Zuckerfreie Lebensmittel:Bitter-süßer Kaugummi

Wer viel zuckerfreien Kaugummi kaut, schädigt womöglich seinen Körper: Der Konsum von zu viel Zuckerersatzstoffen kann krank machen.

Christina Berndt

Seit acht Monaten schon litt die 21-Jährige unter Durchfall und Unterleibsschmerzen. Inzwischen hatte sie 22 Pfund verloren, sie wog gerade noch 41 Kilogramm. Die Ärzte dachten schon, die junge Frau habe eine Colitis entwickelt, eine entzündliche Darmerkrankung.

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(Foto: Foto: dpa)

Doch die Spezialisten der Berliner Charité um Jürgen Bauditz und Herbert Lochs konnten im Darm nichts finden. Dafür fiel ihnen etwas Anderes auf: Die Patientin produzierte eine unglaubliche Menge Stuhlgang - 1,9 Kilogramm pro Tag; normal wären 250 Gramm.

Bald stellte sich die Ursache für das Unglück der Frau heraus: Sie kaute ständig zuckerfreie Kaugummis - im Schnitt 16 Stück pro Tag. Damit nahm sie rund 20 Gramm von dem Zuckeraustauschstoff Sorbit auf - viel zu viel, befanden die Ärzte.

Zuckeraustauschstoffe vs. Süßstoffe

Im British Medical Journal warnen sie nun vor einem derart starken Konsum an Zuckerersatz. Der scheint nämlich gar nicht so selten zu sein: Kurz nach der Frau mussten die Internisten einen 46-jährigen Berliner behandeln, der ebenfalls schwer Kaugummi-krank war; er kaute täglich 20 Streifen mit dem zahnfreundlichen, aber weniger darmfreundlichen Sorbit.

"Dass Stoffe wie Sorbit zu Durchfall führen, ist schon länger bekannt", sagt Herbert Lochs. "Aber eine Mangelernährung dieses Ausmaßes haben wir nun erstmals beschrieben." Weil der Dünndarm die Stoffe kaum aufnehmen kann, bleiben sie im Verdauungstrakt, binden dort Wasser und verflüssigen so den Stuhl.

Zuckeraustauschstoffe, zu denen neben Sorbit auch Mannit und Fructose gehören, sind nicht mit echten Süßstoffen zu verwechseln. Vielmehr handelt es sich um Kohlenhydrate - wie Zucker. Die Substanzen haben auch beinahe genauso viele Kalorien wie Zucker, während echte Süßstoffe wie Aspartam, Saccharin und Cyclamat kalorienfrei sind - und bis zu 3000-mal so süß. Diese Süßstoffe haben keine abführende Wirkung.

In Maßen gegessen, gelten beide Arten von Zuckerersatz heute als unbedenklich. Sie haben sogar einen klaren Vorteil - sie fördern keine Karies und werden deshalb so gerne in Kaugummis und Zahnpasta gemischt. Frühere Meldungen, Süßstoffe erzeugten Krebs, wurden nie bewiesen. "Das waren damals Studien an Ratten mit absurd viel Süßstoff", sagt Herbert Lochs. Ein Mensch müsste schon 10000 Tabletten essen, um eine vergleichbare Menge zu sich zu nehmen.

Ob die Substanzen wirklich beim Abnehmen helfen, wenn sie in verträglichen Mengen gegessen werden, ist aber auch nicht belegt. Ende der 1980er-Jahre berichteten zwei Briten, dass ihre Testpersonen über den Tag sogar mehr Kalorien verputzten, wenn sie zum Frühstück Joghurt mit Süßstoff gegessen hatten. Seither haben viele Forscher den Substanzen ihr süßes Geheimnis zu entlocken versucht - besonders viele im Auftrag der Süßstoffindustrie, weshalb die Datenlage bis heute extrem unübersichtlich ist.

Dennoch hat sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bereits für den Zuckerersatz entschieden: "Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für einen dick machenden Effekt von Süßstoffen", folgerte sie vor kurzem. Ihr Einsatz zum Abnehmen "kann sinnvoll sein".

Gegen das böse Gerücht, die Stoffe förderten den Appetit so sehr, dass sie sogar in der Schweinemast eingesetzt würden, erhält die DGE Unterstützung von der Futtermittelindustrie. Ja, es gebe Süßstoff im Futter, räumt ein Hersteller ein. Aber der solle die Tiere nicht mästen, nur locken: "Ein Ferkel ist da wie ein Kind: Die mögen das Süße."

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