Zivilcourage: Prozessauftakt in Frankfurt:Der vergessene Held

Dominik Brunner und Emeka Okoronkwo haben beide für ihre Hilfsbereitschaft mit dem Leben bezahlt, doch im Gegensatz zu dem Münchner ist der Deutsch-Nigerianer der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Ein Gerichtsprozess könnte das ändern.

Neun Monate nach dem Tod des 21-Jährigen Deutsch-Nigerianers Emeka Okoronkwo im Frankfurter Bahnhofsviertel hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 35-Jährigen nach einem gezielten Messerstich Totschlag vor.

Prozess um Toetung des Frankfurter Streitschlichters beginnt

Der angehende Koch Emeka Okoronkwo wurde auf dem Nachhauseweg von einer Diskothek gewaltsam aus dem Leben gerissen: bei einer Auseinandersetzung an einer Frankfurter Bushaltestelle.

(Foto: dapd)

Okoronkwo hatte Anfang Mai 2010 einen Streit schlichten wollen und war dabei mit einem Messerstich ins Herz getötet worden. Der Angeklagte und ein Begleiter - beide Männer stammen aus Eritrea - hatten den Angaben zufolge an einer Straßenbahnhaltestelle zwei junge Frauen angepöbelt und bespuckt. Als Okoronkwo dazwischenging, kam es zu der tödlichen Auseinandersetzung.

Zum Prozessbeginn gestand der 35-jährige Angeklagte das Verbrechen, betonte aber erneut, er habe aus Notwehr gehandelt. Augenzeugen hatten dem zuvor widersprochen. Vor Gericht sagte der Angeklagte, das Messer habe ursprünglich Okoronkwo gehört und sei während des Gerangels heruntergefallen. Er habe die Waffe aufgehoben und zugestochen, sagte der 35-Jährige.

Mit dem Prozessbeginn werden auch Erinnerungen an Dominik Brunner wach. Beide, Brunner und der junge Afrikaner, haben ihre Zivilcourage mit dem Leben bezahlt. Während der eine den Tätern in München in einer S-Bahn begegnete, verblutete der andere im vergangenen Mai nach einem Handgemenge im Frankfurter Bahnhofsviertel.

Beide hatten sich in einen Streit eingemischt, um unbekannten Menschen zu helfen. Vor dem Landgericht Frankfurt wird dabei einmal mehr auch über das Verhältnis von Mut und Risiko diskutiert.

Opfer besuchte Streitschlichter-Kurs

Arnold Tomaschek, der Geschäftsführer des Kolpinghauses in Frankfurt, in dem Emeka zuletzt gewohnt hatte, beschrieb seinen nigerianischen Schüler vor dem Prozessbeginn als "fröhlich", "lustig" und "nett". Okoronkwos Ziel sei klar gewesen: Koch wollte der junge Afrikaner werden. Um wie ein Profi am Herd zu stehen, ließ er sich zum Restaurantfachmann ausbilden.

Emeka, 1988 in der nigerianischen Stadt Ahoado geboren, sei keinesfalls ein Schläger-Typ oder gar gefährlich gewesen. Er habe weder Alkohol getrunken noch geraucht oder Drogen genommen. Außerdem besuchte der Nigerianer einen Kurs als Streitschlichter, um bei Konflikten zu vermitteln und sich nicht provozieren zu lassen, erzählte Tomaschek.

Auch Frank Goldberg, der Leiter des Frankfurter Präventionsrats, kündigte an, den Prozess aufmerksam zu verfolgen. Sein Rat an Streitschlichter: "Nicht die Täter dürfen interessieren, sondern die Opfer."

In einer Situation wie an jenem Sonntagmorgen wäre es wichtig gewesen, eine Öffentlichkeit herzustellen, Hilfe zu holen - oder die Opfer einfach vom Ort weg zu begleiten. Oft sei die gemeinsame Flucht vor der Gefahr die größere Zivilcourage. "Um Gottes Willen nicht mit körperlicher Gewalt reagieren", empfielt Goldberg. "Wir brauchen kein zusätzliches Opfer."

Überlebenskampf im Krankenhaus

Okoronkwo entschied sich an jenem verhängnisvollen Mai-Morgen gegen die Flucht. Nach seinem Abschied aus einem Salsa-Klub kam er gegen 6:40 Uhr auf der Münchener Straße mit zwei Frauen ins Gespräch. Die damals 29-Jährige Deutsche und ihre 43 Jahre alte deutsche Freundin hatten zuvor auch in der bekannten Disco getanzt.

Trauer nach Mord an Nigerianer

Vor dem Tatort gab es eine kleine Mahnwache für den getöteten 21-Jährigen, eine Menschenkette wurde gebildet. Eine Ehrung von offizieller Stelle ist bislang aber ausgeblieben.

(Foto: dpa)

Zwei Eritreer, die zufällig vorbeikamen, pöbelten die Frauen an. Als die Jüngere sich wehrte, wurde sie angespuckt. Da mischte sich Emeka ein, einer der beiden Männer spuckte auch ihm ins Gesicht.

Im Gerangel der drei Männer stach der 35-Jährige Angeklagte dem jungen Okoronkwo ins Herz. Er sackte zusammen, kämpfte im Krankenhaus noch wenige Stunden um sein Leben - und starb.

Vier Tage später wurde der 35-Jährige festgenommen. Die Staatsanwaltschaft geht von einem bedingten Vorsatz aus.

Okoronkwos Schicksal weitgehend unbekannt

Während Dominik Brunners Tod im September 2009 und der Prozess gegen die beiden Täter bundesweit für enormes Aufsehen sorgten, ist der gewaltsame Tod Okoronkwos nur wenigen Menschen außerhalb Frankfurts bekannt. Es gab damals eine kleine Mahnwache am Tatort, mehr als 100 Menschen schlossen sich in der Straße, in der er starb, zu einer Kette in Herzform zusammen. Das Kolpinghaus gedachte des Nigerianers mit einer Feier, und an der Beisetzung in seiner kleinen Heimatstadt Langen südlich von Frankfurt nahm die Bevölkerung Anteil.

Aber anders als bei Brunner kondolierte nach dem tödlichen Messerstich niemand aus der Bundesregierung, es wurde keine Stiftung gegründet, Okoronkwo erhielt auch posthum keine Ehrung wie Brunner.

Der Prozess könnte das ändern. Das Bundespräsidialamt will nach Angaben der Stadt Frankfurt warten, bis der Richter ein Urteil fällt. Deshalb ruhten beim Amt in Berlin noch "zahlreiche Anträge", die das Rathaus von Bürgern erhalten und gebündelt habe, sagte Frankfurts Protokollchef Karlheinz Voß. Für den Prozess hat die 22. Strafkammer zunächst bis Mitte März fünf Fortsetzungstermine anberaumt.

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