die Fahrgäste ist.

Als der Zug zum Stehen gekommen war, machte der Lokführer eine Durchsage. Es gebe gerade eine „größere technische Störung“, soll er gesagt haben. Minimale Untertreibung. Und er soll hinzugefügt haben: „Die Fahrgäste im vorderen Zugteil wissen Bescheid.“ Sarkastische Ansagen sind in den vergangenen, krisengeplagten Jahren zu einer Art Königsdisziplin von Bahnmitarbeitern geworden.

Es sollte dann noch eine gute Stunde dauern, bis sich der Zug wieder in Bewegung setzte. In Schrittgeschwindigkeit fuhr er ein paar Hundert Meter zurück zum Bahnhof Mannheim-Seckenheim. Dort wurde er offiziell „evakuiert“. Was in diesem Fall so viel bedeutet wie: Die Fahrgäste durften über den ganz normalen Bahnsteig einfach aussteigen.

Die Türlosigkeit des Zugs aus Fahrgast-Perspektive.
Die Türlosigkeit des Zugs aus Fahrgast-Perspektive. (Foto: Theresa Smija)

Doch eine Frage bleibt: Wie kann es überhaupt so weit kommen? An und für sich müssen Außentüren vor der Abfahrt eines Zuges in geschlossener Stellung verriegelt sein, und zwar so lange, bis sie wieder freigegeben werden, erklärt Professor Martin Cichon vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) am Karlsruher Institut für Technologie. „Die Freigabe kann nur bei Stillstand des Zuges erteilt werden“, sagt er. Das war beim Unfall am Sonntag ganz offensichtlich nicht der Fall.

Und tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass etwas Derartiges passiert: Im April 2010 sei zwischen Köln und Frankfurt schon einmal eine Außentür durch Sogwirkung aus der Verankerung gerissen worden, erinnert sich Cichon. Im Nachhinein habe man festgestellt, dass eine sogenannte Koppelstange falsch eingestellt und die Tür somit nicht ordnungsgemäß verriegelt worden sei.

Für die Studentin Theresa Smija ist die Unfallursache allerdings zweitrangig. Sie hat jetzt vor allem eines: eine gute Geschichte zu erzählen.

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