Zeugenaussage im Pistorius-Prozess:"Er schrie, er weinte, er betete"

Wie verhielt sich Oscar Pistorius kurz nach den tödlichen Schüssen auf seine Freundin? Um diese Frage ging es an diesem Montag vor Gericht. Nach der Darstellung eines Nachbarn war die Erschütterung des Sportlers über den Tod seiner Freundin echt.

Waren Oskar Pistorius' Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp Mord oder ein Versehen? Um diese Frage geht es seit Wochen im Prozess gegen den Sportler, am Montag beleuchtete das Gericht den Moment nach den vier Schüssen, die Oscar Pistorius durch die Badezimmertür hindurch auf sie abfeuerte und wie sich der Angeklagte daraufhin verhielt.

Zwei Wochen hatte das Gericht pausiert, Staatsanwalt Gerrie Nel hatte Zeit zum Aktenstudium beantragt. An diesem Montag wurde der Mordprozess gegen den beinamputierten Sportler fortgesetzt.

Oscar Pistorius murder trial

Oscar Pirstorius: An diesem Montag stützen zwei Zeugen seine Version der Ereignisse.

(Foto: dpa)

Zwei Zeugenaussagen standen auf dem Programm. Geladen waren Johan Stander, einer von Pistorius' Nachbarn und seine Tochter Carice Viljoen. Stander berichtete von einem Anruf, den er unmittelbar nach den tödlichen Schüssen auf Steenkamp von Pistorius bekommen habe. "Johan, bitte, bitte, komm schnell zu mir. Ich habe auf Reeva geschossen. Ich dachte, sie wäre ein Einbrecher. Bitte, bitte, komm schnell", soll Pistorius gesagt haben.

"Wie er Gott angefleht hat, dass sie am Leben bleibe"

Er und seine Tochter seien dann zu Pistorius' Haus geeilt, der etwa 450 Meter entfernt wohnte. Sie waren die ersten fremden Personen, die dort eintrafen. Sie hätten einen "am Boden zerstörten" Pistorius vorgefunden, der seine tote Freundin auf den Armen die Treppe herunter getragen habe. "Er schrie, er weinte, er betete", so schilderte Stander den Zustand von Pistorius.

Auch Standers Tochter berichtete, dass Pistorius außer sich gewesen sei. "Überall war Blut", sagte Viljoen. Pistorius habe nur gewollt, dass die blutende Freundin rasch in ein Krankenhaus gebracht werde. "Er bettelte darum, dass ich sie in meinem Wagen zum Hospital fahre", so die Zeugin weiter. Ihr Vater habe dann telefonisch einen Notarztwagen gerufen. Sie sei außerdem besorgt gewesen, dass sich Pistorius etwas antun könnte.

Nach Standers Schilderung war die Erschütterung des Sportlers über den Tod seiner Freundin echt: "Wie er Gott angefleht hat, dass sie am Leben bleibe", sagte er. Im Gesicht von Pistorius habe man die "vollkommene Verzweiflung" lesen können. "Ich habe die Wahrheit gesehen an diesem Morgen, ich sah es und fühlte es", sagte Stender, der gemeinsam mit seiner Tochter zu den Zeugen der Verteidigung zählt und damit Pistorius' Version von einem tragischen Unfall stützt.

Bei der Befragung allerdings musste Stander zugeben, widersprüchliche Angaben über Details gemacht zu haben. Dabei ging es um die Frage, ob er oder seine Tochter im Verlauf der Nacht wen und wann angerufen hatten oder wie der genaue Wortlaut der Sätze von Pistorius gewesen war.

In den ersten Wochen des Prozesses hatte Staatsanwalt Nel Pistorius mit einer agressiven Verhörstrategie unter Druck gesetzt. Mehrfach bezichtigte er den Angeklagten der Lüge und versuchte, Widersprüche in den Aussagen aufzudecken. Ausführlich thematisierte er außerdem Pistorius' angebliche Affinität zu Waffen. Nel geht davon aus, dass der Sportler seine damals 29-jährige Freundin nach einem Streit absichtlich erschossen hat.

In den kommenden zwei Wochen wird Pistorius Verteidiger Berry Roux weitere Entlastungszeugen präsentieren.

Was der Angeklagte ausgesagt hat

Eine Übersicht über die Tage, an denen Pistorius im Zeugenstand aussagte:

  • Zunächst wird Pistorius von seinem Verteidiger, Barry Roux, befragt. Am ersten Tag berichtet er, wie oft er in der Vergangenheit Opfer und Zeuge von Gewaltverbrechen wurde. Die Aussage soll belegen, dass sich Pistorius nicht ohne Grund vor einem möglichen Einbrecher in seinem Haus fürchtete.
  • Der zweite Tag des 27-Jährigen im Zeugenstand geht hochemotional zu Ende; Pistorius schildert seine Beziehung zu Reeva Steenkamp und den Abend, an dem er seine Freundin erschoss - aus Versehen, wie er betont. Als er zu dem Moment kommt, in dem er sich über die blutende Reeva beugte, beginnt er laut zu weinen.
  • Nachdem der Sportler bislang recht frei seine Version der Tatnacht erzählen durfte, wird er am dritten Tag von Staatsanwalt Gerrie Nel ins Kreuzverhör genommen. Thematisiert wird auch ein Video, das Pistorius bei Schießübungen zeigt.
  • Um Pistorius' Beziehung zu Reeva Steenkamp, einen Streit auf einer Verlobungsparty, Schüsse im Restaurant und den Tatort geht es am vierten Tag des Angeklagten im Zeugenstand.
  • Am fünften Tag geht Staatsanwalt Gerrie Nel Pistorius aggressiv an: Wie konnte er nicht gewusst haben, dass seine Freundin in der Toilette war? "Sie wussten es. Und Sie haben sie erschossen." Der Angeklagte widerspricht - und Richterin Thokozile Masipa unterbricht den Prozess.
  • Am sechsten Tag geht Nel ins Detail - er zieht die eidesstattliche Aussage heran, die Pistorius 2013 machte, um auf Kaution freizukommen und zeigt Widersprüche in den Aussagen des Angeklagten auf.
  • Am siebten Tag lässt der Staatsanwalt Fotos des blutverschmierten Tatorts zeigen und bittet Pistorius, zu zeigen, wie dieser die Tür mit einem Kricketschläger aufbrach. Nachdem Pistorius aus dem Kreuzverhör entlassen ist, bittet sein Verteidiger Roux ihn noch darum, dass er die Valentinskarte von Reeva vorlesen soll, die sie ihm am Tag ihres Todes überreichen wollte.

Weiterführende Links:

Was geschah in der Nacht von Reeva Steenkamps Tod? Der südafrikanische Sender Eyewitness News hat Pistorius' Version der Tatnacht als Grafik aufbereitet.

Wessen Aussage entlastet Pistorius? Wer belastet ihn? Alle bisherigen Zeugenaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst und bewertet.

Richter, Anwälte, Ankläger: Die wichtigsten Personen und Fakten zum Prozess.

"Ende einer Ikone": Porträt eines einst umjubelten Athleten.

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